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Am Jobcenter vor verschlossener Tür
Die Linke im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf fordert, wenigstens die Eingangszone wieder zu öffnen
Die Tür des Berliner Jobcenters Charlottenburg-Wilmersdorf am Goslarer Ufer 37 ist verschlossen. Erst mit dem Gesicht ganz nah an der Glasscheibe lässt sich schemenhaft erkennen, dass drin auf einem Stuhl eine Frau vom Sicherheitsdienst sitzt. Als ein junger Mann an der Tür rüttelt und Zeichen macht, steht sie auf – allerdings nicht, um ihn hereinzulassen. Sie gibt lediglich mit Gesten zu erkennen, dass geschlossen sei. »Ich habe eine Frage«, ruft der Mann bittend. Endlich öffnet die Frau die Tür, aber nur einen Spalt. Wegen der Corona-Pandemie könne er persönlich keine Auskunft erlangen, sagt sie. Er müsse anrufen.
So ergehe es seit Monaten vielen Hilfebedürftigen. Selbst in dringenden Fällen sei ohne Termin nichts zu machen. Der zuständige Sachbearbeiter sei weder telefonisch noch per E-Mail zu erreichen. »Ruft man die Hotline an, heißt es, das Anliegen werde weitergeleitet. Nur: Es kommt nichts zurück. Ruft man deswegen zwei Wochen später erneut an, wiederholt sich das Spiel«, beklagt Werner. Der gelernte Kaufmann hat zuletzt in der Gastronomie gearbeitet, bis ihm das aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich war. Nun ist er auf Hartz IV angewiesen.
Weil er sich inzwischen ganz gut auskennt mit der Bürokratie, berät der 59-Jährige andere Betroffene, die ihn um Hilfe bitten. So zum Beispiel eine obdachlose Frau, die keinen Pass und keine Geburtsurkunde vorweisen kann – für die Behörden quasi nicht existiert, aber wieder halbwegs normal und menschenwürdig leben möchte.
Wenn Werner nicht mehr weiter weiß, schickt er die Leute zu Rüdiger Deißler. Der Sozialpädagoge hat von 2008 bis 2012 als Fallmanager im niedersächsischen Jobcenter Göttingen gearbeitet und danach quasi die Seiten gewechselt. Beim Verein Berliner Sozialtherapeutische Wohnheime betreut er hauptberuflich Obdachlose. Dazu gehört, diesen Menschen beim Ausfüllen der Anträge auf Arbeitslosengeld II zu helfen und sie zum Jobcenter zu begleiten. Damit ist es in der Pandemie nun Essig. Soweit sich das überblicken lässt, werden nur in Ausnahmefällen und mit Termin die Betroffenen selbst vorgelassen. Das Jobcenter Treptow-Köpenick beispielsweise bittet ausdrücklich, dann möglichst ohne Begleitperson zu erscheinen.
Ein Problem per Telefon mit jemandem zu klären, der ihren Fall überhaupt nicht kenne, falle seinen Klienten schwer, erzählt Deißler. Oft können sie sich nicht gut ausdrücken. Wenn sie die Geduld verlieren und laut werden, wird aufgelegt. Ihm selbst sei das übrigens neulich auch passiert, als er für einen Klienten bei der Hotline angerufen habe und zu fordernd aufgetreten sei, sagt Deißler. Das ließe sich vermeiden, wenn wenigstens die Eingangsbereiche der Jobcenter geöffnet werden und die Langzeitarbeitslosen dort unter Wahrung der Abstands- und Hygieneregeln spontan vorsprechen könnten.
Der Linke im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf hat das bereits am 22. März gefordert. Geschlossene Eingangszonen verhindern den Zugang zu Sozialleistungen, hieß es in einer Erklärung. »Die Behörde ist für viele Hilfebedürftige nicht erreichbar. Anträge und Unterlagen können nicht beweissicher eingereicht werden. Eine direkte und niedrigschwellige Kommunikation ist nicht möglich. Existenzielle Notlagen sind die Folge.« Bei allem Verständnis für den Infektionsschutz: eine begrenzte Öffnung sei mit Hygienekonzept machbar und notwendig.
Inwieweit in den Berliner Jobcentern persönliche Gespräche stattfinden und Anlaufstellen für Anliegen ohne Termin eingerichtet werden, das entscheiden die Bezirksämter und die Arbeitsagentur vor Ort gemeinsam, erklärt auf Nachfrage Andreas Ebeling von der Presseabteilung der Regionaldirektion. Mit Blick auf die Infektionszahlen beschränke man die persönlichen Gespräche weiterhin auf dringliche, unaufschiebbare Kontakte und Notfallschalter. »Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern sind uns nicht bekannt«, sagt Ebeling. »Ganz im Gegenteil: Von allen Seiten wird großes Verständnis gezeigt.« Oft sei es möglich, in Notfällen noch am selben Tage einen Termin zu bekommen.
Davon haben Rüdiger Deißler und Werner auch schon gehört. Aber, so betont Deißler: »Das können wir nicht bestätigen. Das haben wir noch nie erlebt. Wir glauben das nicht.« Und mit dem Anrufen sei das so eine Sache. Obdachlose und arme Menschen erhalten – wenn sie ohne Konto sind, von dem der Rechnungsbetrag abgebucht werden könnte – keinen Mobilfunkvertrag. Sie verfügen, wenn überhaupt, nur über ein Prepaidhandy, bei dem ein Guthaben aufgeladen werden muss. Wenn aber das Geld alle ist und sie sich deshalb ans Jobcenter wenden müssen, ist das Guthaben oft aufgebraucht.
Am Jobcenter Treptow-Köpenick reichen die Sicherheitsleute in solchen Fällen ein Diensthandy nach draußen, mit dem die Leute drin anrufen können. Neulich schilderte dort ein Mann an diesem Handy seine Lage. Der Scheck des Jobcenters sei nicht angekommen, sagte er. »Ich bin blank. Ich habe keinen Pfennig mehr. Ich kann ja jetzt nicht das ganze Wochenende, ohne was zu essen ...« Ihm wurde zugesichert, die Sache zu überprüfen. Er sollte einstweilen draußen warten – und fror. Es war sehr frisch.
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Das Jobcenter Charlottenburg-Wilmersdorf hat ein Regal mit Briefumschlägen vor die Tür gestellt, in denen alle Formularen für einen Neuantrag sind. Am Stehpult daneben könnte man die Formulare gleich ausfüllen und in den Hausbriefkasten einwerfen. Aber bei so einem Antrag – der Papierstapel ist fast einen halben Zentimeter dick – ergeben sich viele Fragen. Und Antwort bekommt man nicht. Die Tür ist ja verschlossen.
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