Dunkelheit essen Seele auf

Plattenbau

  • Lars Fleischmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Roman Flügel, dieser elegante Trickser der Techno-Geschichte, lockt uns mit seiner insgesamt sechsten Solo-LP in ein längst vergessenes Reich. Wie der Titel »Eating Darkness« schon verrät, dreht sich hier viel, wenn nicht sogar alles, um die Dunkelheit. Wenn heute die Lichter nicht mehr ausgehen, weil die Städte ihre Zentren derart stark beleuchten, dass es dafür einen Begriff geben muss - Lichtverschmutzung -, dann ist eben wenig Platz für Dunkelheit.

Für Flügel, der nicht nur auf eine 30 Jahre währende (Techno-)Karriere zurückblicken kann, sondern auch auf ein ebenso langes »in dunklen Ecken Auflegen«, ist das Verschwinden der Düsternis eine Schande, ein Ärgernis. Zumal die weltweite Pandemie ihr Übriges tut: Statt Clubs gibt es anni 2020/2021, wenn überhaupt, Open-Air-Gigs am helllichten Tag - streaminggerecht aufgearbeitet. So richtig düster wurde es schon lange nicht mehr - abgesehen von den Rechten auf Straßen, Idioten auf Demos und der Austeritätspolitik in der EU; das ist aber noch eine ganz andere Geschichte.

Neben Tänzer*innen, DJs und Produzenten wie Roman Flügel fühlt sich noch jemand ganz anderes im gekonnten Zwielicht wohl: der Teufel. Der gefallene Engel, wahrscheinlich topmodisch im vollschwarzen Techno-Club-Chic gekleidet, wird bei den neun Stücken dieser LP ganz sicher das Tanzbein schwingen. Obgleich es sich bei »Eating Darkness« eben nicht um eine funktionale Nummernrevue handelt. Ganz im Gegenteil: Hier wird das Vergnügen bloß in Kauf genommen. Eigentlich fußen die Stücke viel eher auf feinen Piano-Ideen oder Synthesizer-Läufen, die nur im weiteren Verlauf - auf fast schon teuflische Art - veredelt werden. Einige mutieren zu Synth-Pop-Nummern romantischer Natur, andere werden mit Nebel und in der Dunkelkammer zum treibenden Tech-House-Stück ausgebaut.

»Chemicals«, das an das bisweilen düstere Drogengeschehen der Nachtveranstaltungen Anschluss sucht und findet, ist selbstverständlich feinste Ware für vermutlich irgendwann wieder öffnende Clubs hierzulande. Ganz abstreiten kann aber niemand, dass im verschwurbelten Sample und in versteckten Glockenklängen etwas wahrhaft übernatürlich Düsteres lauert. So werden jene kleinen Gedanken, die Schauplatz dieser neun Tracks werden, zu Versuchungen: Steig mit mir ab in die Dunkelheit der Nacht, und es könnte Erlösung auf dich warten. Drauf gepfiffen, dass niemand so etwas versprechen kann.

Wer also mit runtersteigt, in einen schweißnassen Kellerraum oder eine enge Lagerhalle - und trotz Monaten der Abstandsregeln keine Beklemmungen bekommt -, der wird sich wundern, was überhaupt noch alles möglich ist, selbst wenn es an Licht mangelt. Es riecht nach Salz und nach Schwefel, nach Bier in grünen Flaschen und noch glimmenden Zigarettenfiltern.

Doch auch Roman Flügel wird älter; da muss es eben nicht mehr immer krachen. So sind dann auch tatsächlich die schöngeistigen Momente, das schwelgerische »Charles« als Abschied oder die auftrumpfende Traumsequenz »Eternal« die wahren Highlights der besten Platte eines Künstlers, der uns daran erinnert, dass Dunkelheit niemals Licht wird - und dass das ein Grund zum Feiern sein sollte.

Roman Flügel: »Eating Darkness« (Running Back/Wordandsound)

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