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Mietendeckelwut treibt 20.000 in Berlin auf die Straße
Demonstranten äußern Unmut über das Kippen der Mietenregulierung in der Hauptstadt durch das Verfassungsgericht.
Wenn der Deckel nicht mehr auf den Mietpreisen sitzt, nützt er zumindest noch zum Krachmachen. Am Donnerstagabend kann man die Wut über das Aus des Mietendeckels, den das Bundesverfassungsgericht am Morgen mit einem Beschluss für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt hatte, wortwörtlichen hören. Rund 20.000 Teilnehmende, so die Schätzung der Veranstalter, beteiligen sich an einer spontan auf die Beine gestellten Demonstration vom Hermannplatz in Berlin-Neukölln bis zum Kottbusser Tor in Kreuzberg. Innensenator Andreas Geisel (SPD) sprach am Freitag von 12.000 Teilnehmenden.
Mit dem Scheppern von Topfdeckeln und lautstarken Sprechchören macht die Mietenbewegung unmissverständlich klar, was sie von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hält. Wer dachte, das Aus für den Mietendeckel vor Gericht ließe die Bewegung resignieren, wird hier mitten in der Metropole Berlin vom Gegenteil überzeugt. Viele Menschen in der Hauptstadt fürchten nun Mieterhöhungen oder müssen jüngst erst abgesenkte Mieten, die laut Deckel überhöht waren, jetzt zurückzahlen.
»Die Angst vor einer Resignation hatte ich tatsächlich kurz«, sagt Lorena Jonas, fügt dann aber an, dass sich das schnell änderte. Jonas, die seit einer Shoppingtour des Konzerns Deutsche Wohnen im vergangenen Jahr unter anderem in der Kampagne für einen bundesweiten Mietenstopp aktiv ist, zeigt sich überwältigt von den vielen Berlinerinnen und Berlinern, die gekommen sind. An den Forderungen der Bewegung habe sich mit dem Urteil nichts geändert, erklärt sie. Nur die Durchsetzung müsse nun auf einer anderen Ebene erreicht werden. Wenn das Land Berlin, so die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, keine Kompetenz zur Regulierung der Mietpreise hat, müsse die Bundestagswahl eben zu einer Mietenwahl werden.
Auch der Stadtsoziologe Andrej Holm sagt im Gespräch mit »nd«, dass der »starke lokalpolitische Bezug« der Bewegung auf Berlin jetzt einen deutlichen Dämpfer bekommen habe. Für Jonas ist deshalb klar: »Wir wollen SPD und Grüne auf einen bundesweiten Mietenstopp festnageln. Das bedeutet auch, dass es keine Liebäugeleien mit der CDU geben darf.« Was die Berliner Parteien betrifft, sei die Mietenbewegung sich einig, dass man der rot-rot-grünen Koalition nicht die Schuld an dem gescheiterten Gesetz gebe. »Es war gut, den Mietendeckel versucht zu haben«, so Jonas.
Der Mietendeckel war letztendlich auch ein Verdienst der zahlreichen Initiativen der Stadt, die seit Jahren unermüdlich für eine Regulierung des Wohnungsmarktes kämpfen und damit den nötigen Druck auf die Politik aufbauen konnten. Gerade das Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« habe die Landespolitik motiviert, nicht nur Zaungast zu spielen, heißt es von vielen Aktivisten. Nach dem Deckel ist also vor der Enteignung, so der Tenor am Donnerstag.
Anwohner solidarisieren sich dabei mit dem Volksbegehren zur Vergesellschaftung von privaten Wohnungsunternehmen mit jeweils über 3000 Wohnungen in Berlin. »Dann halt enteignen«, steht auf einem Pappschild eines Teilnehmers. Auch ist immer wieder zu sehen, wie für das Volksbegehren unterschrieben wird. Rouzbeh Taheri, einer der Sprecher von »Deutsche Wohnen & Co enteignen«, erzählt, dass es mitunter Berliner gab, die nicht für das Volksbegehren unterschrieben haben, weil es ja den Mietendeckel gebe.
Er ist sich sicher, das werde sich jetzt ändern. Zwar würden die Berliner Oppositionsparteien immer wieder versuchen, das Volksbegehren als rechtlich angreifbar darzustellen. »Es gibt aber viele Gutachten, auch eines des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das sagt: Wir sind rechtlich sicher«, erklärt er. Das gelte es jetzt, verstärkt den Berlinerinnen und Berlinern zu vermitteln, die durch das Urteil zum Mietendeckel verunsichert sind.
Klar ist aber auch, dass die Enteignung allein nicht reichen wird. Bei dem Volksbegehren geht es um etwa 240.000 von über 1,5 Millionen Mietwohnungen in Berlin insgesamt. »Das Volksbegehren bringt keine abschließende Lösung, ebenso wie es der Mietendeckel nicht getan hätte«, sagt Kim Meyer vom Mietenwahnsinn-Bündnis. So sei auch mit dem Mietendeckel beispielsweise weiter preisgünstiger Wohnraum zugunsten einer gesteigerten Verwertung des Bodens abgerissen worden.
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»Letztlich sollte der Mietendeckel auch die Bewegung auf der Straße abschwächen«, sagt Meyer. Er freut sich, dass diese jetzt zurück ist und mit der Demonstration am Donnerstag an die Mobilisierung aus dem Jahr 2019 anknüpfen konnte. Corona hätte sie geschwächt. Bei der Mietenwahnsinn-Demo im vergangenen Jahr kamen keine 2000 Teilnehmer.
Von der deutlich höheren Zahl bei der Demonstration am Donnerstag schien auch die Berliner Polizei überrascht worden zu sein. Als die Demonstration am Kottbusser Tor für beendet erklärt wurde, weigerten sich Teilnehmende, den Platz zu verlassen. Als die Polizei diesen räumen wollte, kam es zu Rangeleien. In einer Meldung spricht die Polizei von »direkten körperlichen Angriffen« ausgehend von einer Gruppe von etwa 100 Personen.
Bei den anwesenden Teilnehmern sorgten die teils brutalen Festnahmen für Entsetzen. Immer wieder lief die Polizei in Formation durch die Ansammlung, augenscheinlich in der Hoffnung, dass es mit jedem Mal weniger Personen werden. Insgesamt 48 Personen wurden festgenommen, gegen sie wird unter anderem wegen besonders schwerem Landfriedensbruches ermittelt.
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