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Das eine Prozent hat in Italien gut lachen

Abstand zwischen Arm und Reich ist am Stiefel noch schneller gewachsen als anderswo in Europa

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein kunterbunter Regenbogen und darunter der Schriftzug »Alles wird gut«. Solche Schilder hingen vor einem Jahr an vielen Fenstern in Italien. Doch jetzt hat sich herausgestellt, dass dieser hoffnungsvolle Satz nicht stimmt. Nichts ist gut! Selbst wenn die Pandemie morgen in Italien vorbei wäre, würde die Lage nicht auf das Niveau von vorher zurückkehren. Denn inzwischen hat sich einiges zum Schlechteren gewandelt: Die Reichen sind sehr viel reicher geworden und die Armen haben noch weniger als vor 18 Monaten.

Drei renommierte Wirtschaftswissenschaftler - Paolo Acciari, Facundo Alvarado und Salvatore Morelli - haben gerade die Studie »Pochi ricchissimi e troppi poveri« (Sehr wenig Reiche und zu viel Arme) über die Reichtumsverteilung im Mittelmeerland veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass zwischen 1995 und 2016 ungefähr 25 Millionen Italiener eine starke Verringerung ihres Einkommens erlebt haben (sehr viel stärker als etwa in Deutschland oder Frankreich), während ein Prozent der Bevölkerung (etwa 500 000 Personen) seinen Reichtum durchschnittlich um 20 Prozentpunkte vermehrt hat. Die Superelite des Kapitalismus - 5000 Personen, was 0,01 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht - hat ihren Reichtum in diesem Zeitraum sogar verdreifacht! In absoluten Zahlen heißt das, dass für 0,1 Prozent der Bevölkerung der Durchschnittsreichtum von 7,6 auf 15,8 Millionen Euro angestiegen ist. Die ärmsten 50 Prozent kontrollierten 1995 noch 11,7 Prozent des Reichtums im Land und 2016 nur noch 3,5 Prozent davon. Ihr durchschnittliches Vermögen ist in diesem Zeitraum von 27 000 auf 7000 Euro gesunken.

Die Besitztümer der Superreichen sind in der Finanzwelt und in Unternehmen angelegt, während die ärmeren Italiener ihr Geld auf dem Bankkonto haben. Der sogenannte Mittelstand, der zwischen den beiden ungleichen Enden der Schere liegt, besitzt meist eine Eigentumswohnung. In Italien streben alle nach den eigenen vier Wänden - auch wenn sie sich dafür über Jahrzehnte hoch verschulden. Nach der Pandemie wird diese Schere noch weiter auseinandergehen. Ende 2020 hat ein Drittel der Familien erklärt, dass man die Ausgaben für Lebensmittel, Bekleidung und Möbel zurückfahren wird. Schon vor der Pandemie hatten mehr als 40 Prozent der Familien angegeben, ohne Einkommen nicht mehr als drei Monate überleben zu können. 20 Millionen hatten Ersparnisse von durchschnittlich 1000 Euro; zehn Millionen konnten nur über 300 Euro verfügen.

Diese erschreckende Ungleichheit hat sich jetzt noch weiter verschärft. Das italienische Statistikamt ISTAT hat errechnet, dass die absolute Armut heute zwei Millionen Familien betrifft, 335 000 Familien mehr als 2016. Das heißt, dass heute 9,4 Prozent der Bevölkerung in diese Kategorie fallen. Als »absolut arm« gelten Personen, die nicht genügend Geld für ein »menschenwürdiges Leben« haben - für eine Wohnung, gesundes Essen, angemessene Kleidung und Medikamente. Während der Pandemie sind rund 950 000 Arbeitsplätze verloren gegangen und auch der EU-Wiederaufbaufonds »Next Generation EU«, der enorme Gelder nach Italien bringen wird, sieht bis 2026 nur 750 000 neue Arbeitsplätze vor. Unterm Strich bleibt ein krasses Minus.

Von der neuen Arbeitslosigkeit werden in erster Linie die Frauen und die Jüngeren betroffen sein, also die Personen, die auch schon vorher oft prekäre Arbeitsverhältnisse hatten. Während der Pandemie haben diese Gruppen kaum Hilfen erhalten, entweder weil sie vollkommen schwarz arbeiteten oder sich in der in Italien besonders ausgeprägten Grauzone befanden. Damit sind zum Beispiel die Scheinselbstständigen gemeint, aber auch die Personen, die zwar Arbeitsverträge haben, in denen aber weniger Arbeitsstunden oder ein geringeres Gehalt angegeben sind, damit der Arbeitgeber so um Steuern und Abgaben herumkommt. Hier fiel auch das Kurzarbeitergeld, wenn man denn Anrecht darauf hatte, nur sehr gering aus. ISTAT schreibt in seinem aktuellen Bericht: »Arbeitsplätze sind in allen Bevölkerungsgruppen weggefallen, aber der stärkste Rückgang ist bei den Arbeitnehmern mit befristeten Verträgen (minus 9,4 Prozent), den Selbstständigen (minus 6,6 Prozent) und den Jüngeren (minus 6,5 Prozent bei den unter 35-Jährigen) zu verzeichnen.«

Das Fazit der Studie der drei Ökonomen ist bitter: »Wir sitzen nicht alle im gleichen Boot, weil Italien sowieso schon eines der ›ungleichsten‹ Länder ist. Auch in Europa sind die Karten ungleich verteilt und man weiß jetzt schon, wer beim Wettlauf für den Wiederaufbau gewinnen wird. Die angedachten Maßnahmen werden die Reichtumsverteilung nicht ändern. Im Gegenteil, die Schere wird noch weiter auseinanderklaffen.« Und schließlich: »Noch einmal mehr bestätigt sich, dass in Italien in den vergangenen Jahrzehnten ein umgekehrter Klassenkampf stattgefunden hat, bei dem die Reichen gewonnen haben.«

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