Design, das diskriminiert

Die Frage, wer wo pinkelt, ist nicht egal, sondern politisch: »Das Patriarchat der Dinge« von Rebekka Endler

  • Lena Fiedler
  • Lesedauer: 5 Min.

Alles fing mit Toiletten an. Als die Journalistin Rebekka Endler den Auftrag erhielt, sich mit Klos zu beschäftigen, ahnte sie noch nicht, dass aus ihrer Recherche ein ganzes Buch entstehen würde. Es ging um »Potty Parity«, also die ungleiche Verteilung öffentlicher Toiletten für Männer und Frauen. Die Frage, wer wo pinkelt, ist nicht egal, sondern politisch. Besonders für Frauen, weil für sie die Suche nach einem abgelegenen Busch auch ein Sicherheitsrisiko sein kann.

Noch immer müssen rund 4,5 Milliarden Menschen auf der Welt ohne ein funktionierendes Sanitärsystem auskommen, von ihnen sterben etwa 280 000 Menschen jedes Jahr an Krankheiten wie Cholera. Obwohl Sanitäranlagen so wichtig sind, gibt es sie in vielen Städten in Deutschland primär für Männer - in Form von Pissoirs, also eher ungeeignet für Frauen. Während Frauen darauf angewiesen sind, einige der wenigen Toiletten zu finden und dafür häufig noch zahlen müssen, können Männer schnell und kostenlos austreten.

Einmal angefangen zu recherchieren, fielen Endler immer mehr Beispiele für Designs ein, die eine Welt reproduzieren, in der Frauen sich nur schwer wohlfühlen oder zurechtfinden können: Autos, Sprache, Städte, Bürostühle, Medikamente, Architektur und Fahrradsättel - die Liste ließe sich lange fortführen. In ihrem Buch »Das Patriarchat der Dinge« führt Endler all diese Beispiele zusammen, in denen der Mann das Maß aller Dinge ist und bettet sie in einen (historisch-)feministischen Diskurs ein, um zu erklären, wie patriarchales Design entstanden ist und wie es den Machtanspruch von Männern unterstützt.

Die meisten Städte sind beispielsweise auf die Bedürfnisse von Männern ausgerichtet, weil bei ihrer Entstehung nur Männer mobil sein mussten, während Frauen zu Hause blieben: »Sein schnelles und bequemes Vorwärtskommen, sowohl im Straßenverkehr als auch im Leben, ist der Mittelpunkt jeder entstehenden Struktur«, schreibt Endler. Daran hat sich bis heute wenig geändert, die Bordsteinkanten erschweren Kinderwägen und Rollstühlen das Fortkommen, für Fahrräder ist kein Platz vorgesehen, lediglich der SUV fährt ungehindert ans Ziel. Die Stadt- und Verkehrsplanung scheint in Teilen immer noch (von Männern) für Männer gemacht.

In neun Kapiteln verhandelt die Kölner Autorin und Journalistin teils anekdotisch Ereignisse, die auf patriarchales Design hinweisen, die vielleicht nicht so offensichtlich sind wie die Verteilung von Toilettenkabinen. Es geht um das Temperaturthermostat im Büro, die frühere Frauendomäne Programmieren, das Blümchenkleid Annalena Baerbocks, die sexuellen Fantasien des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranickis, die Attraktivität Jesu Christi und die Größe von Vulven. Ihre Beispiele zeigen, dass Endler den Design-Begriff sehr weit fasst und auch Dinge der Ideenwelt mit einschließt, wie zum Beispiel die Sprache, das Ideal für Haare und Frisuren oder auch Gesetze als Rechtsgestaltung.

Es geht aber auch um handfeste Designs, wie den Pürierstab oder die Bohrmaschine: das weiblich codierte Produkt werde als minderwertig wahrgenommen, das männliche als hochwertig, so Endler. Viele ihrer Beispiele sind denjenigen schon bekannt, die sich ohnehin mit feministischen Diskursen beschäftigen oder das Buch »Unsichtbare Frauen«, von Caroline Criado-Perez im Regal stehen haben, die für ihr Buch ähnliche Thesen und ähnliche Beispiele wie Endler verhandelt. Endlers Leistung besteht darin, die Beispiele im Kontext ihrer Entstehung zu verorten, sie mit Hintergrundwissen anzureichern und in einer nicht-akademischen und unterhaltsamen (teils wütenden) Sprache auf den Punkt zu bringen. Perfekt also, für all jene die ein leicht zu lesendes Werk zur Einführung suchen.

Na okay, dann sollen sich Frauen doch einfach ihre eigenen Fußballschuhe machen oder die männlich ausgerichteten Designs anpassen, könnte man jetzt meinen. Doch auch in der Medizin, die im Zweifelsfall Leben retten soll, macht das Geschlecht einen Unterschied. Die Wahrscheinlichkeit in der Altersgruppe unter 50 Jahren an einem Herzinfarkt zu sterben, ist für Frauen mehr als doppelt so groß wie für einen Mann, schreibt Endler. Das sind gravierende Missstände, deren Dringlichkeit allen einleuchten müsste, egal welchen Geschlechts. Von einem gendergerechteren Wandel würden alle profitieren, so Endler, und sie findet dafür ein überzeugendes Argument: »Denn wer hat nicht gerne eine lebendige Frau, Freundin, Mutter, Tochter, Schwester und so weiter, und zwar ungeachtet ihrer Hautfarbe und Religion, ihres Kontostands oder ihrer sexuellen Orientierung.«

Am Ende soll es der intersektionale Feminismus also richten. Aber wie? Den meisten Städteplanern müsste es ja einleuchten, Frauen mitzudenken, selbst wenn sie selbst keine sind. Nur überzeugend zu argumentieren, reicht leider nicht, sonst sähe die Welt wahrscheinlich schon längst ein wenig gerechter aus.

Im Zuge ihrer Recherche fand Endler Alternativen für patriarchales Design. Auch für das Klo, um auf das Eingangsbeispiel zurückzukommen. Die Industriedesignerin Bettina Möllring hat ein Urinal für Frauen entworfen, das im öffentlichen Raum eingesetzt werden könnte. Der Entwurf wurde jedoch aus verschiedenen (sexistischen) Gründen nicht realisiert. Das zeigt: Mehr Menschen über patriarchales Design aufzuklären, kann helfen, Widerstand zu erzeugen. Aber ändern wird sich deswegen nicht zwingend etwas. Es fehlt ein theoretischerer Diskurs darüber, wie Design und Machterhalt zusammenhängen, um zu erkennen, wo Veränderungen möglich wären. Dazu braucht es auch den Willen von Entscheider*innen. Das ahnt Endler auch, wenn sie schreibt: »Designlösungen schaffen natürlich nur Denkanreize, handeln muss die Politik.«

Rebekka Endler: Das Patriarchat der Dinge. Dumont. 336 S., geb., 22 €.

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