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Ideenlos ins Abseits
Keith Starmers Mittekurs an der Labourspitze vertreibt die Wähler, analysiert Peter Stäuber
Seit Keir Starmers Amtsantritt als Labour-Chef vor über einem Jahr hat er den Brit*innen vor allem eine Botschaft eingehämmert: Labour ist unter »neuem Management«. Will heißen: Nach den wilden Jahren unter dem Parteilinken Jeremy Corbyn kann man dieser Partei wieder trauen. Aber nach der Wahlschlappe am vergangenen Donnerstag ist offensichtlich, dass die Wähler*innen anderer Meinung sind. Anstatt dass sich die Partei langsam aus dem Loch emporarbeitet, in das es in den Wahlen von 2019 gestürzt ist, rutscht Labour weiter ab. Überraschend ist das nicht: Starmer ist blass und ideenlos, und er versucht sich in einer Politik, die ohne politisches Programm auskommt.
Klar, der Triumph der Tories in Hartlepool ist auch Umständen geschuldet, über die Starmer keine Kontrolle hat. Seit Beginn des Impfprogramms reitet Boris Johnson auf einer Erfolgswelle. Zudem haben sich die Konservativen von ihrer früheren Obsession der Sparpolitik verabschiedet. Stattdessen versprechen sie satte Investitionen im Norden Englands; Tees Valley beispielsweise, die Region, zu der auch Hartlepool gehört, soll ein Zentrum der grünen Industrie werden. Dass die Regierung viele ehemalige Labour-Wähler mit dem Versprechen von neuen, gut bezahlten Jobs für sich gewinnen kann, ist schlüssig.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Aber mit seiner Ideenlosigkeit hat ihnen Starmer die Wahl erleichtert. Sein Versuch, die zahlreichen nordenglischen Sitze, die Labour 2019 an die Tories verlor, zurückzugewinnen, beschränkt sich darauf, sich den Union Jack umzuhängen und sich als überzeugter Patriot zu gerieren. Auch das ist ein Versuch, so viel Distanz wie möglich zwischen Starmer und seinem Vorgänger Corbyn zu schaffen. Aber Corbyn ist nicht das Problem.
In einer Umfrage nach den Lokalwahlen wurden die Wähler*innen gefragt, weshalb sie nicht für Labour stimmten. Die meisten (14 Prozent) sagten, dass der Grund Keir Starmer und die Labour-Führung war, die zweitgrößte Gruppe (elf Prozent) waren jene, die nicht mit seiner Politik einverstanden waren oder nicht wussten, was seine Politik ist. Demgegenüber sagten gerade einmal vier Prozent Labour sei »zu links«.
Dennoch waren die Fürsprecher von Starmers Mittekurs schnell zur Stelle, um die Schuld dem ehemaligen Chef in die Schuhe zu schieben – die Erinnerung an die fünf Jahre unter Corbyn habe den Wählern die Lust an Labour dauerhaft verdorben. Peter Mandelson etwa, eine Labour-Eminenz während der Regierungsjahre Tony Blairs (1997-2007), sagte nach der Wahl, dass der frühere Vorsitzende einer der Hauptgründe war, weshalb Hartlepool an die Tories ging. Es gibt sogar einen amüsanten Namen für dieses Phänomen: »Long Corbyn«, in Anlehnung an Long Covid.
Wie absurd diese These ist, zeigen zwei simple Tatsachen: Unter Corbyn hat Labour Hartlepool 2017 gewonnen, und zwei Jahre später hat die Partei den Sitz noch einmal gewonnen. Die Wahl von 2017 waren sogar die einzigen seit 1997, in denen Labour seinen Stimmenanteil steigern konnte. Das heißt: Labour hat in Hartlepool – wie auch in vielen anderen nordenglischen Städten - seit Anfang der 2000 Jahre sukzessive an Zustimmung verloren. Dass der Sitz letzte Woche schließlich an die Tories ging, ist bloß eine Fortsetzung dieses längeren Trends.
Dass linke Politik die Wähler nicht abschreckt, zeigt auch ein Blick in den Rest des Landes. In Wales beispielsweise vermochte der Erste Minister Mark Drakeford, der dem linken Labour-Flügel angehört, 30 von 60 Sitzen im Parlament von Cardiff zu erobern. Andy Burnham, der Bürgermeister der Stadtregion Manchester, der ebenfalls links der Mitte politisiert, errang beeindruckende 67 Prozent der Stimmen. Vor allem tat Burnham während der Pandemie etwas, wovor sich Starmer immer wieder scheute: Er forderte die Regierung heraus, etwa als diese im Norden Englands einen Lockdown anordnete, ohne genügend Geld bereitzustellen, um diesen zu bewältigen.
Irgendwann muss Starmer sich dazu durchringen, selbst Vorschläge zu machen und eine Strategie vorzulegen, damit die Partei auf einen grünen Zweig kommt. Ein guter Anfang wären seine zehn Versprechen, die er zu Beginn seiner Amtszeit machte. Damals gelobte er, auf dem Erbe seines Vorgängers aufzubauen – und insbesondere das beliebte wirtschaftspolitische Programm der Corbyn-Jahre beizubehalten. Eine Art »Long Corbyn«, aber positiv gedreht.
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