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Fast wie Neuschwanstein
Brandenburg feiert mit dem Kulturland-Themenjahr 2021 seine Industrietradition
Wer käme darauf, in der Stadt Eberswalde im Landkreis Barnim ein »Wuppertal Preußens«, im 19. Jahrhundert geprägt von deutschen Stararchitekten, zu sehen. Gerade das Zentrum der Stadt der Forstwissenschaften trägt noch immer Spuren von Krieg und Nachkriegszeit. Bürgermeister Friedhelm Boginski (FDP) aber geht dergleichen leicht über die Lippen. Eberswalde, heute Kreisstadt und Sitz der Hochschule für nachhaltige Entwicklung, hat eine ins 17. Jahrhundert zurückreichende industrielle Vergangenheit.
Am 4. Juni lädt Eberswalde zur zentralen Eröffnungsveranstaltung des Brandenburger Kulturland-Themenjahres 2021 »Zukunft der Vergangenheit - Industriekultur in Bewegung«. Und wen sollte es wundern, dass Boginski, von Beruf Lehrer für Geschichte und Geografie, auch für den Austragungsort mit einem Superlativ aufwartet: Geradezu das »Neuschwanstein Brandenburgs« sei die alte Borsighalle, die man prominent in Szene setzen werde. Die 1847 erbaute Fabrikhalle am Finowkanal - selbst so ein Denkmal - wurde 2013 als national wertvolles Kulturdenkmal eingestuft und kann dank großzügiger Förderung der Nachwelt erhalten werden.
Vor allem auch an die, ungeachtet aller ökologischen Defizite, »tollen DDR-Industriebetriebe« - allen voran der VEB Kranbau Eberswalde - erinnerte der Bürgermeister. Besucher sind willkommen in der Borsighalle, im Rofinpark, der Kranbauhalle oder dem Messingwerk mit dem Wasserturm und dem Familiengarten als Austragungsort der Landesgartenschau 2002. Bis zum 5. November 2021 sind - so Corona all dies zulässt - 40 Veranstaltungen geplant, Konzerte von Klassik bis Jazz, Rock und elektronischer Musik, Theater und Performances, Ausstellungen, Fachtagungen und Vorträge, Festivals, Workshops und Stummfilmkino.
Bei der Vorstellung des Kulturland-Programms für 2021 am Dienstag in Berlin schwärmte auch Kulturministerin Manja Schüle (SPD) von Eberswalde als einer »Wiege brandenburgisch-preußischen Industrie«. Wo vor rund 400 Jahren erste Messer᠆schmieden und Eisenhämmer entstanden, hätten Strukturwandelprozesse Arbeit und Leben der Bevölkerung radikal verändert und geprägt. »Eberswalde hat sich als Industrie- und Gewerbestandort stets neu erfunden, neu erfinden müssen«, sagte sie. Von den Erfolgen zeugten preisgekrönte Innovationen - etwa auf dem Gebiet der Solarenergie.
Das Kulturland-Themenjahr führe, wie in Eberswalde, an teils fast vergessene Industriestandorte - »Lost Places« - überall in Brandenburg. »Angesichts andauernder Transformationsprozesse in den industriell geprägten Regionen und Städten unseres Landes ist dieses Thema hochaktuell«, erklärte die Ministerin. Längst sei Brandenburg »Industrieland 4.0«. Das zeige sich am Rolls-Royce-Werk in Dahlewitz, an der Film- und Medienwirtschaft in Potsdam-Babelsberg oder bald an Tesla in Grünheide. Erst am Vortag habe sie der Eröffnung für das neue DLR-Institut für CO2-arme Industrieprozesse mit Sitz in Cottbus beigewohnt. »Industrie 4.0 in Brandenburg stinkt nicht mehr, und sie dampft auch nicht mehr, sondern sie ist Innovationsträger und Hightech-Arbeitgeber«, betonte Schüle. Doch obwohl Brandenburg Vorreiter bei Photovoltaik und Wind sei, das erste Wasserstoffzentrum habe und bei Prenzlau bereits 2012 das erste Hybridkraftwerk in Betrieb genommen habe, merke man eben auch: »Keine Zukunft ohne Herkunft.«
Kulturland sei für Brandenburg vor allem Instrument zur Umsetzung der kulturpolitischen Strategie aus kultureller Bildung, Kulturtourismus und Stärkung der regionalen Identität, erklärte Manja Schüle. Und es sei nicht zuletzt Wirtschaftsfaktor.
Laut Kulturland-Chefin Brigitte Faber-Schmidt weist das Programmheft über 40 Projekte aus. In Kurzfassung vorgestellt, sind sie eine Einladung zu einer Entdeckungsreise durch ein wenig bekanntes Land. »Der Begriff Industriekultur stand bisher hauptsächlich für die Auseinandersetzung mit der Kulturgeschichte und der Kulturlandschaft des Industriezeitalters«, sagte sie. »2021 wagen wir den Versuch eines ›Updates‹, bei dem es auch um eine industrielle Zukunftsperspektive gehen soll, denn während traditionelle Formen der Industrie im Alltag der Menschen kaum mehr eine Rolle spielen, setzt sich die zukunftsorientierte Industrialisierung mit beschleunigtem Tempo fort.«
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