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Sammeln im Außenbezirk
Deutsche Wohnen & Co enteignen startet Offensive außerhalb der Innenstadt
»Ich habe mir sagen lassen, hier in Marzahn herrsche ein eher rauer Berliner Charme«, sagt Hannes Strobel von der Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen. »Also ist es wichtig, freundlich auf die Leute zuzugehen«, glaubt er. Acht Aktivist*innen stehen an diesem Samstag im Kreis vor dem Haupteingang des Einkaufszentrum Eastgate am S-Bahnhof Marzahn und streifen sich die violett-gelben Aktionswesten über. Die Kampagne hat eine »Außenbezirke-Woche« ausgerufen: »Während wir in den Innenstadtbezirken schon sehr viele Unterstützer erreicht haben, ist das in den Außenbezirken nicht so. Dabei wohnen außerhalb des S-Bahn-Rings rund zwei Drittel aller Berliner*innen«, erklärt Strobel. Strobel ist Mitglied bei der AG Starthilfe und im Moment dabei, ein Kampagnen-Kiezteam in Marzahn-Hellersdorf aufzubauen.
Seit Ende Februar sammelt die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen in Berlin Unterschriften. Ziel ist, parallel zur Abgeordnetenhaus- und Bundestagswahl im September eine Volksabstimmung zu erreichen. In dieser sollen möglichst viele Berliner*innen dafür stimmen, dass große Immobilienunternehmen mit jeweils mehr als 3000 Wohnungen vergesellschaftet werden. Rund 100 000 Unterschriften hat die Kampagne nach eigenen Angaben bereits gesammelt - insgesamt müssen es bis zum 26. Juni 175 000 sein.
»Weil erfahrungsgemäß bis zu ein Drittel der Unterschriften ungültig sind, sammeln wir natürlich mehr«, erklärt Hannes Strobel. Zumal nur Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft unterschreiben dürfen, die Kampagne aber allen Befürworter*innen eine Stimme geben will. Sorgen, das Sammelziel nicht zu erreichen, macht Strobel sich nicht. »Nach der Mietendeckel-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts haben wir einen echten Run auf unsere Unterschriftensammler und -sammlerinnen erlebt.«
Am Samstag ist Strobel mit Aktiven der Berliner Mietergemeinschaft unterwegs. Philipp Möller ist Mitarbeiter bei der Vereinszeitschrift »MieterEcho«. Er will sich praktisch betätigen: »Ich wohne in Wedding. In den letzten Wochen habe ich bereits geholfen, ein Kiezteam in Reinickendorf aufzubauen, und jetzt sind wir halt in Marzahn unterwegs.« Sein Ziel: »Die Gegenseite wird alles aufbieten, was geht. Darum brauchen wir möglichst viele Kontakte und Unterstützer*innen. Und vielleicht ist da ein Gespräch sogar letztlich wichtiger als eine Unterschrift.«
Um das Eastgate mit seinen geschwungenen Formen weht an diesem Samstag ein kalter, rauer Wind. Nur ab und zu lugt die Sonne zwischen den Wolken hervor. Die Aktivist*innen treten von einem Bein auf das andere. »Lass uns anfangen«, sagt einer. Bevor es endlich losgeht, gibt es noch ein kleines Rollenspiel, um die ungewohnte Situation zu trainieren. »Es ist eigentlich ganz einfach«, erklärt Hannes Strobel und gibt ein paar Beispiele, für einen ersten Satz, um das Eis zu brechen. »Am besten in Kontakt kommen wir, wenn wir die Leute in ein Gespräch verwickeln. Meine Regel ist immer: 30 Prozent reden, 70 Prozent zuhören.«
Dann teilen sich die Aktivist*innen in Zweiergruppen auf, jede*r bekommt ein Klemmbrett mit den Unterschriftenlisten und etwas Infomaterial. Philipp Möller steht mit der Mieteraktivistin Birgit, die lieber nur mit ihrem Vornamen in der Zeitung auftauchen möchte, an einem Seiteneingang des Einkaufszentrums. Rings herum erheben sich zehnstöckige Genossenschaftswohnungen. Aber auch die Deutsche Wohnen hat hier Bestände, weiß Möller.
Von Weitem ruft plötzlich jemand: »Euch sollte man umbringen!« Die meisten Reaktionen sind aber positiv. Gleich darauf rollt ein Herr im Elektrorollstuhl heran. »Kann ich hier unterschreiben?«, fragt er unumwunden. Birgit hält ihm das Klemmbrett mit den Listen hin. »Brauchen sie noch Infos?«, fragt sie. »Nein, nein, das kenne ich schon«, sagt er und trägt seine Daten in die Liste ein. So könnte es weitergehen.
Zwischendurch kommt eine Passantin vorbei und berichtet von Postwurfsendungen, die die CDU hier verschickt habe, dass man nicht unterschrieben soll. »Genossenschaften stärken. Enteignungen nicht unterschreiben«, habe da drauf gestanden. »Das hat mich empört und viele meiner Nachbarn verunsichert«, berichtet sie. Möller klärt auf: »Nein, nein, die Genossenschaften sind explizit ausgenommen von den Enteignungen.«
Nach knapp zwei Stunden bläst Strobel zum Ende der Sammelaktion. Bei einer Abschlussrunde fragt er nach den Erfahrungen. »Ich hätte es mir schwieriger vorgestellt«, zeigt sich Philipp Möller erfreut. Auch Julia Scharf vom Kreisverband der Grünen, die später dazugestoßen ist, zeigt sich zufrieden: »Ich habe sogar ein paar Eigenheimbesitzer überzeugen können, zu unterschreiben. Wenn ich Zeit finde, werde ich mich wieder beteiligen.« Hannes Strobel ist erleichtert: »Obwohl einige doch recht schroff waren, bin zuversichtlich nach der Erfahrung heute.«
Interessent*innen aus Marzahn-Hellersdorf können sich an marzahn@dwenteignen.de wenden . Aktiventreffen finden jeden 2. Montag digital statt.
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