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Her mit dem inklusiven Leben!
Behindertenparlament will mehr Beteiligung und übergibt Anträge mit Forderungen an Landespolitik
Rund eine halbe Million Menschen mit Behinderungen leben in Berlin - und sind von Entscheidungen der Landespolitik betroffen. Trotzdem seien sie nicht direkt in politische Entscheidungsprozesse eingebunden, kritisiert Gerlinde Bendzuck, Vorsitzende der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin anlässlich des europäischen Protesttages zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen an diesem Mittwoch. »Wir brauchen mehr strukturelle Beteiligungsrechte für Menschen mit Behinderungen«, sagt sie. Dafür sei aktuell ein guter Moment, denn das Landesgleichberechtigungsgesetz werde gerade novelliert.
»Vieles ist schon sehr gut in diesem Gesetz, aber bei der politischen Beteiligung muss noch nachgebessert werden«, sagt Bendzuck. Zum Beispiel sei es ein Problem, dass der Landesbeirat für Menschen mit Behinderungen nur beratend gegenüber der Landesbeauftragten tätig sei, und diese wiederum beratend für die Landesregierung. »Da fehlt die direkte Beteiligung«, sagt die Selbsthilfevorsitzende. In vielen Bundesländern berate der Landesbeirat die Regierung direkt, und es gebe eine Anhörpflicht, die in Berlin noch fehle.
Im Berliner Behindertenparlament organisieren sich Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten, um ihre Forderungen in die Landespolitik einzubringen. Seit vergangenem Jahr arbeiten Gruppen an Anträgen mit konkreten Forderungen zur Verbesserung der eigenen Lebensbedingungen in der Stadt. »In den Fokusgruppen haben Vertreter*innen aus Verbänden, Selbsthilfeorganisationen und einzelne Aktivist*innen zusammengearbeitet. Die politische Arbeit ist für viele eine empowernde Erfahrung«, sagt Bendzuck.
Über die erarbeiteten Anträge konnten alle Berliner*innen zwei Wochen lang digital abstimmen; die angenommenen Anträge wurden am Mittwoch den Vertreter*innen aus der Landespolitik vorgestellt. Dabei geht es unter anderem um Inklusionstaxen, barrierefreien Wohnraum, gute Schulen für alle, inklusive Wege in die Arbeitswelt sowie die Stärkung von Beschäftigten in Werkstätten.
Eines der drängendsten Themen des Behindertenparlaments ist die barrierefreie Gesundheitsversorgung in der Pandemie. Hier gebe es viele Probleme, die zu spät bis gar nicht angegangen worden seien, sagt Gerlinde Bendzuck. Ein Beispiel: Menschen, die auf Assistenzen oder Gebärdensprachdolmetschende angewiesen sind, hätten oft mit Schwierigkeiten und bürokratischen Hürden zu kämpfen, um ihre Unterstützung mit in die Impfzentren nehmen zu können. »Wir haben etwa 8000 gehörlose Menschen in Berlin. Die Kostenübernahme für eine Übersetzung der Impfaufklärung im Impfzentrum ist bis heute nicht geklärt«, sagt die Selbsthilfevorsitzende. Sie sieht die Kassenärztliche Vereinigung in der Pflicht, ihrem Sicherstellungsauftrag in der Berliner Gesundheitsversorgung nachzukommen.
»Betroffene werden nicht einbezogen. Es ist keine Interessensvertretung für Menschen mit Behinderungen in den Krisenstab der Senatsverwaltung für Gesundheit eingebunden. Wir werden und wurden nicht gefragt«, kritisiert Bendzuck. Ein weiteres Beispiel sei die Internetplattform zum Buchen von Schnelltests in Berlin. Diese sei für Sehbehinderte nicht barrierefrei, und es sei schwierig herauszufinden, welche der Teststellen für Rollstuhlfahrende zugänglich ist. »Das zeigt, dass noch längst nicht erreicht ist, dass Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten hier gleichberechtigt am Gesundheitssystem teilhaben können«, so Bendzuck.
Eine andere Fokusgruppe hat einen Antrag zu Zugängen zum Arbeitsmarkt erarbeitet. Dort üben Selbstvertreter*innen heftige Kritik an der Agentur für Arbeit. »Es gibt einen neuen Ansatz zur Einstufung von Behinderungen, der von der UN vorgeschlagen wird. Aber die Agentur für Arbeit geht immer noch ihren uralten Weg seit 30 Jahren und setzt diese Anforderungen bis heute nicht durch«, so Dominik Peter, Vorsitzender des Berliner Behindertenverbandes. Im Kern gehe es um den Umstieg von einem medizinischen zu einem menschenrechtlichen Modell, sagt er.
Peter erzählt von einem kompetenten jungen Mann, der eine Ausbildung im Bereich Neue Medien machen wollte. »Mehrere Termine bei der Arbeitsagentur endeten damit, dass die Sachbearbeiterin gesagt hat: Gehen Sie doch bitte in eine Behindertenwerkstatt«, so Peter. Das habe der Betroffene aber nicht gewollt. »Das eigentliche Wunsch- und Wahlrecht, das diese Person hatte, wurde überhaupt nicht berücksichtigt.« Die Angestellten bei der Agentur für Arbeit würden es sich zu einfach damit machen, Menschen in Werkstätten »abzuschieben«, sagt er. »Dagegen müssen wir vorgehen.«
Er freut sich, dass sich Hunderte an der Abstimmung der Anträge beteiligt und Kommentare hinterlassen haben, auch Menschen ohne Behinderung und ohne betroffene Menschen in ihrem Umfeld. »Wenn wir die ganze Stadtgesellschaft mit unseren Themen ansprechen und sensibilisieren können, bringt uns das enorm weiter«, so Peter.
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