Radweg statt Autobahn

Mehrere tausend Menschen protestieren gegen den Ausbau der A100

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit dem Fahrrad auf die Autobahn: In diesen Genuss kamen am Samstag mehrere Tausend Berliner*innen. Liegeräder, Rennräder, Eltern mit Kinderanhängern, Technojünger mit Soundsystems, die im Autobahntunnel wummerten - das Spektrum der Teilnehmer*innen an der Fahrraddemo gegen die A100 war groß. Ein breites Bündnis aus Umweltverbänden, Politaktivist*innen und Clubs hatte zum Protest gegen den Weiterbau der Stadtautobahn und für eine Mobilitätswende aufgerufen.

Die Gruppe der Radfahrer*innen, die am Nachmittag von der Neuköllner Karl-Marx-Straße auf die Autobahn Richtung Charlottenburg abbiegt, ist unübersichtlich groß. Während es an der Auffahrt zu kleineren Staus kommt, sorgt das Fahren auf der für den Autoverkehr gesperrten A100 für ein Gefühl der Erhabenheit. Der Fahrrad-Konvoi, der von einer Motorradstaffel der Polizei begleitet wird, zieht sich schließlich von der Auffahrt Neukölln bis zur Ausfahrt Tempelhofer Damm direkt am Tempelhofer Feld - 3000 bis 4000 Teilnehmer*innen werden geschätzt, von denen so gut wie alle mit FFP2-Masken unterwegs sind.

Konkret geht es um den derzeit in Bau befindlichen 16. Bauabschnitt der A100, der die Schneise bis zum Treptower Park führen soll, sowie den geplanten 17. Bauabschnitt bis zur Storkower Straße in Lichtenberg. Seit 2013 werden zwischen Neukölln und der Spree Gärten geräumt, Häuser abgerissen und Tiere vertrieben. 600 bis 700 Millionen Euro soll der Bau nach aktuellem Bundesverkehrswegeplan kosten. Doch derzeit stocken die Bauarbeiten. »Komplizierte Baugrundverhältnisse in großer Tiefe« und das drohende Abrutschen eines Bahndamms sollen für die Verzögerung sorgen.

Während die Fertigstellung des 16. Bauabschnitts für 2024 geplant ist, steht die konkrete Ausführung des 17. Bauabschnitts über Friedrichshain bis Lichtenberg noch in den Sternen. Dort ist unter anderem ein doppelstöckiger Tunnel geplant, der das Projekt extrem teuer macht. Außerdem wären durch den Weiterbau gleich mehrere Clubs wie die »Wilde Renate« oder das »About Blank« bedroht. »Das ›About Blank‹ ist ein symbolischer Ort für eine lebenswerte Stadt und ich gehe davon aus, dass wir auch in vielen Jahren noch hier sind«, so Sprecherin Eli Steffens zu »nd«.

Die Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina Jarasch, nahm ebenfalls an den Protesten gegen die A100 teil. Jarasch spricht sich für einen Stopp und Rückbau der A100 aus. »Wenn ich Regierende Bürgermeisterin werde, werde ich mit dem Bund reden: Der 17. Bauabschnitt muss raus«, sagte Jarasch zu »nd«. »Eine Betonschneise durch eine dicht besiedelte Stadt ist völlig aus der Zeit gefallen.« Zwar habe der Bund hier Planungshoheit, aber »es ist sehr unwahrscheinlich, dass gegen den Willen Berlins gebaut wird«. Für den bereits im Bau befindlichen Teil bis Treptower Park stellt sie sich die Umwandlung in eine »Stadtstraße« vor.

Auch die Linke fordert einen Stopp der Bauarbeiten zwischen dem Dreieck Neukölln und der Anschlussstelle in Treptow. »Alle aktuell laufenden Infrastrukturmaßnahmen zum Abschluss der A100 am Treptower Park sollten sofort eingestellt werden, es braucht einen sofortigen Baustopp«, so die Landesvorsitzende Katina Schubert. Die Linke werde außerdem alles dafür tun, dass der nächste Bauabschnitt aus dem Bundesfernstraßengesetz ersatzlos gestrichen und gegen den Willen des Landes Berlin kein Planfeststellungsverfahren eröffnet wird, so Schubert weiter.

Pikanterweise sind im aktuellen Bundesverkehrswegeplan 2030 von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die beiden Bauabschnitte nicht mehr gesondert ausgewiesen, sondern zu einem Gesamtprojekt zusammengefasst. Die dort angegebenen Gesamtkosten von 823 Millionen Euro scheinen jedoch höchst unrealistisch. Informierte Beobachter rechnen mit dem Doppelten. Auf der Fahrraddemo stellten Aktivist*innen vor dem Bundesverkehrsministerium von Scheuer ihre Visionen einer autofreien und lebenswerten Stadt vor. Viele von ihnen plädierten für eine gänzlich autofreie Innenstadt.

Martin Burth vom Bündnis Klausnerplatz machte auf das weniger beachtete andere Ende der A100 in Charlottenburg aufmerksam. Dort sollen in den kommenden Jahren in drei Planfeststellungsverfahren mehrere Erweiterungen der dortigen Autobahn samt neuen Auffahrten durchgesetzt werden. So sei eine zusätzliche Brücke mit weiteren vier Fahrspuren geplant, erklärte Burth. »Wir müssen uns massiv in die Planungen einmischen, ein Abwenden ist noch möglich«, appellierte er an die versammelten Protestierenden.

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