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Die populistische Lücke
Die AfD und andere rechte Kräfte versuchen, sich in urbanen Konflikten als Bürgerbewegung zu profilieren. Ein stadtsoziologisches Forschungsprojekt der Universitäten Jena und Tübingen untersucht diese kommunalpolitischen Interventionen
Rund einhundert Garagen werden abgerissen, im Osten von Leipzig. Die boomende sächsische Großstadt, die nach einer langen Phase rückläufiger Einwohnerzahlen seit einem Jahrzehnt wieder deutlich wächst, will auf dem Gelände ein dringend notwendiges Schulzentrum errichten. Vor allem von älteren, in der DDR sozialisierten Männern hagelt es Einwände und Kritik. Denn für sie ist dieser Ort weit mehr als ein überdachter Abstellplatz für ihre Fahrzeuge. Viele Jahre lang hat ihnen der Garagenhof als Bastelraum und Treffpunkt gedient; hier fanden und trafen sie Freunde, für manche Bewohner der Nachbarschaft war er das Zentrum ihres sozialen Lebens. Dass er jetzt einem Neubauprojekt weichen soll, führt zu enormer Verbitterung - die von interessierter Seite aufgegriffen wird.
Die empörten Pächter richten Protestnoten an die Stadt, schreiben E-Mails, suchen politische Unterstützung. Bei der Leipziger AfD stoßen sie damit auf offene Ohren, bei anderen Parteien eher nicht. So tut sich 2018 im Quartier eine »populistische Lücke« auf. »Im Kleinen bündelten sich ganz große Fragen, die sich um die wechselseitigen Beziehungen von Stadtentwicklung, Rechtsruck und Demokratie drehen«, schreiben die Autoren Peter Bescherer und Robert Feustel in einem gerade erschienenen Sammelband. Für sie standen hier »einerseits spezifisch ostdeutsche Lebensentwürfe zur Disposition, kombiniert mit dem Gefühl, vom Zeitgeist abgehängt und von der Politik ignoriert zu werden«. Andererseits wurden »Ansprüche an Bürgerbeteiligung sowie Möglichkeiten und Realitäten ihrer Einlösung verhandelt, genauso wie folgenreiche Haltungen kommunalpolitischer Akteure und Arbeitsweisen der Stadtverwaltung«. »Für stabil gehaltene Muster der Legitimation politischer Entscheidungen« mussten überprüft werden.
Ost-West-Vergleich
Mit lokalen Konflikten dieser Art beschäftigt sich das Projekt Podesta, die Abkürzung steht für »Populismus und Demokratie in der Stadt«. Zwei Forschungsteams an den Universitäten Jena und Tübingen haben mit spezifischen Schwerpunkten kommunalpolitische Auseinandersetzungen in Leipzig und Stuttgart untersucht, das Ergebnis liegt jetzt in Buchform vor. Es handelt sich um einen interessanten Ost-West-Vergleich zweier ungefähr gleich großer Städte mit jeweils rund 600 000 Bewohnern, die gemeinsame, aber auch sehr unterschiedliche Probleme haben. Eine angespannte Situation auf dem Immobilienmarkt vor allem in den zentrumsnahen Vierteln und die damit einhergehende Verdrängung von einkommensschwachen Haushalten in periphere Hochhaussiedlungen charakterisiert beide Kommunen gleichermaßen. Während jedoch in Leipzig die langfristigen Folgen der ostdeutschen Transformation nach wie vor eine gewichtige Rolle spielen - wie bei dem geschilderten Abriss der Garagenhöfe -, entzündet sich im von der Autoindustrie geprägten Stuttgart der Streit eher an ökologischen Fragen wie den Fahrverboten für ältere Dieselfahrzeuge.
Der Rechtspopulismus ist inzwischen nahezu flächendeckend in den Lokalparlamenten vertreten, auch in Westdeutschland. Die AfD versucht, die Beteiligungsdefizite bei vielen kommunalen Bauvorhaben und Großprojekten für sich zu nutzen. Im Leipziger Stadtrat gab sie den von Vertreibung bedrohten Garagenpächtern eine Stimme. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt kooperiert die Partei mit dem »Zentrum Automobil«, einer oppositionellen, gegen die IG Metall ausgerichteten Betriebsratsliste im dort ansässigen Daimler-Konzern. Die alternative Interessenvertretung versteht sich als Anlaufstelle für den Unmut der Belegschaften in der Fahrzeugbranche: Viele Beschäftigte sind nicht einverstanden mit den aus ihrer Sicht übertriebenen Grenzwerten etwa bei der Feinstaubbelastung. Sie protestieren gegen die daraus folgenden Sanktionen, weil sie sich Sorgen um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze machen.
Rechtsruck auch in den Städten?
»Städte gelten als politische Laboratorien, und sie gelten als strukturell links. In manchen Fällen kommt beides zusammen, etwa in der Geschichte revolutionärer Zentren wie Paris zwischen den Jahren 1789 und 1871«, heißt es gleich zu Beginn des Vorworts in dem neuen Buch zum Thema. Der Gegensatz zwischen akademisierten und kosmopolitischen Metropolenbewohnern und den angeblich xenophoben, ungebildeten Modernisierungsverlierern in der Provinz ist zu einem beliebten politischen Erklärungsmuster geworden. Die Beteiligten an dem Forschungsverbund widersprechen der gängigen These, die rückwärts gewandte Weltbilder vorrangig in deindustrialisierten ländlichen Regionen verortet. Auch im urbanen Raum mit der ihm zugeschriebenen Vielfalt, Pluralität und Offenheit für Neues beobachten sie eine Verfestigung autoritärer Orientierungen und »eine daran anschließende politische Dynamik«. Statt vereinfachend vom Gegensatz von Stadt und Land zu sprechen, lohne sich »ein genauer Blick, der kleinräumliche Differenzen erkennt«.
In diesem Sinne diskutieren die empirischen Podesta-Studien den Zusammenhang von städtischen Problemen und rechtspopulistischen Denk- und Handlungsformen. Im Mittelpunkt stehen die mangelnde Wohnraumversorgung, die unzureichenden Mitspracherechte an großen Bauvorhaben und die Folgen der Mobilitäts- und Energiewende. Aus soziologischer, politikwissenschaftlicher und ethischer Perspektive hat das Projekt untersucht, »was Städte zu Orten der Demokratiekrise macht« und welche besonderen Bedingungen dort antidemokratische Bewegungen befördern. Zur Illustration lokaler Konflikte um Quartiersentwicklung, Wohnen und Verkehr dienten Interviews mit Expert*innen und Vertreter*innen sozialer Bewegungen sowie die Analyse rechter Diskurse.
Migrationsfeindliche Schuldzuweisungen
Ein besonders auffälliger Befund ist, wie die AfD mikropolitische Auseinandersetzungen - und konkrete Erfahrungen von persönlicher Demütigung - mit ihren rechten Kernbotschaften verknüpft. Am Mangel an bezahlbarem Wohnraum sind angeblich nicht etwa Hedgefonds und Immobilienspekulationen, sondern »die Flüchtlinge« schuld. Wenn die Aufwertung oder gar Gentrifizierung eines Stadtteils die Planung eines geräumigen Schulzentrums und den Abriss alter Bausubstanz nach sich zieht, hängt das angeblich damit zusammen, dass zu viele Asylbewerber in dem Quartier leben.
Nicht immer verfangen solche einfachen, oft migrationsfeindlichen Schuldzuweisungen: So machten sich, trotz der Unterstützung durch die AfD im Stadtparlament, keineswegs alle vom Abriss des Leipziger Garagengeländes Betroffenen die politische Gesamtorientierung der Partei zu eigen. Dennoch kann durch einen Mangel an Partizipationsmöglichkeiten im lokalen Nahraum ein gefährliches Demokratiedefizit entstehen, das rechte Politik für ihre Ziele zu nutzen sucht. Den Interventionen aus diesem Umfeld, das belegen die Fallgeschichten des Buches, fehlt meist das wirkliche Interesse am Detail. Statt dessen überwiegen, so die Autor*innen, »antiurbane Visionen des Städtischen in eher pauschalen Bildern«. Vor allem das Beispiel Stuttgart zeige, wie reaktionäre Deutungsmuster »überkommene Vorstellungen von Sozialräumen idealisieren, die sich auf Straßen und Autos kaprizieren und neue Ideen von Mobilität ablehnen«. Hinter umweltpolitischen Kontroversen stecke häufig »das Gefühl verlorener Privilegien«.
Lebensstile und ihre vermeintliche Abwertung, so resümiert das Forschungsteam, werden mit tagespolitischen Auseinandersetzungen verknüpft. Rechte Politik macht zu diesen Ereignissen meist keine konkreten Lösungsvorschläge, sondern interpretiert sie als Beleg für überregionale Probleme. Mit dem Verweis auf das Thema Migration konstruiert sie einen Gegensatz zwischen »Volk« und Elite, ethnisiert urbane Probleme wie die Wohnungsnot, soziale Fragen spielen nur eine Nebenrolle. Auch bei der Dieseldebatte »verschweißen rechte Akteure Verkehrspolitik mit der Rettung der Nation«. Denn hinter den Kulissen gehe es um ganz andere Dinge: »um deutsche Identität, um die Autostadt, männliches Fahren und hiesige Ingenieurskunst«.
Peter Bescherer, Anne Burkhardt, Robert Feustel, Gisela Mackenroth und Luzia Sievi: Urbane Konflikte und die Krise der Demokratie. Stadtentwicklung, Rechtsruck und Soziale Bewegungen. Verlag Westfälisches Dampfboot, 248 S., 28 €.
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