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Pandemievertrag statt Patentfreigabe?
Bei der Weltgesundheitsversammlung geht es um die Frage, wie eine künftige Pandemie verhindert werden kann
Die Bekämpfung von Covid-19 und die Vorbereitung auf die nächste Pandemie sind die eigentlichen Themen der 74. Weltgesundheitsversammlung, die am Pfingstmontag in Genf begonnen hat. Doch schon bei der Eröffnung dieses Jahrestreffens aller 194 Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird deutlich, wie sehr die globale Kluft zwischen arm und reich die Diskussionen überlagert.
»Eine kleine Zahl von Ländern, die den Großteil des Impfstoffs produziert und aufgekauft haben, kontrolliert das Schicksal der restlichen Welt«, kritisierte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus und meinte damit vor allem jene zehn Länder, die bisher 75 Prozent der mehr als eine Milliarde Covid-Impfungen an ihre eigenen Bürger verimpft haben.
»Die bisher verabreichten Impfungen hätten ausgereicht, um weltweit alles medizinische Personal und alle älteren Menschen impfen zu lassen, wenn sie gerecht verteilt gewesen wären«, so Tedros. Auch UN-Generalsekretär António Guterres warnte, Covid-19 lasse sich nicht besiegen, wenn ein Land nach dem anderen durchgeimpft werde. »Wenn wir jetzt nichts tun, dann werden die reichen Länder ihre Bevölkerung impfen und ihre Wirtschaft öffnen, während das Virus in den ärmsten Ländern zirkuliert und mutiert.« Hunderttausende Tote seien die Folge. Wie Tedros, so unterstützte auch Guterres die vorübergehende Aufhebung des Patentschutzes für Covid-Impfstoffe während der Pandemie, um die weltweite Produktion möglichst zu verdoppeln.
Wie nötig diese zusätzlichen Impfstoffe wären, zeigt nicht zuletzt die globale Gesundheitsstatistik, die die WHO am Freitag vorlegte. Demnach ist die Zahl der Toten im Zusammenhang mit der Pandemie zwei bis dreimal höher als die bisher vermuteten 3,4 Millionen. Das liegt unter anderem daran, dass gerade in armen Ländern oftmals unklar ist, woran Menschen sterben.
In Afrika etwa wird laut WHO nur jeder zehnte Todesfall verlässlich erfasst, während es in Europa 98 Prozent sind. Ein weiterer Grund für die hohe Dunkelziffer: Viele andere schwere Krankheiten wurden in der Corona-Pandemie nicht behandelt, auch weil die Gesundheitssysteme durch die Corona-Patienten überlastet waren und sind. Dagegen soll eigentlich die von der WHO ins Leben gerufene Initiative namens »ACT-Accelerator« helfen, über deren Stärkung am Freitag ein eigener »Weltgesundheitsgipfel« von EU und G-20-Staaten in Rom beriet.
Der Initiative, zu der auch das Impfprogramm Covax gehört, fehlen 18,5 Milliarden US-Dollar und außerdem Impfstoff, Covid-Tests, Sauerstoff und Beatmungsgeräte, also praktisch alles, was in der Pandemie knapp und begehrt ist. Zwar sagte die EU am Freitag weitere 100 Millionen Dosen Impfstoff für die ärmsten Länder der Welt zu, und Hersteller stellten mehrere Milliarden Dosen in Aussicht.
Doch an der akuten Knappheit in den meisten Staaten der Welt ändert das zunächst nichts. Die gut geimpften Vertreter der Industriestaaten sorgen sich dagegen weniger um die Gegenwart als um die Zukunft.
»Nach der Pandemie ist vor der Pandemie, und für die nächste sollten wir so gut vorbereitet sein wie möglich«, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Auftakt. Sie warb für einen globalen »Pandemievertrag«, der Staaten bei der nächsten Pandemie zu mehr Zusammenarbeit und Transparenz verpflichten würde. Das Problem: Die Aushandlung eines solchen Vertrags könnte Jahre dauern, wenn sie überhaupt gelänge. China, Russland und Brasilien sperren sich dem Vernehmen nach gegen ein solches Abkommen, das es der WHO etwa erlauben würde, Informationen über Pandemieverläufe ohne Zustimmung betroffener Staaten zu veröffentlichen.
Auch die USA zeigen bisher wenig Interesse. Zwar forderten gleich drei Kommissionen, die die Arbeit der WHO während der Pandemie untersucht haben, die Organisation zu stärken. Doch ob das in der kommenden Woche tatsächlich geschieht, ist bestenfalls ungewiss. Eine von der EU vorgelegte Resolution, die der WHO mehr Möglichkeiten für unabhängige Untersuchungen im Pandemie-Verdacht einräumen sollte, wurde noch vor Beginn der Versammlung derart verwässert, dass sie bei der Beschlussfassung vermutlich nicht mehr als ein weiterer unverbindlicher Aufruf zur Stärkung der WHO sein wird. Und wenn es um mehr Geld geht, das die WHO mit ihrem Jahresbudget von knapp zwei Milliarden Euro dringend bräuchte, mauern auch die Europäer.
Zum einen haben Länder wie Deutschland ihre Zuschüsse während der Pandemie bereits erhöht, andere Geber verweisen auf die Kosten der Corona-Pandemie im eigenen Land. Fast alle halten zudem an der Zweckbindung der meisten ihrer Gelder fest. Das aber beraubt die WHO genau dem, was die Kommissionen fordern: mehr Eigenständigkeit.
Für WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus ist das ein Problem, das nicht nur die von ihm geführte Organisation, sondern auch ihn selber trifft. Im kommenden Jahr läuft seine Amtszeit aus. Ob er ein weiteres Mal für fünf Jahre an der Spitze der WHO vorgeschlagen wird, hängt wohl vor allem davon ab, ob die weltweite Bekämpfung der Covid-19-Pandemie in den kommenden Monaten besser gelingt als bisher. Noch sieht es nicht danach aus.
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