Selbstständig in die Zukunft

Der Berliner Verein I.S.I. unterstützt seit 30 Jahren Frauen mit Migrationsgeschichte auf ihrem Weg, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Die Frauen finden ein Umfeld, das an sie glaubt.

  • Sarah Schaefer
  • Lesedauer: 6 Min.

Es lässt sich erahnen, wie lebendig es vor der Corona-Zeit in den Räumen von I.S.I. zugegangen sein muss. Selbst jetzt, da viele Kurse ganz oder teilweise ins Digitale umgezogen sind, ist einiges los: In einem Kursraum machen die Frauen sich mit HTML-Grundlagen vertraut, in einem anderen zieht eine gut ausgeleuchtete Flasche Sekt die Aufmerksamkeit der Teilnehmerinnen auf sich - sie üben sich in Produktfotografie. An den Wänden hängen Fotos von Gründerinnen und eine riesige Weltkarte: Würden die Frauen, die seit der Gründung bei I.S.I. ein- und ausgegangen sind, auf der Karte ihre Herkunftsorte markieren, gäbe es wohl nur wenige freie Stellen: Zuletzt zählte das Team Teilnehmerinnen aus rund 70 Ländern.

Da ist zum Beispiel die Grundschullehrerin aus Aleppo, die mit Unterstützung von I.S.I. einen Catering-Service für Gerichte aus Syrien gestartet hat. Oder die Dozentin aus Indonesien, die sich auf Kommunikationstrainings für deutsch-indonesische Beziehungen spezialisiert hat.

Seit 1990 gibt es die Initiative Selbstständiger Immigrantinnen. Der gemeinnützige Verein, der in Berlin-Schöneberg sitzt, unterstützt Frauen mit Migrationsgeschichte auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit. Denn Hürden gibt es genug. Eine Gründung in Deutschland stellt schon Einheimische vor große Herausforderungen. Bei Migrantinnen kommen die neue Sprache, Berührungsängste mit der deutschen Bürokratie und Erfahrungen mit Diskriminierung hinzu.

Der Neubeginn in einem anderen Land sei niemals einfach, sagt Selma Yilmaz-Schwenker. Das weiß die I.S.I.-Projektleiterin aus eigener Erfahrung. Sie ist kurdischer Abstammung und kommt aus der Türkei. Während ihres Studiums hatte sie vorübergehend in Deutschland gelebt und sich in der Türkei eine Karriere als Projektmanagerin für UN- und EU-Projekte aufgebaut. Doch als sie mit Ende 30 nach Berlin kam, um dort mit ihrem Mann zu leben, habe sie sich gefühlt, als müsse sie noch mal komplett von vorne anfangen. »Wie ein Baby«, sagt sie. Die ersten drei Jahre waren schwierig. Ihr fiel es schwer, im Alltag anzukommen, sie fühlte sich oft nicht willkommen. Ihr Deutsch empfand sie als unzureichend. »Man fällt in ein Loch« - so beschreibt sie diese Zeit. Ihr Ziel ist es, die Frauen so zu unterstützen, dass diese kritische Phase möglichst schnell vorbeigeht.

Was ihr half: Für I.S.I entwickelte sie einen Empowerment-Kurs auf Türkisch. Sie merkte, dass sie etwas für sich und andere Frauen tun kann und wurde immer mutiger, auch in der deutschen Sprache. Es ist der Grundgedanke von I.S.I., dass Migrantinnen sich gegenseitig unterstützen. Alle Vorstandsmitglieder, Mitarbeiterinnen und Dozentinnen des Vereins haben selbst einen Migrationshintergrund.

Webdesign und Marketing, rechtliche und steuerliche Grundlagen, Entwicklung der Geschäftsidee oder Achtsamkeit und Empowerment - die Frauen können sich das Kursprogramm so zusammenstellen, wie sie es brauchen. Dazu gibt es Coachings, Gründungsberatung und Angebote zum Netzwerken. Die Kurse werden vom Land Berlin und der EU gefördert und sind für die Teilnehmerinnen kostenlos.

Einstieg ins Berufsleben

Es seien ganz unterschiedliche Gründe, aus denen die Frauen sich selbstständig machen, sagt Selma Yilmaz Schwenker. Doch zwei Gruppen seien unter den I.S.I.-Teilnehmerinnen besonders oft vertreten: Das sind zum einen Frauen, die relativ neu in Deutschland sind. Sie können sich auf Deutsch verständigen, aber oft reicht es noch nicht, um Arbeit zu finden. Diese Frauen sind in der Regel über 30 und möchten zügig ins Arbeitsleben einsteigen. Für sie ist die Selbstständigkeit der direkteste Weg in den Beruf.

Dann sind da die Frauen, die schon seit einigen Jahren in Deutschland leben und berufstätig sind. Doch oft arbeiten sie in Berufen, die zwar gebraucht werden, aber nicht zu ihnen passen - etwa als Altenpflegerin oder Reinigungskraft. Ein Großteil der Frauen, die zu I.S.I. kommen, hat einen Hochschulabschluss. In einigen Fällen werden die Bildungsabschlüsse aus dem Herkunftsland in Deutschland aber nicht anerkannt. Die Unternehmensgründung ist daher für viele die einzige Möglichkeit, einen Beruf auszuüben, der ihrer Qualifikation entspricht.

Hinzu kommt, dass ein eigenes Unternehmen für viele Migrantinnen nichts Ungewöhnliches ist. »In Deutschland ist man sehr fixiert auf die Festanstellung«, sagt Yilmaz-Schwenker. Es gebe keine richtige Kultur der Selbstständigkeit. »Aber die Frauen kommen oft aus Ländern, in denen es total normal ist, selbstständig zu sein.«

Von einer Gründerin erzählt Yilmaz- Schwenker besonders gern, einer alleinerziehenden Mutter mit vier Kindern. »Als sie zu uns kam, wusste sie nicht, wie man einen Computer anschaltet. Jetzt hat sie ihren eigenen Online-Shop.«

Auch Mariana Aguilar Ramirez gehört mit ihrer Gründung zu den I.S.I.-Erfolgsgeschichten. Und auch sie weiß, wie schwer es sein kann, in einem neuen Land und einer neuen Sprache anzukommen. Dabei ist die 33-jährige Mexikanerin es seit ihrer Kindheit gewohnt, sich in unterschiedlichen Welten und Sprachen zu bewegen: Als sie noch ein Kind war, zog die Familie aus ihrer Heimatstadt San Luis Potosí für einige Jahre in die USA. Zurück in Mexiko, begann Mariana Aguilar Ramirez, Englischunterricht zu geben. Für sie war immer klar, dass sie sich als Sprachlehrerin selbstständig machen möchte.

Der Liebe wegen zog sie 2015 nach Berlin. Sie belegte Kurse, fühlte sich aber lange unsicher in der deutschen Sprache. Nicht immer sei sie auf Verständnis gestoßen. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen das Gespräch mit ihr verweigerten oder sie sogar beleidigten, wenn sie kein Deutsch sprach. »Es gibt einen Teil von mir, der sich nicht willkommen fühlt«, sagt sie. Es ist ein Satz, den Selma Yilmaz-Schwenker ganz ähnlich formulierte. Allerdings gebe es auch Tage, an denen sei sie regelrecht verliebt in Berlin, sagt Mariana Aguilar Ramirez. »Ich habe mehr positive Erfahrungen gemacht als schlechte.«

Gemeinsam wachsen

Aus ihrer Frustration beim Deutschlernen entwickelte sie ihr eigenes Unternehmen, Authentic Learning Berlin. Das Konzept: Einen klassischen Unterricht gibt es nicht. Stattdessen üben die Teilnehmer*innen das Sprechen bei Unternehmungen - etwa einem Einkauf im Supermarkt, einem Kochkurs oder einem Spaziergang über Berlins Museumsinsel. Auf diese Weise lerne man die Sprache so, wie man sie auch im Alltag gebrauche, sagt Aguilar Ramirez. Wegen der Pandemie musste sie ihr Angebot allerdings einschränken, ihre Kurse finden zur Zeit fast nur noch online statt.

Bei I.S.I. hat Mariana Aguilar Ramirez Kurse für Suchmaschinenoptimierung und zu Honorar-Verhandlungen belegt. Honorare verhandeln konnte sie zwar schon, aber sie wollte auf Deutsch üben, selbstbewusst aufzutreten und zu ihren Preisvorstellungen zu stehen. »Ich fühle mich wohl, wenn ich mit Frauen zusammen bin«, sagt sie über ihre Erfahrungen mit I.S.I. Es sei für sie eine willkommene Abwechslung zur Start-up-Welt, die oft von Männern mit Gründungen im Tech-Bereich dominiert werde.

Für Mariana Aguilar Ramirez sind es nicht die Kursinhalte, die bei I.S.I. im Vordergrund stehen, sondern die Gemeinschaft und das Empowerment. »Selbst, wenn ein Kurs nur drei Tage geht - in dieser Zeit ist man mit Leuten zusammen, die an dich glauben und an die du glaubst. Das ermutigt mich.«

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