Keine Räumung, demonstriert wird trotzdem

Auch wenn der Jugendclub »Potse« Aufschub bekommen hat, sind seine Unterstützer*innen auf der Straße

  • Linda Peikert
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Nollendorfplatz ist voll mit Polizei-Kastenwägen, die ersten Demobesucher*innen trudeln nach und nach ein. Momo sitzt auf einer Bordsteinkante und sieht sichtlich erleichtert aus. Sie ist Teil des räumungsbedrohten »Potse«-Kollektivs. Das selbstverwaltete Jugendzentrum in Schöneberg konnte die eigene Räumung in der letzten Sekunde noch aufhalten. Am Montag gab die »Potse« die Aussetzung der Räumung bekannt. Der Räumungstermin wäre zwei Tage später, also am Mittwoch den 19. Mai, gewesen.

»Nach sehr vielen Verhandlungen, vielen Gesprächen und seitenlangen E-Mails haben wir mit dem Bezirk etwas ausgehandelt: Eine Schutzzahlung, also eine Art Kaution, in Höhe von 10.000 Euro«, sagt sie. So konnte die Räumung um zwei Monate verschoben werden, um genug Zeit für die laufenden Verhandlungen um das Ersatzobjekt Zollgarage zu haben.
Das Kollektiv hofft auf gute Verhandlungen und eine adäquate Lösung. »Wir haben keinen Bock auf Räumung. Räumungen sind psychische Gewalt und traumatische Erlebnisse. Wir wollen das nicht erleben«, sagt Momo. Deshalb sei man auch auf die Sicherheitszahlung eingegangen. »Die Zahlung von 10.000 Euro ist eigentlich eine superfreche Sache«, sagt sie. Erst mal steht aber der Erfolg im Vordergrund. »Wir haben etwas erreicht, was schon sehr lange in Berlin nicht mehr erreicht wurde: Eine Räumung wurde ausgesetzt.« Momo wünscht sich, dass dies auch anderen Kollektiven Mut macht.

Der Nollendorfplatz füllt sich derweil immer mehr. Mehrere Hundert Teilnehmer*innen besuchen die Demonstration. Veranstalterin ist die Interkiezionale, eine Initiative für bedrohte Freiräume in Berlin. Auch wenn die Räumung der »Potse« ausgesetzt werden konnte, ginge es weiterhin um Solidarität mit anderen bedrohten Kollektiven wie dem Köpi Wagenplatz oder der Rigaer 94, findet Momo.

In Redebeiträgen der Interkiezionalen, Potse und Drugstore geht es um den Ausverkauf der Stadt. »Wir sind hier um zu sagen, dass wir die investorenfreundliche Politik des rot-rot-grünen Senats verurteilen«, schallt es aus dem Lautsprecher. Auch Momo spricht. »Wir sind so unglaublich dankbar für all die Solidarität«, sagt sie. Und bedankt sich für die »Liebesbriefe«, Grußbotschaften, Solifotos, Solibesetzungen, Unterschriften unter ihrem Brandbrief und für die Organisation von Aktionen und Demonstrationen. Sie weist aber auch darauf hin, dass man die Menschen nicht vergessen dürfe, die vielleicht nicht so gut vernetzt seien. »Zwangsräumungen und Verdrängungen passieren fast täglich«, erklärt die jugendliche Aktivistin.

Der Demonstrationszug läuft durch Schöneberg: Von der U-Bahnstation Nollendorfplatz über den Winterfeldtplatz vorbei an den Räumlichkeiten der Potse in der Potsdamerstraße 180. Der bunte Rauch von Bengalos und Banner mit der Aufschrift »Potse bleibt« und »Tag X wird nix« schmücken das Fenster im zweiten Stock des Gebäudes. Ein paar Straßen weiter begrüßen Bewohner*innen der Roten Insel in der Mansteinstraße die Demonstrierenden mit Feuerwerksraketen und lauter Musik. Die Stimmung ist gut. Nur ganz am Ende der Veranstaltung kommt es zu einer kleinen Auseinandersetzung zwischen Polizei und Demonstrierenden. Eine Peron wurde offenbar von der Polizei festgenommen. Ansonsten verläuft alles friedlich.

Niemand muss geräumt werden - Claudia Krieg hofft auf einen Wechsel in der Räumungspolitik.

»Richtig, richtig toll, dass so viele Menschen in Solidarität mit uns heute auf die Straße gegangen sind und so laut waren. Wir sind einfach nur dankbar und überwältigt von der Stimmung. Wir freuen uns richtig, dass so viele Menschen an uns denken und für uns da sind«, sagt Momo am Ende der Demo. Auch später hängen noch etwa hundert Jugendliche und Demonstrierende vor der Potsdamerstraße 180 ab. Eine Mahnwache für die Nacht vom 18. auf den 19. Mai war angemeldet und wurde auch ohne Räumung durchgeführt. Auch am Mittwoch, dem eigentlichen anvisierten Räumungstag, ist ab 17 Uhr noch eine Kundgebung mit Musik, Siebdruck und Zirkuseinlagen geplant.

»Danach dann erstmal eine Woche Pause. Alle Beine hoch«, sagt Momo und grinst. Und dann gehen schließlich auch die Verhandlungen um das Ersatzobjekt Zollgarage im ehemaligen Flughafengebäude Tempelhof weiter.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!