Zu sehr auf eine Karte gesetzt

Der deutsche Schiffbau zahlt den Preis für die blinde Marktgläubigkeit der Politik in Europa

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Schiffbau gehöre zu den wenigen deutschen Branchen, welche nun die Zeche für »eine überzogene Globalisierung« zahlen. Dies kritisierte Jörg Cezanne, Maritimer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, bei einer Diskussion mit Experten anderer Parteien, welche der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) kürzlich veranstaltete. Die Politikerrunde diente der Vorbereitung der 12. Nationalen Maritimen Konferenz. Das zweitägige Gipfeltreffen von Wirtschaftsbossen, Politikern und Gewerkschaftsspitzen in Rostock wird am Montag von Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet.

»Die Pandemie hat sehr deutlich gezeigt, dass wir nur wenige Schiffstypen bauen«, sagt Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer des VSM. Plötzlich seien drei Viertel des gesamten deutschen Schiffbaumarktes nicht mehr dagewesen. Lüken meint den Bau von Kreuzfahrtschiffen in Niedersachen und Mecklenburg-Vorpommern. Die »beeindruckenden Erfolge« beim Bau von Traumschiffen und Luxusjachten hätten der deutschen Industrie in der vergangenen Dekade Wachstum und weltweit hohe Anerkennung beschert. Neben diesen beiden Schiffstypen - ergänzt durch anspruchsvolle Behörden- und Marineschiffe - seien allerdings andere Marktsegmente immer weniger bedient worden.

Vergleichsweise simple Container- und Frachtschiffe werden hierzulande schon lange nicht mehr gebaut. Doch es gibt auch eine internationale Marktverzerrung, wie Linken-Politiker Cezanne und der Branchenverband beklagen. Schon vor der Pandemie gingen in wichtigen Teilsegmenten wie RoRo-Schiffen, bei denen die Ladung auf das Schiff gefahren wird, die Aufträge trotz ausgewiesener Spezialisierung überwiegend nach Asien. Auch im Zulieferbereich würden laut VSM »protektionistische Tendenzen« immer stärker. China subventioniert wie auch das zweitgrößte Schiffbauland Südkorea seine Werften massiv und ködert europäische Auftraggebern mit extrem günstigen Finanzierungen.

Die Folgen bekommen hierzulande nicht allein die Werften, sondern die gesamte Wertschöpfungskette zu spüren: In Deutschland sind nach Verbandsangaben rund 2800 Unternehmen und etwa 200 000 Beschäftigten in Schiffbau, Zulieferindustrie und Meerestechnik aktiv. Der Umsatz der Werften war 2020 auf 5,1 Milliarden Euro gesunken, ein Minus von rund zehn Prozent.

Dass es nicht noch dicker kam, lag an öffentlichen Aufträgen vor allem für »graue« Schiffe, also solche für den militärischen Bereich. Friedensaktivisten fordern allerdings seit langem eine Transformation der Rüstungsproduktion. Die IG Metall, Teile der Linken und der Schiffbauverband halten davon wenig. Im Streit um einen Auftrag der Peenewerft habe neben dem VSM auch ein »gewerkschaftsnaher Consultant bestätigt, dass Konversion zwar bei Militärstützpunkten funktioniere, aber nicht bei Industriestandorten«, erinnert sich Lüken.

Für die Gewerkschaft stehen ohnehin die existierenden Arbeitsplätze im Mittelpunkt. Die IG Metall fordert von der Politik eine Perspektive, auch für den Marineschiffbau: »Es wird viel über Konsolidierung geredet, aber es fehlt nach wie vor ein Dialog über die Gesamtstrategie, bei dem es auch um die Beschäftigten und Standorte geht«, kritisiert Daniel Friedrich, Leiter des Bezirks Küste. Die von der Bundesregierung angekündigten Aufträge für Fregatten und sogenannte Mehrkampfschiffe müssten zügig umgesetzt werden. »Auch die kleinen Reparaturwerften an den Marinestandorten dürfen nicht verloren gehen.«

Allein auf den Werften sind seit Beginn der Pandemie mehr als 1000 Arbeitsplätze verloren gegangen und das in strukturschwachen Regionen. Weitere 5600 sind nach Berechnungen der Gewerkschaft derzeit akut bedroht, zudem viele Hunderte bei Zulieferern. Die IG Metall erwartet von der Maritimen Konferenz endlich »konkrete Vorschläge«. Für Montag ruft die Gewerkschaft daher in Rostock, Stralsund, Wismar und an zahlreichen anderen Werftstandorten zu Protesten auf.

Auch Verdi geht den Gipfel, an dem mehrere Minister teilnehmen werden, mit Aktionen an. So demonstrierten am Sonntag Hafenarbeiter in Hamburg gegen Sparpläne von HHLA und Eurogate. Trotz guter Logistikkonjunktur wollen die größten Hafenbetreiber in Deutschland massiv Arbeitsstunden einsparen, um mit den Preisen von Rotterdam und Antwerpen mithalten zu können. Aktuell verhandelt Verdi bundesweit mit den Seehafenbetrieben über einen neuen Lohntarifvertrag.

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Stürmisch ist die Lage auch auf hoher See. Gab es zum Zeitpunkt der ersten Maritimen Konferenz im Jahr 2000, die SPD-Kanzler Gerhard Schröder ins Leben rief, noch 10 418 deutsche Seeleute, so sind es heute nur noch 5080, beklagt Peter Geitmann, Schifffahrtsexperte von Verdi. Er sieht einen gravierenden Fehler in der Anpassung der Schiffsbesetzungsverordnung: Waren im Jahr 2000 pro Schiff noch fünf (»teure«) deutsche/europäische Seeleute vorgeschrieben, so sind daraus 2013 vier und 2016 nur noch zwei geworden. Eine weitere Verdi-Forderung ist die Bindung der besonderen Steuererleichterungen für Reedereien an das Führen der deutschen Flagge. »Das wird ein dickes Brett, was in Rostock gebohrt werden muss«, meint daher Gewerkschafter Geitmann.

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