Zu viel Fruchtjoghurt

Zum Welttag des Buches

  • Mario Pschera
  • Lesedauer: 3 Min.

Dem Buch geht es gut. Dem Buch geht es schlecht. Auf diesen einfachen Nenner lässt sich die Situation auf dem sogenannten Buchmarkt bringen, am »Welttag des Buches«. Das könnte man bequemerweise auf die coronabedingten Schließungsverordnungen zurückführen, die Buchhandlungen wie alle anderen Kulturinstitutionen in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung hinter Nagelstudios und Tätowierbuden einordneten. Lediglich Sachsen-Anhalt und Berlin erklärten den Buchhandel zur Grundversorgung und gestatteten den Vorortverkauf. In allen anderen Bundesländern gab es ein Auf und Ab von Schließungen und Öffnungen. Investitionen in den Infektionsschutz wurden von einem Tag auf den anderen obsolet, stationäre Händler zu Onlineversendern oder fuhren auch schon mal mit dem Fahrrad ihre Waren aus. Mit einem enormen Arbeitsaufwand versuchten sie dem Wegbrechen ihres Geschäftes zu trotzen. Doch selbst wenn der Umsatz stieg, sank der Ertrag oft auf knapp über null.

Was sind die Ursachen? Das Geschäftsmodell Amazon ist nur ein Katalysator für das »freie Spiel der Marktkräfte«. Ein Blick zurück in die Historie: 1888 wurde durch den Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Buchpreisbindung festgeschrieben. Sie besagt, dass ein Buch zu einem vom Verlag festgelegten Preis verkauft wird und erst nach einer Mindestzeit von 18 Monaten zu einem verbilligten Festpreis abgegeben werden darf. Damit sollte ein Unterbietungswettbewerb unter den Verlagen und der Druck durch Konditionen seitens großer Händler verhindert werden. Die Monopolkommission kam schon zweimal, 2000 und 2018, zu dem Schluss, dass das Kulturgut Buch durch eine Freigabe der Preise nicht gravierend gefährdet sei. Der Bundestag folgte dieser Empfehlung glücklicherweise nicht.

Ein Blick auf Großbritannien nach Ende der dortigen Buchpreisbindung zeigt, dass die freien Marktkräfte in kurzer Frist kleinere Buchhandlungen und Verlage zur Aufgabe zwingen. Indessen machen die privatisierte Post und deren Tochter DHL Verlagen und kleineren Buchhandlungen das Leben schwer. 2019 wurde die Büchersendung abgeschafft, als Warensendung wurde sie von einem Euro auf 1,90 Euro verteuert. Für eine Sendung nach Österreich muss man sich als Vielversender registrieren, sonst werden 9 Euro für ein mittelschweres Buch fällig. Massenversender wie Amazon hingegen erhalten satte Sonderkonditionen.

Gefahren lauern auch innerhalb der Branche. Die Preisbindungsvorschriften sehen vor, dass der Abgabepreis der Verlage an Buchhändler nicht weniger als 50 Prozent des Endpreises betragen darf. Findige Barsortimente und große Ketten versuchen immer wieder, an der Schraube zu drehen, indem sie beispielsweise Transportkosten auf die Verlage bzw. deren Auslieferungen abwälzen möchten. Manche Ketten verlangen ungeniert »Werbekostenzuschüsse« - im Klartext: ein Verlag soll dafür bezahlen, dass sein Buch in der Buchhandlung geführt wird. »Thalia« platziert prominent ganze Tische chinafreundlicher Titel und Staatsführerbiografien gegen Entgelt. Dem Einwand, dass hier offen staatliche Propaganda gefördert würde, entgegnet »Thalia«, dass man auch kritische Literatur führe, nur in weniger prominenten Ecken.

Der verstimmte Kunde könnte natürlich eine leserorientierte Einzelbuchhandlung aufsuchen. Nur: Seit langem kapern aggressive Filialisten den Markt. Der inhabergeführten Buchhandlung setzt man überdimensionierte Verkaufsflächen vor die Nase. Wird diese Filiale wieder zurückgebaut, weil sie nicht rentabel ist, hat der kleine Konkurrent schon längst aufgegeben. Ganze Landstriche in Ostdeutschland wurden so »bereinigt«, und auch in Westdeutschland gedeiht das Geschäft mit »Zukäufen« und Verdrängung.

Und die Vielfalt? Talkshowgastaufsätze, »Schnelldreher« und Massenware verdrängen die Literatur, die Zeit und Raum für den Diskurs braucht. Der Literaturkritiker Jan Drees bringt das Elend mit diesem Satz auf den Punkt: »Viele Romane haben inzwischen das mediale Haltbarkeitsdatum eines durchschnittlichen Fruchtjoghurts.« Und allzuoft schmeckt man das künstliche Aroma heraus. Für engagierte Kulturpolitiker gibt es eine Menge dicker Bretter zu bohren, um dem Kulturgut Buch die Zugänglichkeit und damit das Überleben zu sichern.

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