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Angegriffen wegen Händchenhalten
Antigewaltprojekt meldet 23 lesbenfeindliche Vorfälle für vergangenes Jahr – Hohe Dunkelziffer
Für das vergangene Jahr wurden in Berlin 23 lesbenfeindliche Vorfälle gemeldet, teilte das Antigewaltprojekt L-Support am Donnerstag mit. Es sei jedoch davon auszugehen, dass sehr viel mehr Menschen von lesbenfeindlicher Gewalt betroffen sind. »Wir schätzen das Dunkelfeld auf über 90 Prozent«, so Projektleiterin Sabine Beck bei der Vorstellung der Jahreszahlen. Diese werden seit 2016 erhoben und wurden in diesem Jahr erstmals öffentlich vorgestellt. Bei den meisten Fällen handle es sich um Beleidigungen. »Einige Betroffene wurden auch angespuckt oder ihnen wurde vor die Füße gespuckt«, so Beck.
Angst, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen
Die Gewalt gegen Lesben und Queers werde häufig bagatellisiert oder nicht als solche wahrgenommen. »Viele Frauen sind es gewohnt, sexistisch und oder lesbenfeindlich angegangen zu werden und nehmen abwertende Sprüche und Gesten oft als unerfreulichen Teil des Alltags wahr «, berichtet Sabine Beck. »Frauen denken oft, das war nur ein blöder Spruch. Das ist es nicht, es ist eine Gewalttat mit Konsequenzen für die Betroffenen«, so Beck. So würden sich viele nicht mehr trauen, ihre sexuelle Identität offen zu zeigen und etwa Händchen halten mit einer gleichgeschlechtlichen Partnerin in der Öffentlichkeit vermeiden: »Viele lesbische, bisexuelle und queere Frauen entscheiden sich als Reaktion auf die Omnipräsenz von Belästigungen und Gewalt bewusst dazu, im öffentlichen Raum nicht als solche sichtbar zu sein, um sich vor Übergriffen zu schützen.«
Täter überwiegend männlich
Die Täter sind mit 87,9 Prozent überwiegend männlich, die Opfer definieren sich zu 81,1 Prozent als weiblich, andere auch als »anders« oder non-binary, also weder ausschließlich männlich noch weiblich. Dabei werden nicht nur Lesben Opfer von Lesbenfeindlichkeit, auch Heterofrauen*, die als lesbisch wahrgenommen werden, erfahren Gewalt. So definierten sich 76,5 Prozent der Betroffenen als homosexuell, 14,7 Prozent als queer und 5,9 Prozent als heterosexuell. »Die Übergriffe ereignen sich größtenteils in Alltagssituationen, also beim Einkaufen oder auf der Straße«, so Beck. Die meisten Betroffenen fühlten sich wütend und machtlos.
Sexuelle Vielfalt sichtbarer machen
Der Verein fordert bessere Sicherheitskonzepte für den öffentlichen Raum, etwa durch eine Sensibilisierung von Sicherheitskräften. Gleichzeitig müsse geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in den Medien, in der Politik und in der Bildung stärker repräsentiert werden, um Vorurteilen entgegenzuwirken.
Insgesamt beobachtet die Beratungsstelle eine gesteigerte Anzeigebereitschaft. Bei der Berliner Polizei gibt es zwei Ansprechpersonen für LSBTI, also Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans- und intergeschlechtliche Menschen. Damit soll sexuellen Minderheiten das Erstatten einer Anzeige nach einem Übergriff erleichtert werden. Homofeindliche Tatmotive werden zudem gezielt öffentlich gemacht. Zuletzt zeigten vergangenen Freitag zwei Radfahrerinnen einen Autofahrer an, der sie in Kreuzberg lesbenfeindlich beschimpft haben soll.
L-Support will diese lesbenfeindliche Gewalt sichtbar machen und bietet auch in der Pandemie Beratungen für gewaltbetroffene lesbische, bisexuelle und queere Frauen an – sowohl anonym online als auch persönlich.
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