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Neue Ära in neuer Dimension
Der Wechsel von Julian Nagelsmann zum FC Bayern ist historisch - und reißt in Leipzig eine weitere Lücke
In den allermeisten Fällen versendet der FC Bayern München Pressemitteilungen penibel zur vollen Stunde. Diesmal aber zeigte die Uhr 10.42 an. Diese Nachricht konnte nicht länger warten: RB Leipzig-Trainer Julian Nagelsmann tritt am 1. Juli in München die Nachfolge von Hansi Flick an. Flicks noch bis 2023 laufender Vertrag wird aufgelöst, wie die Münchner ebenfalls wissen ließen. Für den seit November 2019 beim FC Bayern amtierenden Chefcoach ist damit der gewünschte Weg frei, um nach der EM im Sommer die Nachfolge von Bundestrainer Joachim Löw anzutreten. Eine Ablöse wird dafür nicht mehr fällig. Diese hatte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) stets ausgeschlossen. Ob Flick auf Gehalt oder Prämien verzichtet oder Entschädigungen geleistet werden, teilte der FC Bayern lieber nicht mit.
Was Nagelsmann anging, wirkte es derweil ein bisschen so, als könne es den Bayern gar nicht schnell genug gehen, die frohe Kunde zu überliefern, die sich am Montag schon inoffiziell übers ganze Land verbreitet hatte. Es schien, als sei am bajuwarischen Hofe eine sich anbahnende Traumhochzeit perfekt geworden, von der das Volk schnellstmöglich unterrichtet werden sollte. Der aufstrebende und umschwärmte Prinz Nagelsmann, 33, und die Monarchenfamilie des ruhmreichen FC Bayern, 121, wirkten in großer Eile und bis über beide Ohren ineinander verliebt. Für dieses Bild sprach auch, dass sie sich vertraglich gleich derart fest in die Arme schlossen, dass sich der bisherige Partner Flick, 56, nach seiner eigenmächtigen Abschiedsankündigung fast ein wenig wie ein Verstoßener vorkommen musste. Nagelsmann jedenfalls erhält einen Vertrag über fünf Jahre bis zum 30. Juni 2026. Flick erhielt immerhin offizielle Danksagungen für die bisher sechs gesammelten Titel.
»Allein schon Julians Vertragslaufzeit von fünf Jahren zeigt, wie sehr er sich mit dem FC Bayern identifiziert«, sagte Vorstand Oliver Kahn und verwies damit auf Nagelsmanns große Sympathie für den Verein seit seinen Kindheitstagen in Landsberg am Lech unweit von München. Er sei überzeugt, dass man »sehr erfolgreich« zusammenarbeiten werde, so Kahn weiter. Am 1. Januar 2022 wird Kahn die Geschäfte von Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge vollständig übernehmen, der in der Mitteilung nicht zitiert wurde - ein Hinweis darauf, dass Nagelsmann schon als Kahn-Personalie wahrgenommen werden soll. Der Leipziger Coach, dem Bayerns Präsident Herbert Hainer eine bereits »beeindruckende Laufbahn« attestierte, berichtete am Dienstagnachmittag von sehr schnell abgeschlossenen Telefongesprächen über seinen Wechsel. »Recht kurz und schmerzlos« seien die Unterredungen gewesen, sagte er in einer Videokonferenz.
Das lag auch daran, dass sich die Parteien von vornherein sehr einig waren, miteinander arbeiten zu wollen. Inhaltliche Vereinbarungen habe es noch gar nicht gegeben, erzählte Nagelsmann weiter, er sagte: »Ohne dass ich das schriftlich habe, weiß ich, was auf mich zukommt.« Bedenken zum Übergang in »die andere Welt« beim FC Bayern oder gar Angst vor der Arbeit mit dem Starensemble habe er nicht. Er verspüre schlicht »Respekt«, aber auch »Überzeugung«, wie vor jeder neuen Aufgabe. Den Leipzigern versprach er, sich zum Abschied um den Gewinn des DFB-Pokals zu bemühen. Und danach, für seinen Umzug zu seiner bereits bei München wohnenden Familie, werde er »keinen Bus mieten und noch ein paar Spieler einpacken«, wie er scherzte.
Leipzigs Innenverteidiger Dayot Upamecano hatten die Bayern allerdings schon zuvor für 42,5 Millionen Euro zur kommenden Saison verpflichtet. An zwei sehr wichtigen Positionen haben sie damit Löcher in die Belegschaft des Konkurrenten gerissen. Zudem verriet Nagelsmann, dass er auch seine langjährigen Assistenten Benjamin Glück und Timmo Hardung mit nach München nehmen werde, wie 2019 bereits von Hoffenheim nach Leipzig. Mehr Überläufer nach München soll es aber nicht geben. »Alles andere kostet dann noch mal 30 Millionen«, witzelte Leipzigs Vorstandschef Oliver Mintzlaff, der zuvor schon über die Rekordablöse für Nagelsmann angemerkt hatte: »Für 23 Millionen hätten wir ihn nicht gehen lassen.«
Unabhängig von der genauen Summe ist Nagelsmanns Wechsel definitiv der teuerste Trainertransfer der Welt - weit vor dem des Portugiesen André Villas-Boas, der 2011 mit ebenfalls 33 Jahren vom FC Porto zum FC Chelsea überlief und rund 15 Millionen Euro Ablöse gekostet haben soll. Seine Amtszeit in London endete aber noch vor dem Saisonende. Das soll Nagelsmann nun nicht passieren.
Die hohe Ablöse und die lange Vertragslaufzeit bedeuten einen großen Vorschuss an Vertrauen und zugleich wohl auch, dass sie sich in München absichern wollen gegen die neuen Gegebenheiten auf dem Trainermarkt mit den zunehmenden Abwerbungen. Vor allem aber bedeutet die langfristige Vereinbarung, dass sie mit Nagelsmann eine neue Ära planen. Und vielleicht stellt sich so eine nun auch mit Flick als Bundestrainer ein.
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