Kleiner Sieg, große Niederlage
Der FC Bayern scheidet trotz des 1:0 in Paris aus der Champions League aus - und könnte bald auch noch seinen Erfolgstrainer verlieren
Am vorzeitigen Schlusspunkt der langen Traumreise mit seinen Bayern-Jungs quer durch Europa brach es aus dem entthronten Trainerchampion Hansi Flick einfach heraus. Der ganze Stress, der Dauerdruck, der Ballast interner Zwistigkeiten und die nicht mehr verhehlten Zukunftszweifel sprudelten nach dem spektakulären, aber nutzlosen 1:0 gegen Paris Saint-Germain wortreich nach außen. Nach seinem bittersten Sieg im 80. Spiel als Chefcoach des FC Bayern stand der 56-jährige Flick aufgewühlt im leeren Prinzenpark und gewährte in einem mehr als vier Minuten dauernden Monolog vor der Fernsehkamera tiefe Einblicke in seine Gefühls- und Gedankenwelt. Die meisten Zuhörer verstanden sie spontan als eine Abschiedsrede.
Flick verbreitete in der Nacht nach dem Aus im Viertelfinale der Champions League Endzeitstimmung, auch wenn »das Leben weitergeht«. Das heißt erst mal: Noch sechs Bundesligaspiele, dann soll die neunte Meisterschaft am Stück wenigstens für ein kleines Happy End nach dem Triple 2020 sorgen. »Das ist unser Minimalziel. Mehr können wir leider diese Saison nicht mehr machen«, sagte Flick mit leerem Blick, ehe er sich aufrappelte: »Trauern ist heute okay, ab morgen muss der Fokus auf Wolfsburg sein, auch wenn es schwerfällt. Wir müssen schauen, dass wir am Samstag wieder funktionieren.«
Gegen PSG fehlte nicht viel, aber Entscheidendes. Das Tor von Eric Maxim Choupo-Moting war zu wenig. Die 2:3-Hinspielhypothek wog zu schwer, ebenso die prominente Ausfallliste mit Robert Lewandowski, Serge Gnabry und Leon Goretzka.
Wunschkandidat
Das Aus wird beim FC Bayern nachwirken. Am Dienstagabend liebäugelte Flick erstmals öffentlich mit dem Job von Bundestrainer Joachim Löw. »Hansi Flick steht beim DFB ganz oben auf der Liste - und dann lange nichts«, sagte TV-Experte Lothar Matthäus prompt. Dieses Amt würde dem Familienmenschen und Opa Hansi »einen anderen Rhythmus« bescheren, wie er nun selbst kundtat. Ein Rhythmus zwischen Länderspielen, Pausen und Turnieren, für die er ein Faible und Händchen hat, wie das triumphale Champions-League-Endturnier 2020 in Lissabon mit dem finalen 1:0 gegen PSG demonstrierte. Und die Vorzüge des DFB-Postens kennt Flick aus acht Jahren als Löws Assistent.
Nach dem bemerkenswerten Fernsehauftritt war Flick in der Videopressekonferenz dann bemüht, seine artikulierten Gedankengänge wieder etwas einzufangen. »Das steht einem auch zu, dass man nicht 30 Minuten nach dem Spiel seine ganzen Gedanken bei sich hat«, sagte er. Hatte er also nur mal laut gedacht? Flick offenbarte jedenfalls eine innerliche Zerrissenheit. Sie ist Resultat der besonderen Belastungen dieser Coronasaison. Dazu kommt der kraftraubende Dauerzwist mit Bayerns Sportvorstand Hasan Salihamidzic. Das ständige Nachbohren der Journalisten strengt Flick an, ebenso das stete Streben nach Erfolg, der ewige Drang nach Verbesserungen. »Wir haben mit den sechs Titeln einen Maßstab gesetzt - und das müssen wir auch weiter machen«, bemerkte Flick.
Das Wie hat die Vereinsbosse und ihn zunehmend voneinander entfernt. Es wäre nun an Oliver Kahn, dem künftigen Chef, nicht mehr im Hintergrund zu verharren, sondern Führungsanspruch und damit auch Stärke zu demonstrieren. Karl-Heinz Rummenigge, Flicks wichtigster Unterstützer, ist am Jahresende weg. Einen Gesprächstermin mit dem künftigen Vorstandschef bestätigte Flick nicht. Aber: »Ich habe Zeit.« Für Kahn und Salihamidzic drängt sie hingegen; sie müssten einen Nachfolger für Trainerbank finden.
Selbstbestimmtes Handeln
Sechs Spiele mit Flick als Bayern-Coach bleiben noch. Er hatte vor dem Rückflug aus dem sonnigen Paris am Mittwoch erst mal nur zwei Fakten geschaffen: Trotz seines Vertrages bis 2023 nimmt er sich die Freiheit heraus, seine Zukunft maßgeblich zu bestimmen, »egal, wie meine Entscheidung ausfällt«. Und er will auch in der kommenden Saison eine Mannschaft anleiten. »Ich hänge an dem Trainerjob, und deswegen kann ich mir auch nichts anderes vorstellen als diesen Beruf«, sagte er. Bayerns Problem ist, dass der Bundestrainerposten ausgerechnet jetzt frei wird. Und dass sich Flick als Nationaltrainer nicht mehr mit Vereinsbossen und Kontrahenten in Kaderfragen herumstreiten müsste. Die meisten Nationalspieler kennt er aus München ja bestens.dpa/nd
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