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»Häuserkampf« für 35-Stunden-Woche
Metallbranche Ost übernimmt Pilotabschluss. Keine flächendeckende Angleichung der Arbeitszeit
37 Jahre nach der politischen Vereinigung werden die tariflich festgelegten Arbeitszeiten bei Volkswagen in Ost und West eins sein. Ab 2027 arbeiten die Beschäftigten in den sächsischen Werken nur noch 35 Stunden in der Woche und damit genauso lange wie ihre Kollegen in Wolfsburg. Derzeit stehen sie für das gleiche Geld noch 38 Stunden am Band. Möglich wird die Angleichung, die ab 2022 in vier Schritten erfolgt, durch die Eingliederung der bislang eigenständigen Volkswagen Sachsen GmbH in den Konzern. Damit gilt auch an den Standorten in Zwickau, Chemnitz und Dresden dessen Haustarif und nicht mehr der Flächentarif der Metall- und Elektroindustrie.
In der Fläche dagegen bleibt im Osten der Übergang zur 35-Stunden-Woche ein unerfülltes Ziel. Zwar hatte die IG Metall in ihrem einzigen rein ostdeutschen Tarifbezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen die Angleichung der Arbeitszeit zur Kernforderung eines Tarifkonflikts erhoben, in dem in den vergangenen Wochen Zehntausende Beschäftigte in Warnstreiks traten. Er dauerte an, während alle anderen Bezirke den im März in Nordrhein-Westfalen erzielten Pilotabschluss übernommen hatten. Doch nach mehreren ergebnislosen Verhandlungsrunden mit den Arbeitgebern, zuletzt am Montag dieser Woche in Berlin/Brandenburg und am Dienstag in Sachsen, zog der Bundesvorstand der IG Metall die Reißleine. Der Pilotabschluss, der etwa eine Corona-Prämie von 500 Euro und jährliche Sonderzahlungen vorsieht, wird auch in den drei Ostländern übernommen. Eine flächendeckende 35-Stunden-Woche gibt es vorerst nicht.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Aufgeben will die IG Metall das Ziel nicht. »Das Thema Angleichung bleibt auf der Agenda«, erklärt sie. Durchgesetzt werden soll es aber nur in einzelnen Betrieben und notfalls per »Häuserkampf«. Bis Ende Juni solle mit dem Verband der sächsischen Metall- und Elektroindustrie (VSME) ein Rahmen ausgehandelt werden, der »betriebliche Schritte zur Angleichung« ermöglicht. Birgit Dietze, Bezirksleiterin der IG Metall, verbucht das als Erfolg: Man habe »erreicht, dass die Arbeitgeber sich dem Weg zur Lösung dieser Frage nicht weiter verweigern können«. Komme es in den knapp sieben Wochen zu keiner Einigung, wolle man die Strategie »Haus für Haus ausrichten«, sagte Dietze: »Die Fläche setzen wir dann auf diese Weise zusammen.«
Wie das Ergebnis zu bewerten ist - darüber gehen die Meinungen stark auseinander. Jörg Hoffmann, der Bundeschef der IG Metall, sah einen »Durchbruch« bei der Angleichung der Arbeitsbedingungen in Ost und West und betonte, die Arbeitgeber hätten »erstmals ihre seit der Wiedervereinigung währende vollständige Blockade gegen die Aufhebung der Ungleichbehandlung« zwischen Ost und West aufgegeben. Er verwies neben den geplanten Gesprächen auf betriebliche Vereinbarungen bei VW, aber auch bei Zulieferern wie ZF und SAS (beide unter anderem in Meerane), wo ebenfalls Stufenpläne zur Angleichung der Arbeitszeit vereinbart wurden. Dort, wo Unternehmen eine Gleichbehandlung der Beschäftigten in Ost und West weiter verweigerten, werde man »den Druck weiter aufrechterhalten«. Sachsens DGB-Chef Markus Schlimbach äußerte ebenfalls Zustimmung: Endlich komme Bewegung in die Frage der Arbeitszeitangleichung.
Deutlich weniger euphorisch äußerte sich Nico Brünler, wirtschaftspolitischer Sprecher der Linken im sächsischen Landtag. Es sei »ein Unding«, dass die Tarifarbeitszeit im Osten auch im 31. Jahr der Einheit länger bleiben solle als im Westen des Landes. Eine Vereinbarung zu betrieblichen Lösungen, fügt er an, sei im Flächentarif schon einmal vor drei Jahren vereinbart worden, »ohne dass danach vonseiten der Arbeitgeber großes Entgegenkommen festzustellen war«.
Auch der sächsische SPD-Generalsekretär Henning Homann bewertet die Tarifeinigung zurückhaltend. Zwar sei sie wichtig für die 180 000 Beschäftigten der Branche im Freistaat. »Ein wichtiges Ziel bleibt allerdings offen«, fügte er in Anspielung auf die 35-Stunden-Woche hinzu. Die Angleichung von Löhnen und Arbeitszeit in Ost- und Westdeutschland müsse nun »möglichst schnell erreicht werden«. Das sei eine Frage von »Gerechtigkeit, Anerkennung und Respekt«.
In sozialen Medien fielen die Reaktionen teils weit weniger diplomatisch aus. In Erwiderung auf IG-Metall-Chef Hoffmanns Äußerung zum »Durchbruch« war dort die Rede von einem »eher enttäuschenden Ergebnis« und einer »neuerlichen Niederlage«, mit der die flächendeckende Angleichung der Arbeitszeit in künftigen Tarifrunden »noch unmöglicher« werde.
An der Frage einer gleichen Arbeitszeit hat sich die IG Metall im Osten seit Jahren die Zähne ausgebissen. 2003 mündete ein Arbeitskampf für die 35-Stunden-Woche in einer schweren Niederlage. Damals musste die Gewerkschaft nach massiven Streiks einlenken, weil der Rückhalt im Westen zu bröckeln begann und dortige Betriebsräte wegen der Auswirkungen auf ihre Firmen auf ein Ende der Ausstände drängten.
Danach galt die IG Metall in der Region lange als geschwächt. Erst rund 15 Jahre später wurde das Thema 35 Stunden wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Zunächst versuchte man es im Guten: mit Gesprächen über eine schrittweise Angleichung bis 2030, die sich anderthalb Jahre hinzogen, zu einer Einigung in Berlin-Brandenburg führten, schließlich aber an einem Veto des bundesweiten Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall scheiterten. In der Tarifrunde 2020 wurde ein Modell vorgelegt, das eine schrittweise Absenkung und »unterschiedliche Geschwindigkeiten« je nach Leistungsfähigkeit der Betriebe vorsah. Im aktuellen Tarifkonflikt zeigte man sich zunächst bereit, an der 38-Stunden-Woche festzuhalten, wollte die Mehrarbeit gegenüber dem Westen aber wenigstens bezahlt haben: mit einem »tariflichen Angleichungsgeld«, das einem Lohnplus von 8,6 Prozent entsprochen hätte.
Daraus ist nun nichts geworden. Die Angleichung der Arbeitszeit bleibt vorerst auf wenige wirtschaftlich leistungsstarke Unternehmen wie VW beschränkt. Und dort tragen die Arbeitnehmer einen Teil der Mehrkosten für die Arbeitszeitverkürzung mit. Man habe, sagt Jens Rothe, Chef des Gesamtbetriebsrats von VW Sachsen, dazu ein »umfangreiches Kompensationspaket vereinbart«.
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