- Berlin
- Flughafen Tegel
Alles auf neu
Aus dem Flughafen Tegel wird Berlins Zukunftslabor
In Berlin ist in dieser Woche in aller Stille das letzte Kapitel der Verkehrsluftfahrtgeschichte der Stadt zu Ende gegangen. Rund 112 Jahre, nachdem auf einer Rasenpiste in Johannisthal erstmals der kommerzielle Flugbetrieb begann, hat Berlin keinen eigenen Flugplatz mehr. Am 4. Mai 2021 um 24 Uhr ist in Tegel die Betriebsgenehmigung des »Otto-Lilienthal«-Airports (TXL) erloschen.
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup, erinnerte aus diesem Grund auf einer Abschiedsrunde durch das leerstehende Terminalgebäude und über das verwaiste Flugfeld an die große Zeit des Airports. »Tegel hat für Berlin Großes geleistet«, sagte er. »1961, im ersten Jahr, hatten wir hier 100 000 Passagiere. 1975, kurz bevor das neue Terminal eröffnet wurde, schon zwei Millionen.« Im letzten Volllastjahr, 2019, seien dann sagenhafte 24,3 Millionen Fluggäste abgefertigt worden. »Tegel hat seine Funktion bis zum letzten Tag sehr gut erfüllt«, sagte er. »Wir machen jetzt den Weg frei für eine neue Ära.«
- Am 4. Mai 2021 ist die Betriebserlaubnis für den Flughafen Berlin-Tegel »Otto Lilienthal« erloschen. Als Militärflugplatz 1948 gebaut, war er der französische Beitrag zur Sicherstellung der alliierten Luftbrücke und ein Eckpfeiler der Versorgung Westberlins.
- Berlins erster kommerzieller Flugplatz eröffnete 1909 in Johannisthal. Es folgten der spätere Flughafen Tempelhof und die nur zeitweise zivil genutzten Plätze in Staaken, und Gatow. Sie alle sind längst Geschichte.
- Der im Oktober 2020 eröffnete Hauptstadtflughafen BER befindet sich auf Brandenburger Gebiet am Standort des einstigen DDR-Flughafens Berlin-Schönefeld.
- Die denkmalgeschützten Flughafengebäude von Tegel sollen Mittelpunkt der »Urban Tech Republic« werden, eines ab 2027 entstehenden Hochschul-, Forschungs- und Industrieparks mit 20 000 Beschäftigten und 2500 Studierenden.
- Im Schumacher-Quartier soll ab 2021 ein Stadtteil mit 5000 Wohnungen für bis zu 11 000 Menschen realisiert werden. Die innovative Bauweise könnte vor Ort eine Holzbauhütte begleiten, das Holz aus dem Umland eine »Forschungsfabrik« in der »Urban Tech Republic« verarbeiten.
Tegel war der letzte Verkehrsflughafen auf Berliner Stadtgebiet. Wie 13 Jahre zuvor Tempelhof musste er laut Planfeststellungsbeschluss von 2004 nach dem Neubau eines »Single Airports« für die Hauptstadtregion schließen. Und dieser am 31. Oktober 2020 eröffnete Flughafen Berlin-Brandenburg »Willy Brandt« (BER) befindet sich nun einmal in der Gemeinde Schönefeld im Brandenburger Landkreis Dahme-Spreewald.
Mit der Luftfahrt kam der spätere TXL-Standort schon in der Kaiserzeit in Berührung. 1900 war das 1. Preußische Luftschiffer-Bataillon von Tempelhof hierher verlegt worden. Das Areal, lange als Schießplatz und Übungsgelände genutzt, diente ab 1930 für Raketentests. Im Zweiten Weltkrieg waren dort Fliegerabwehrbatterien stationiert.
Als Reaktion auf die sowjetische Blockade der Westsektoren Berlins hatte die zuständige französische Militärverwaltung 1948 in Tegel in nur 90 Tagen einen leistungsfähigen Militärflughafen aus dem Boden gestampft. In den 1960er Jahren wurde der dann auch für den zivilen Luftverkehr geöffnet, die ersten Linienflüge bot Air France. Den 1966 ausgeschriebenen Wettbewerb für den Neubau des Verkehrsflughafens gewann das Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner. Gebaut zwischen 1970 und 1975, machte das Zentralgebäude mit dem Sechseck des Terminals A und dem markanten Tower den nutzerfreundlichen City-Airport »der kurzen Wege« zum Markenzeichen Westberlins. Nach dem politischen Umbruch in der DDR und dem Ende des Vier-Mächte-Status Berlins durfte im Oktober 1990 erstmals auch die Lufthansa Tegel anfliegen und Linienbetrieb anbieten.
Vor allem für Westberliner war Tegel ihr »Tor zur Freiheit« und bequemer Reiseflughafen. Seine Schließung mochten viele kaum hinnehmen, während Anwohner aufatmen. Coronabedingt hatte Tegel schon vor einem Jahr die »zeitweise Stilllegung« gedroht.
Einen »Schlummerbetrieb« von sechs Monaten hatte der Gesetzgeber Tegel ab der Inbetriebnahme der südlichen Start- und Landebahn des BER am 4. November 2020 vorgeschrieben. Tatsächlich endete der Luftverkehr erst vier Tage später mit dem letzten Start einer Air-France-Maschine nach Paris. Danach musste der Airport für den Fall, dass es am BER Problem gibt, noch für ein halbes Jahr betriebsbereit gehalten werden. So musste die Flughafengesellschaft alle Flugbetriebsfunktionen, die Energie- und Wasserversorgung, Beleuchtung und Kommunikation aufrechterhalten. 20 Mitarbeiter setzte sie für die Wartung und Instandhaltung ein. Auch Bundespolizei, Deutscher Wetterdienst und Flugsicherung hatten Personal vor Ort.
Seit Schließung des Airports läuft der Rückbau. Während Terminal C inzwischen als Impfzentrum dient, wurden das Behelfsterminal C3, die Fußgängerbrücke zwischen den Terminals A/B und C, die Transfergepäckhalle, die VIP-Lounge am Terminal A und das Zollgepäcklager schon abgerissen. Läden und Gastronomie sind geräumt. Drei Millionen Euro hat der Rückbau bisher gekostet, bis zur Übergabe des Geländes und aller 130 Gebäude und Anlagen an Berlin und den Bund zum 8. August werden weitere drei Millionen Euro fällig. Rechnet man den weiteren Rückbau und die laufende Altlasten- und Kampfmittelbeseitigung dazu, summieren sich die Kosten auf insgesamt neun Millionen Euro.
Vor dem letzten Schichtende übergab die Flugsicherung den Schlüssel zum Tower symbolisch an Philipp Bouteiller. Als Chef der landeseigenen Tegel Projekt GmbH leitet er die Umgestaltung des Areals, das bis 2027 zum Kern des künftigen Wissenschafts-, Forschungs- und Industriecampus »Urban Tech Republic« werden soll. In das Hauptgebäude werden bald die Beuth-Hochschule für Technik und ein Start-up-Center einziehen. Im Umfeld entstehen Forschungslabore, Industrie, Gewerbe und ein Landschaftspark. Zusammen mit dem Schumacher-Quartier, in dem Tausende Wohnungen in Holzbauweise gebaut werden, soll schließlich ein komplett klimaneutrales Stadtviertel neu entstehen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.