- Berlin
- Deutsche Wohnen und Co enteignen
Aktivisten als Investitionsrisiko
10 000 Teilnehmer bei Demonstration gegen Mietenwahnsinn in Berlin
Am Sonntag weht auf dem Potsdamer Platz ein lila-gelbes Fahnenmeer des Volksbegehrens »Deutsche Wohnen und Co enteignen«. Zusammen mit anderen Aktivisten ziehen die Unterstützer der Vergesellschaftung großer privater Wohnungsunternehmen von hier bis zum Schöneberger Nollendorfplatz. Etwa 10 000 Menschen beteiligen sich nach Schätzung der Veranstalter an der Demonstration, zu der das Mietenwahnsinn-Bündnis aufgerufen hatte.
Die gleich zu Beginn unter lautstarkem Beifall vom Lautsprecherwagen ausgegebene Devise: »Wir sind das Investitionsrisiko für die Spekulanten!« Beim Kampf gegen Verdrängung brauche es den Druck von unten. »Mit dem Aus für den Mietendeckel habe ich mein Vertrauen darin verloren, dass Parteien und Parlamente das Mietenproblem lösen werden«, sagt etwa Berit von der Akelius-Mieter*innenvernetzung, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.
Ihr Vermieter gehört zu den Kandidaten für eine mögliche Enteignung. Auch wenn darüber erst im September abgestimmt werden könnte, freut sich Berit über einen ersten Erfolg. So übte der Bezirk Neukölln in der vergangenen Woche das Vorkaufsrecht für zwei von Akelius gekaufte Häuser aus, die das Unternehmen mittels eines sogenannten Share-Deals erworben hatte, mit dem Vorkäufe eigentlich umgegangen werden können (»nd« berichtete).
Ein anderer Vorkauf lässt gerade die Mieter der Neuköllner Hermannstraße 48 bangen. Hier hatte der Bezirk das Vorkaufsrecht im Februar zugunsten der Hausgemeinschaft ausgeübt. Die auch am Sonntag beliebte Parole - »Die Häuser denen, die drin wohnen« - könnte für die Mieter damit eigentlich bereits Realität sein.
Doch sowohl Verkäuferin als auch ursprüngliche Käuferin haben Widerspruch eingelegt, wodurch das Haus vorerst in den Händen der vorigen Eigentümerin verbleibt. »Durch die Abmahnungen und Kündigungsdrohungen, die gerade gehäufter an uns gehen, und den Ausblick auf eine Gerichtsentscheidung, die erst in mehreren Jahren kommen könnte, fühlt sich unsere Situation gerade sehr unsicher an«, sagt Johanna von der Hausgemeinschaft zu »nd«. Einer der Gründe, weshalb auch die Mieter der »H48« am Sonntag auf die Straße gegangen sind.
Fast schon Tradition der Mietenwahnsinn-Proteste ist dabei die Routenführung entlang der Standorte von »Potse« und »Drugstore«, wo die Demonstration dieses Jahr mit Pyrotechnik begrüßt wird. Schon beim Auftakt 2018 endete die Demo vor den Jugendclubs in Schöneberg, wodurch diese erstmals von der Politik ernst genommen worden seien, wie einer der »Potse«-Aktivisten am Sonntag sagt. Drei Jahre später ist das »Drugstore« immer noch ohne Räumlichkeiten.
Die »Potse« hingegen konnte zuletzt ihre Räumung gegen eine Sicherheitszahlung um zwei Monate verschieben. Erst wenn sie den Mietvertrag für ein geeignetes Ausweichquartier unterschrieben haben, wollen die Jugendlichen die Räume in der Potsdamer Straße 180 verlassen. Aktuell stehen die Chancen gut, dass die Zollgarage auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof das neue Domizil werden könnte.
Doch wie Akelius-Mieterin Berit haben auch die Jugendlichen von der Potse wenig Vertrauen in die Politik. »Es ist absurd, dass Bezirk und Land an einer Räumung festgehalten haben und wir unter rot-rot-grün als Jugendliche 10 000 Euro für die Sicherheitszahlung zusammenkratzen mussten«, sagte einer von ihnen auf der Demonstration. Dass sie seit mittlerweile zweieinhalb Jahre den Jugendclub besetzt halten, wäre nur durch die Unterstützung der Mieterbewegung möglich gewesen.
Die Berliner Mieterbewegung bekommt am Sonntag selbst Unterstützung. Neben Klima- und Gesundheitsaktivisten haben sich auch Unterstützer aus anderen Städten in den Aufzug eingereiht, die am Wochenende an einem Camp des Volksbegehrens »Deutsche Wohnen und Co enteignen« teilnahmen. Selma ist eine von ihnen. Mehrere Jahre hatte sie in Berlin gelebt, studiert jetzt aber in Greifswald.
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»Von der Berliner Mieterbewegung können andere Städte lernen«, sagt sie auch und vor allem mit Blick auf die Aufwertung durch Abriss und Neubau bei ihr vor der Haustür. Ein Grund für ihren Umzug in die vorpommersche Universitäts- und Hansestadt sei gewesen, endlich »schön« wohnen zu können - also nicht nur in kleinen, dunklen und zugleich teuren Zimmern wie zuvor in Berlin. Bis man auch hier wieder schön und sorgenfrei wohnen kann, werden - wenn überhaupt - wohl noch einige Mietendemos vergehen müssen.
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