- Wirtschaft und Umwelt
- Pharmaindustrie
Coronatests tun Konzernen gut
Nicht das Impfen, sondern das millionenfache Testen wird zum Milliardengeschäft
Die Bilanzsaison der Aktiengesellschaften neigt sich langsam ihrem Ende zu. Dabei zeichnet sich ein erstaunliches Ergebnis ab: Nicht die Impfanbieter zählen bislang zu den größten Gewinnern in der Pandemie, sondern Pharmaunternehmen, die millionenfach ihre neuen Coronatests verkaufen konnten. Beispielhaft dafür steht die Bilanz des Schweizer Konzerns Roche.
Während der Corona-Pandemie gehen die Menschen seltener zum Arzt und lassen sich weniger ins Hospital einweisen. Das bekam der Pharmariese Roche schon im vergangenen Jahr zu spüren. Der Bedarf an den hauptsächlich in Praxen und Krankenhäusern verabreichten Roche-Arzneien ging in den ersten drei Monaten um 14 Prozent auf umgerechnet 9,6 Milliarden Euro zurück. Doch die anhaltend hohe Nachfrage nach Coronatests rettete der Firma die Bilanz.
Der vor allem für seine Krebstherapien bekannte Konzern aus Basel ist auch der weltgrößte Anbieter von Geräten, Verfahren und Verbrauchsgütern zur Bestimmung von Krankheiten. Im vergangenen Jahr rückte die meist im Schatten des noch größeren Pharmageschäfts stehende Sparte dank ihrer Coronavirus-Tests ins Rampenlicht der Aktienanalysten.
Die F. Hoffmann-La Roche AG hat, anders als ihr ewiger Basler Konkurrent Novartis, 18 verschiedene diagnostische Lösungen entwickelt, um das Virus aufzuspüren. Das jüngste Produkt, ein Selbsttest, der vor allem für die Entdeckung sogenannter Superspreader geeignet sein soll, gehe weg wie warme Semmeln, sagte Vorstand Thomas Schinecker.
Der Umsatz in der Diagnostiksparte legte im ersten Quartal um sagenhafte 50 Prozent zu, auf 3,9 Milliarden Euro. Deren Anteil am gesamten Konzernumsatz stieg dadurch um zehn Prozentpunkte auf 29 Prozent. Gewinnzahlen veröffentlicht Roche nur zum Halbjahr und am Jahresende. Doch wohl noch nie hat eine neue Produktlinie dermaßen bei der Kundschaft eingeschlagen. »Der Umsatzsprung«, untertreibt die »Neue Zürcher Zeitung« in ihre Bilanzanalyse, »hat die hohen Erwartungen vieler Analytiker noch übertroffen.«
Der Boom dürfte länger laufen. Diagnostik-Chef Schinecker zufolge übersteigt die Nachfrage weiterhin das Angebot und die Produktion werde weiter hochgefahren. Auch andere Pharmafirmen wie Unilabs, Hirslanden oder Merck in Darmstadt wittern das ganz große Geschäft. Teils verkaufen sie eigene Tests, teils beliefern sie Hersteller und Labore mit chemischen Grundstoffen.
Ob Friseurbesuch oder der Eintritt ins Museum, in vielen Ländern der Erde werden »negative« Testergebnisse vorausgesetzt. In zahlreichen Betrieben und Schulen werden die Menschen zwei, drei Mal die Woche getestet, in Kliniken und Pflegeeinrichtungen oft täglich. Auf die »Gesundheits«-Konzerne wartet ein Milliardenmarkt - finanziert vom Staat.
Obendrein boomt noch das Geschäft mit Selbsttests, die Millionen Menschen in Apotheken und Supermärkten kaufen. Da sich abzeichnet, dass die Impfungen nach einiger Zeit ihre Wirkung verlieren werden und dieser Prozess individuell unterschiedlich schnell verläuft, dürfte der Markt für Coronatests nachhaltig sein.
Auch in Deutschland sind Coronatests im Alltag angekommen. Das lässt sich aus den kürzlich veröffentlichten Zahlen des Verbandes der Diagnostika-Industrie (VDGH) entnehmen. Der Markt für Laboruntersuchungen ist 2020 um 25,9 Prozent gewachsen, jubelte kürzlich der VDGH. Das Marktvolumen der Branche sei im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 500 Millionen Euro auf insgesamt 2,7 Milliarden Euro gestiegen. »Das Ergebnis stellt eine Rekordmarke für die Diagnostika-Industrie dar und ist auf das enorme Testaufkommen in der Corona-Pandemie zurückzuführen«, sagte VDGH-Vorstandsvorsitzender Ulrich Schmid.
Lesen Sie auch: Pandemievertrag statt Patentfreigabe? Bei der Weltgesundheitsversammlung geht es um die Frage, wie eine künftige Pandemie verhindert werden kann
Testen, testen, testen - auf dieser Corona-welle schwimmt auch Siemens. Zusammen mit einem US-amerikanischen Diagnostikunternehmen hergestellte Tests haben im ersten Halbjahr (Oktober bis April) einen Umsatz- und Gewinnschub auch bei dem Medizintechnikkonzern Siemens Healthineers ausgelöst.
Der Verkauf der Tests, das ist der Berichterstattung des bayerischen Konzerns zu entnehmen, erfolgte vor allem an öffentliche Auftraggeber in Deutschland. Nun wird Corona die Welt nicht allzeit in Atem halten. Mut auf weiterhin glänzende Geschäfte macht Technikkonzernen, Laboren und Pharmaindustrie jedoch eine neue Entwicklung in den Vereinigten Staaten. Die »Neue Zürcher Zeitung« berichtet, dass inzwischen viele Millionen Amerikaner einen Gentest gemacht haben. Dafür muss man lediglich in ein Teströhrchen spuken. Und dann ab die Post zum Anbieter.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.