Die Antwort an das Querdenker-Deutschland

Was wäre, wenn Sophie Scholl ein Profil in den Sozialen Medien gehabt hätte?

  • Lena Fiedler
  • Lesedauer: 5 Min.

Eine junge Frau schaut in die Kamera und sagt: «Jetzt gerade fühle ich mich ein bisschen einsam, nicht mal Hans ist da.» Ein Seufzer. «Ich würde so gerne mal wieder feiern ohne Schuldgefühle, mit Birnenschnaps und echtem Kaffee, einfach mal ohne Angst in die Zukunft schauen.» Die Frau, die sich nach einem normalen Leben sehnt, ist hier Sophie Scholl, die Widerstandskämpferin der Weißen Rose. Das Video ist auf ihrem Instagram-Kanal @ichbinsophiescholl zu finden. Es ist natürlich nicht wirklich ihr Kanal: Sophie Scholl, ihr Bruder und andere Mitstreiter*innen der Weißen Rose wurden 1941 von den Nazis ermordet, nachdem sie Flugblätter verteilten, die zum Sturz des NS-Regimes aufriefen. Aber Scholls Gedanken und Erfahrungen werden für die Plattform nacherzählt, so als ob es damals schon Instagram gegeben hätte.Und das mit Erfolg. Obwohl der Kanal seit wenigen Tagen online ist, folgen ihm schon mehr als 340 000 Menschen.

«@Ich bin Sophie Scholl» ist ein Projekt vom SWR und BR, das anlässlich des 100. Geburtstags von Sophie Scholl (der am 9. Mai war) die letzten zehn Monate ihres Lebens in Echtzeit nacherzählt: Seit dem 4. Mai teilt Scholl jeden Tag Geschichten und Fotos aus ihrem Alltag in der NS-Zeit: Wie sie in München ankommt, anfängt zu studieren und schließlich an der Seite ihres Bruder zur Widerstandskämpferin wird. Sie liest die ersten Flugblätter laut in die Kamera, bestärkt ihren Bruder in seinen Ideen und schreitet schließlich selbst mutig zur Tat.

Die Schweizer Schauspielerin Luna Wedler spielt Sophie Scholl eindringlich, aber auch nahbar – das funktioniert für Instagram sehr gut. Zwischen Videos plappernder Influencer und geteilten Memes sprechen die Videos des Kanals mit einer Emotionalität, die viele Menschen berührt. Unter ihren Beiträgen schreiben viele Menschen, wie schön sie das Projekt finden, und dass sie sich nur für diesen Kanal einen Instagram-Account zugelegt haben. Die Idee, neben den Büchern und Filmen, die schon über das Leben Sophie Scholls produziert werden, ein Projekt zu starten, das junge Menschen dort abholt, wo sie sind, nämlich auf sozialen Netzwerken, scheint aufzugehen.

In den Videos kommt man ihr auch persönlich sehr nah und erfährt Einzelheiten aus ihrem Leben, die es nicht in die Schulbücher geschafft haben. Wie gern sie Flöte gespielt hat, zum Beispiel. Oder, dass ihr Bruder Hans sie «der Soffer» nannte. Wie lebensfroh sie war. Und wie sie über die Liebe dachte. Man lernt sie dabei nicht nur als politische Widerstandskämpferin, sondern auch als Menschen näher kennen, mit Hoffnungen, Ängsten und Träumen. Die Videos, Fotos und Postings, die auf dem Instagram-Kanal erscheinen, bestehen aus Archivmaterial und Illustrationen oder basieren auf den Briefen und Aufzeichnungen, die Sophie Scholl von 1937 bis zu ihrer Ermordung 1943 schrieb.
Nicht alle scheinen jedoch die suggestive Wirkung der Videos richtig einschätzen zu können. Unter ihren Beiträgen schreiben Abonnent*innen Kommentare wie «»Sei vorsichtig in München, liebe Sophie, da saß ich auch schon mal im Gefängnis« oder »Verteile bitte keine Flugblätter«. Kann der Versuch, Sophie Scholl auf einer Plattform wie Instagram abzubilden, ihrem Andenken gerecht werden? Natürlich kann man kann Geschichte auch gut und ansprechend erzählen. Das muss man auch, gerade um Menschen anzusprechen, die nicht direkt zu Büchern greifen.

Auch wenn das Projekt nicht vergleichbar mit einer historischen Aufarbeitung der Weißen Rose ist (für die Distanz zu ihrem Forschungsgegenstand wichtige Voraussetzung ist), schafft das Projekt es, Interesse für Sophie Scholl zu wecken, selbst bei Menschen, die im Schulunterricht das Gefühl hatten, schon genug über Nazi-Deutschland gelernt zu haben. Den Macher*innen des Projekts ist es gelungen, Sophie Scholl als Menschen darzustellen. Das ist viel wert, gerade in einer Zeit, in der Coronaleugner*innen und Verschwörungstheoretiker*innen in Deutschland versuchen, das politische Erbe des Widerstands zu vereinnahmen.

So verglich sich im November 2020 eine Jana aus Kassel auf einer Querdenken-Demo mit Sophie Scholl, weil sie Flugblätter verteile und Veranstaltungen gegen das Infektionsschutzgesetz veranstalte. Gerade, weil solche Videos auch auf Instagram tausendfach geteilt werden, ergibt es Sinn, diesen Inhalten etwas entgegenzusetzen. Man könne mit einer Serie auf Instagram Neugier wecken, sich weiter mit der Geschichte der Weißen Rose zu beschäftigen. Obwohl die Arbeiten zur Serie früher begonnen haben, scheint es jetzt so, als würde das Projekt auf das Deutschland der Querdenker reagieren. Obwohl Instagram von vielen für Selbstvermarktung und Werbung genutzt wird, heißt es nicht, dass es nicht eine Plattform für politischen Austausch sein kann. Bereits jetzt nutzen viele Menschen sie für Protest. Sie mobilisieren für Enteignungsdemos oder teilen die Namen der Ermordeten von Hanau.

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Womöglich ist es in diesem Fall nicht so, wie der Kommunikationswissenschaftler Marshall McLuhan sagte: »Das Medium ist die Botschaft«. Denn der Inhalt einer Aussage wird zwar durch das Medium beeinflusst, über das sie vermittelt wird, aber nicht bestimmt. Die Serie »Ich bin Sophie Scholl« muss nicht flach sein, nur weil sie auf einer Plattform veröffentlicht wird, die für Oberflächlichkeiten bekannt ist. Wie gut die Serie die Balance zwischen Entertainment und politischer Bildung zu halten weiß, bleibt abzuwarten. Die Herausforderung liegt darin, mehr zu tun, als Scholls Zitate so aufzubereiten, dass sie von möglichst vielen geteilt werden kann. Es geht darum, sie für die Abonnent*innen im historischen Kontext zu verorten. Dann schafft die Serie einen Mehrwert auf einer Plattform, die Meinungen zwar schnell, aber nicht unbedingt mit verbindlichen Taten in Umlauf bringt.

Die Serie ist auch ein Experiment für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, erfolgreich Inhalte für junge Menschen ins Digitale zu übertragen. Wenn das über die nächsten zehn Monate funktioniert, ist das Projekt wegweisend für eine Erinnerungskultur, die zunehmend mit dem Problem zu kämpfen hat, dass die Zeitzeug*innen sterben und ihre Geschichte nicht mehr erzählen können.

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