Mit Rosinen, ohne Ausstiegsklausel

Sonntagsschuss

  • Christopf Ruf
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn im August die nächste Saison angepfiffen werden wird, kommt es zu folgenden Begegnungen: Hamburger SV gegen Werder Bremen, St. Pauli gegen Dynamo Dresden, FC Schalke 04 gegen Hansa Rostock, 1. FC Nürnberg gegen Fortuna Düsseldorf. All diese Partie werden allerdings in der zweiten Liga gespielt. In der ersten wird derweil Augsburg gegen Hoffenheim angepfiffen. Oder Mainz gegen Wolfsburg. Leverkusen gegen Bielefeld geht da fast schon als interessante Paarung durch.

Dass das alles so auch seine Ordnung hat, ist natürlich nicht zu bestreiten. Wenn ein Verein wie Schalke mit einem Europacup-Etat als abgeschlagener Letzter absteigt, hat er sich das ebenso redlich verdient wie der HSV, der mit einem Erstligakader in seine vierte Saison gegen Aue, Regensburg und Heidenheim gehen wird.

Und auch Bremen, das am Sonnabend nach 40 Jahren Bundesliga-Zugehörigkeit abgestiegen ist, wirkte in den letzten Wochen auf dem Platz mindestens so planlos wie im Management, wo man lange zögerte, in der Trainerfrage überhaupt eine Entscheidung zu treffen. Nur um dann, als Manager »Baumi« Baumann zu Ende reflektiert hatte, den Mann zu inthronisieren, der praktischerweise sowieso schon jeden Morgen zum Stadion fährt: Thomas Schaaf. Eine Niederlage später ist Werder abgestiegen.

Mir tut der Bremer Abstieg - wie wohl sehr vielen Fußballinteressierten hierzulande - leid. Nicht, weil Werder sich seinen Niedergang nicht über Jahre erarbeitet hätte. Sondern weil mir ganz spontan eine zweistellige Zahl an Menschen einfällt, an Fans wie Funktionären, die ein sehr hartes Wochenende verbracht haben dürften. Schon komisch, wie oft man an Fans der jeweiligen Vereine denkt, wenn man den Misserfolg der Mannschaft bedauert (oder sich darüber freut). Wahrscheinlich liegt es daran, dass Fans keine Ausstiegsklauseln in ihren Verträgen haben. Wenn es nach mir geht, darf Werder jedenfalls sofort wieder aufsteigen. Die Frage ist nur, ob es das überhaupt will.

Schließlich hat die erste Liga ab Sommer ein echtes Problem. Künftig werden viele Spiele, die Fans zu verstärkten Reiseaktivitäten animieren, in der zweiten Liga stattfinden. Falls Corona tatsächlich allmählich die Puste ausgeht und wieder Zuschauer ins Stadion können, dürfte es schwer werden, für die Heimspiele von Hamburg oder Dresden überhaupt Karten zu bekommen. Für Schalke mit seinem Riesenstadion dürfte das Gleiche gelten. Zumindest dann, wenn die Mannschaft in der kommenden Saison nur ein kleines bisschen weniger deutlich an der einzigen Erwartungshaltung scheitert, die alle Fans verbindet: dass die Jungs mit dem Trikot zumindest so tun, als wäre es ihnen nicht egal, ob sie ein Spiel verlieren oder gewinnen. Auch in Nürnberg, Bremen und Düsseldorf (und vielleicht sogar in Hannover) steht schnell eine »4« vor der fünfstelligen Zuschauerzahl, wenn der Verein in die Nähe der oberen Ränge kommt.

In der ersten Liga dürfte das anders laufen. Allein schon, weil eine beträchtliche Zahl von Vereinen ein Publikum hat, das mehrheitlich anders tickt als das in Dresden, Hamburg oder Gelsenkirchen. Für die meisten Schalke-Fans ist die Frage, warum sie nach einem 0:6 beim nächsten Heimspiel wiederkommen sollten, so befremdlich, dass sie erst mal ein paar Schrecksekunden lang mit offenem Mund antworten. Eine solch absurde Frage haben sie sich in den Jahrzehnten zuvor nämlich noch nie gestellt. In Mainz, Wolfsburg oder Hoffenheim ist das anders. Auch hier gibt es Tausende, für die ein Spieltag ein Pflichttermin ist. Aber mindestens genauso viele sehen bei 17 Heimspielen vier Rosinen - und 13 Gründe, die Dauerkarte zu verleihen oder verfallen zu lassen.

Von den Hunderttausenden Fans, die vor der Pandemie wie selbstverständlich zu ihren Vereinen pilgerten, dürften viele sich zudem künftig genauer überlegen, was sie am Sonnabend tun. Die einen, weil sie gemerkt haben, dass man ein Wochenende auch ganz gut ohne Fußballspiele verbringen kann. Die anderen, weil sie gemerkt haben, wie unwichtig sie sind. Um den Bundesliga-Zirkus ungeniert aufzuführen, hat man in der vergangenen Saison jedenfalls keine Fans gebraucht.

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