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Keine Lust auf Olympia

Aus Angst vor einem Corona-Ausbruch werden die Rufe nach einer Absage der Spiele in Japan immer lauter

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigentlich hätte Thomas Bach diese Woche für finale Absprachen in Japan sein sollen. Doch unter den aktuellen Umständen muss sogar der Chef der olympischen Bewegung draußen bleiben. Weil der in Japans größtem Ballungsraum geltende Ausnahmezustand vorerst bis zum Monatsende verlängert worden ist, bietet sich die von Bach geplante Reise durchs Land kaum an. So konferierte man in den vergangenen Tage wieder nur digital miteinander.

Dabei haben sich die Organisatoren große Mühe geben, alle Zweifel an der Sicherheit Olympias zu entkräften. Am Mittwoch gaben sie die Nachricht heraus, dass sich ausländische VIP nicht mit den Olympioniken treffen werden, um so das Infektionsrisiko gering zu halten. Am Donnerstag kam hinzu, dass die Zahl ausländischer Offizieller auf 78 000 begrenzt werde - in etwa eine Halbierung. Am Freitag sagte ein Vertreter der Organisatoren noch, alle Offiziellen würden bei den Spielen täglich getestet. Sicherheit habe oberste Priorität.

Noch knapp zwei Monate bleiben, bis am 23. Juli in der größten Metropole der Welt die größte Sportveranstaltung der Welt starten soll. Schon diese Kombination macht in Zeiten einer Pandemie viele Menschen skeptisch. Angesichts der hohen Bevölkerungsdichte ist Tokio zudem Japans heißester Infektionsherd. Rund ein Viertel aller Erkrankungen werden hier registriert. Experten des japanischen Gesundheitssystems rechnen im Sommer mit einem Kollaps von Krankenhäusern - anderswo im Land werden bereits Patienten, die Intensivbehandlung bräuchten, wegen Engpässen abgewiesen.

So braucht es in Japan dieser Tage gar nicht die seit der einjährigen Verschiebung noch mal stark gestiegenen Kosten als Begründung, damit ein Großteil der Bürger gegen die Austragung der Spiele in diesem Sommer ist. Vergangene Woche ergab eine neue Umfrage, dass 40 Prozent eine erneute Verschiebung wünschen, weitere 43 Prozent fordern die komplette Absage. Anfang des Monats initiierte der Politiker und Anwalt Kenji Utsunomiya eine Petition mit derselben Forderung. Innerhalb von zwei Tagen hatte er 200 000 Unterschriften, in Japan ein Rekord. Die Zahl hat sich seitdem längst verdoppelt.

Die Sicherheitsversprechen der Olympiaorganisatoren wirken auf die Kritiker nicht überzeugend. Zwar sollen nun alle Olympiadelegierten geimpft werden. Aber die Zehntausenden Volunteers, die während der Spiele den Ablauf in Stadien, an Bahnstationen und anderswo absichern, sind für diese Priorisierung nicht vorgesehen. Sie müssen sich wie der Rest der Bevölkerung anstellen. Wann sie dran sind, ist schwer zu sagen. Bis jetzt sind kaum zwei Prozent der Japaner vollständig gegen das Virus geimpft. Massenimpfungen laufen gerade erst für Senioren an.

Auch bei der Frage des medizinischen Personals stehen die Olympiaorganisatoren in der Kritik. Für den Fall, dass sich von den Sportlern doch jemand mit dem Coronavirus infizieren sollte, werden 300 Hotelzimmer als Quarantäneräume bereitgestellt - wobei diese durch den Ausschluss von Zuschauern aus dem Ausland ohnehin nicht ausgebucht wären. Um zudem die medizinische Versorgung der Athleten sicherzustellen, versucht das Organisationskomitee 500 freiwillige Pflegekräfte und 200 Ärzte anzuwerben.

Susumu Morita, Vorsitzender des nationalen Verbands der Pflegekräfte, hält dies in Zeiten einer Pandemie für unverschämt: »Ich bin wütend über das Festhalten an den Olympischen Spielen, obwohl dies Gesundheit und Leben von Patienten und Pflegekräften aufs Spiel setzt.« Auf ähnliche Weise haben sich Gouverneure von Präfekturen in der Nachbarschaft Tokios geäußert. Für infizierte Olympioniken, verkündeten die Regierungschefs aus Chiba und Ibaraki, wollen sie keine Krankenhausbetten hergeben. Diese seien derzeit zu »kostbar«.

Eine Art Boykott ist auch aus weiteren Regionen zu spüren. Um Olympiadelegationen verschiedener Länder für Trainingslager und kulturellen Austausch willkommen zu heißen, hatten sich gut 500 Städte im ganzen Land als Gastgeber angemeldet. Mittlerweile haben an die 60 von ihnen ihre Unterstützung aber wieder zurückgezogen. Die Pandemie im Land lasse einen regen Austausch nun mal nicht zu, heißt es immer wieder.

Der am schwersten wiegende Verlust von Rückhalt kommt aber aus der Hauptstadt selbst. Weil es im japanischen Parlament als unpatriotisch gegolten hatte, sich skeptisch gegenüber »Tokyo 2020« zu äußern, hielten Abgeordnete aller möglichen Parteien bisher still. Jetzt ist das anders. Oppositionsführer Yukio Edano, Vorsitzender der Verfassungsdemokratischen Partei, sagte zuletzt: »Es ist unmöglich, die Leben der Menschen zu schützen - und gleichzeitig die Olympischen und Paralympischen Spiele zu veranstalten.«

Am Freitag erklärte Shigeru Omi, Vorsitzender der Anti-Corona-Taskforce der Regierung, dass die Entscheidung über Durchführung oder Absage bei den Organisatoren liege. Er selbst hatte vor kurzem darauf gedrängt, dabei auch die Pandemielage zu berücksichtigen. Am Freitag fügte er hinzu: »Diese Entscheidung kann nicht erst in letzter Minute getroffen werden.«

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