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Mal kurz das Klima wandeln
In Berlin wird ein Bürger*innenrat der Politik künftig Vorschläge unterbreiten, wie die Stadt ihr Ziel zur CO2-Einsparung umsetzen soll
Der Rat soll die Umsetzung der Klimavorgaben beflügeln, nicht behindern«, sagt Georg Kössler zu den Herausforderungen für den künftigen Berliner Klima-Bürger*innenrat. Kössler, seines Zeichens klima- und umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, ist einer derjenigen, die sich dafür stark gemacht haben, dass das Landesparlament den Rat als Instrument im Dienste des Klimaschutzes überhaupt auf den Weg gebracht hat. Das Anfang Mai mit den Stimmen der rot-rot-grünen Koalition beschlossene Gremium ist zweifellos ein Novum auf Berliner Landesebene. Zufällig ausgeloste Bürger*innen sollen hier zusammenkommen, um sich über die Umsetzung der städtischen Klimaziele auszutauschen - und schlussendlich Empfehlungen für die Politik auszuarbeiten.
Berlin hat sich diesbezüglich ambitionierte Ziele gesetzt. So soll die Stadt laut Energiewendegesetz bis 2050 »klimaneutral« werden. Um das zu erreichen, müssen die derzeitigen städtischen Emissionen gegenüber 1990 um mindestens 85 Prozent reduziert werden. Ein gigantischer Kraftakt, der vermutlich immer noch nicht ausreichen wird.
Der Zeitraum, bis Städte, Länder und die Weltgemeinschaft den Wandel zur Klimaneutralität geschafft haben müssen, wird dabei immer kürzer. Laut einer 2018 veröffentlichten Studie des zwischenstaatlichen Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) - besser bekannt als Weltklimarat - dürfte bei einem weltweit gleichbleibenden Temperaturanstieg im Jahr 2040 überhaupt kein CO2 mehr emittiert werden, wollte man die Pariser Klimaziele einhalten und die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad begrenzen. Und selbst dann gäbe es, so der IPCC, nur eine 50-prozentige Chance, dieses Ziel tatsächlich einzuhalten.
Dass die Akzeptanz für solch weitreichende Maßnahmen in der Bevölkerung nicht grenzenlos ist, musste die französische Politik zuletzt schmerzlich mit den Gelbwesten-Protesten erleben. Das liegt an einem grundsätzlichen Problem, ist die Klimaaktivistin und Psychologin Katharina van Bronswijk überzeugt. »Menschen sind evolutionär dafür ausgerüstet, konkrete Gefahren wahrzunehmen, die Schlange auf dem Weg zum Beispiel. Hingegen fällt es vielen sehr schwer, den Prozess des Klimawandels als Gefahr wahrzunehmen«, sagt die Sprecherin von Psychologists for Future, einer bundesweit aktiven Initiative von Psycholog*innen, Psychotherapeut*innen und Studierenden der Psychologie zur Unterstützung der Fridays for Future-Bewegung.
In Berlin steht im kommenden Jahr die Novelle des Energie- und Klimaschutzprogramms an. Und eben hierfür setzt Rot-Rot-Grün nun auf die Ratschläge des Klima-Bürger*innenrats. Katharina van Bronswijk findet das eine gute Idee. Schließlich bestehe »dadurch die Chance, dass die Sichtweisen der Menschen, die nicht Politiker*innen oder Wissenschaftler*innen sind, in den Prozess mit eingebracht werden«, so Bronswijk zu »nd«. »Auch als jemand, der nicht ausgelost wurde, sagt man sich: ›Hey, das sind ja Leute, wie ich und du!‹ Bei den Gelbwesten in Frankreich haben wir ja erlebt, was passiert, wenn sich Bürger*innen von politischen Entscheidungen abgehängt fühlen.«
Details zur Einberufung und Arbeitsweise des Gremiums sind derzeit noch unklar. Klar ist immerhin, dass es zu einer konstituierenden Sitzung erst nach der Abgeordnetenhauswahl im September kommen wird. Aus dem Haus von Klimaschutzsenatorin Regine Günther (Grüne) heißt es dazu lediglich: »Die Bildung eines Klima-Bürger*innenrates erfordert eine sorgfältige Vorbereitung. Um dafür einen erfahrenen Dienstleister zu finden, bereitet die Senatsverwaltung aktuell die erforderlichen Ausschreibungsunterlagen vor.«
Für Stefan Zimmer, einen der Sprecher der Kampagne Klimaneustart Berlin, die sich für die Einrichtung eines solchen Gremiums eingesetzt hat, hätte es durchaus die Chance gegeben, früher zu starten. »Grüne und Linke hatten bereits im Dezember einen Fraktionsbeschluss zur Einsetzung eines Klimarats gefasst, aber die SPD wollte erst noch die Unterschriften der Initiative fertig auszählen«, sagt Zimmer zu »nd«. Hinter vorgehaltener Hand ist indes auch zu hören, dass vor allem die Angst in den Parteien, ein solches Gremium könnte die eigenen Befugnisse begrenzen, dafür gesorgt haben, dass der Bürger*innenrat eher verzögert als beschleunigt wurde. Doch was soll das überhaupt sein, ein ›Klima-Bürger*innenrat‹?
Ob es letztlich 100 oder gar 150 Bürger*innen werden, die den Klima-Bürger*innenrat in Berlin bilden, steht noch nicht fest. Vereinbart ist freilich, dass es sich um eine repräsentativ ausgeloste Gruppe handeln wird, die in einem mehrstufigen Prozess Empfehlungen für die Politik erarbeiten soll. Dabei werden die Bürger*innen selbst wiederum von einem Expertengremium aus Wissenschaftler*innen informiert und beraten.
»Orientiert haben wir uns bei unserem Vorschlag an dem Klima-Bürger*innenrat in Frankreich, der Convention Citoyenne pour le Climat, der 2019 bis 2020 tagte. Außerdem haben wir uns Bürger*innenräte in Irland und Großbritannien angeschaut«, erklärt Stefan Zimmer. Die Vorschläge des französischen Klimarats wurden von Präsident Emmanuel Macron schließlich im Februar dieses Jahres - mit Abstrichen - in einen Gesetzentwurf gegossen und von der Nationalversammlung Anfang Mai in erster Lesung gebilligt. Auch in Deutschland gibt es unter der Schirmherrschaft von Ex-Bundespräsident Horst Köhler (CDU) auf Bundesebene seit gut einem Monat einen Bürgerrat Klima, in dem sich 160 zufällig ausgeloste Personen über das Thema austauschen.
Doch was kann ein Bürger*innenrat besser als die Politik? Kössler sieht hierin auch die Chance, soziale Konflikte zu entschärfen. »Vor allem die Verkehrswende wird für Konflikte sorgen. Wenn wir den Autoverkehr reduzieren wollen, werden Menschen unter Druck geraten, die aufs Auto angewiesen sind«, so Kössler zu »nd«. Ähnliches gelte für die Modernisierung von Altbauten.
Stefan Zimmer von Klimaneustart Berlin hofft, dass ein Bürger*innenrat die Möglichkeit bietet, solche »Zielkonflikte« partizipativ zu lösen. »Es gibt gigantische Herausforderungen und wir müssen alle Bevölkerungsschichten mitnehmen«, betont Zimmer. Viele würden sich aber nur noch in ihrer Blase bewegen. »Wenn aber der AfD-Wähler aus Spandau, der Hipster aus Kreuzberg und, sagen wir mal, der Yuppie aus Prenzlauer Berg miteinander ins Gespräch kommen, ist schon viel gewonnen.«
Der Vorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland Nordost, Heiner von Marschall, erinnert in diesem Zusammenhang nicht zuletzt an die Erfahrungen mit den lokalen Bürger*innenräten, die die Umgestaltung der Bergmannstraße in Kreuzberg begleitet hatten. »Die Räte hatten seinerzeit weitgehende Umgestaltungen und Maßnahmen erarbeitet und dadurch für mehr Akzeptanz bei den Anwohnern gesorgt«, berichtet von Marschall.
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Das sehen freilich nicht alle so. Während sich die Mehrheit der Regierungskoalition im Abgeordnetenhaus vor zwei Wochen für die Einberufung eines Klima-Bürger*innenrates aussprach, stimmte die Opposition aus CDU, FDP und AfD geschlossen dagegen. Mitbestimmung ist Teufelszeug, meinte etwa ein Abgeordneter der AfD und giftete gegen dieses »räterepublikanische Gegenparlament«. Ganz so weit wollte der FDP-Abgeordnete Stefan Förster dann doch nicht gehen, spottete jedoch: »Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis.«
Dabei zeigt das Beispiel des Bürger*innenrats in Frankreich, dass die Vorschläge eines solchen Gremiums eine hohe Legitimität haben können. Zwar gab es in den vergangenen Wochen erneut Proteste Zehntausender Menschen gegen Macrons Klimagesetz - allerdings vor allem, weil der Präsident nicht sämtliche Vorschläge des dortigen Klima-Bürger*innenrats in sein Klimagesetz übernommen hatte.
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