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Wider die neoliberalen Mythen

Das Buch »Gewinn ist nicht genug« klärt über ökonomische Grundsatz- und Alltagsfragen auf

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Mainstream-Ökonomie gibt sich gerne als exakte Wissenschaft. Sie versucht, mit mathematischen Modellen ihren Erkenntnissen den Schein unumstößlicher Wahrheiten zu geben. Etwa der Annahme, dass der Mensch ein »homo oeconomicus« sei, der immer rational handelt und stets auf seinen eigenen Vorteil achte.

Oder dass der Markt alles regelt, wie uns neoliberale Ökonomen die letzten Jahrzehnte über weismachen wollten. Zu ihren Vordenkern im 20. Jahrhundert gehörten Milton Friedman und Friedrich August von Hayek, die auch Chiles Machthaber Augusto Pinochet berieten - mit gravierenden Folgen für Land und Bevölkerung.

»Die in die Verfassung des Diktators Pinochet festgeschriebene Herrschaft des Marktes und die folgende Privatisierung von Schulen und Renten vertieften die soziale Kluft, die in der ›Schweiz Südamerikas‹ 2019 zu einem Ausbruch der Gewalt führte«, heißt es in einem Buch mit dem Titel »Gewinn ist nicht genug!«. In dem Buch widerlegen der Bremer Ökonom Rudolf Hickel, der Publizist Johann-Günther König und der Wirtschaftsjournalist Hermannus Pfeiffer nicht weniger als 21 Mythen der Mainstream-Ökonomie.

Dabei geht es etwa um die Frage, ob dass Bruttoinlandsprodukt das Maß aller Dinge sei, Globalisierung Reichtum produziere, der Mindestlohn Arbeitsplätze vernichte oder die Schuldenbremse künftigen Generationen nütze. Die Antworten, die einem die neoliberale Lehre gibt, werden zwar spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/8 immer mehr hinterfragt, doch noch immer bestimmen sie das politische Handeln und unseren Alltag.

Laut den Autoren sind dies Mythen, »die uns teuer zu stehen zu kommen«. Und: »Die ökonomisch, sozial und ökologisch selbstzerstörerischen Kräfte einer entfesselten Profitwirtschaft sind durch marktfundamentalistisches Schalten und Walten offenbar nicht zu bändigen.«

Schon der Mythos, dass der Markt alles regele, indem er durch Wettbewerb unter den Unternehmen, Angestellten und Konsumenten das Beste für alle heraushole, kann schnell widerlegt werden. Die Coronakrise wirkt da wie ein »Brennglas«: etwa wenn selbst einfache Masken für Unsummen verkauft werden. Ein klassischer Fall von Marktversagen, würden Ökonomen das nennen. Gleichzeitig führt der Markt nicht automatisch zu mehr Wettbewerb, etwa wenn sich durch Konzentration Oligopole und Monopole herausbilden.

»Beispielhaft erscheinen da die Flugzeughersteller: Airbus und Boeing wetteifern zwar, aber wirkliche Konkurrenten sind sie nicht«, schreibt Hermannus Pfeiffer, den nd-Leser als regelmäßigen Autoren kennen, in einem Beitrag. Die Luftfahrtgesellschaften seien mangels Alternativen abhängig von dem Duopol und achteten darauf, dass beide Hersteller zum Zuge kämmen, um nicht in vollkommene Abhängigkeit von nur einem Anbieter zu geraten.

Hinzu kommt, dass die Volkswirtschaft, die in den letzten Jahren die größten Wachstumsraten hatte, in ihrer Spielart des Kapitalismus mehr auf Plan als auf den freien Markt setzt: China. Mittlerweile ist die Volksrepublik, die jährlich Waren im Wert von 100 Milliarden Euro allein hierzulande verkauft, Deutschlands wichtigster Handelspartner. Das Land baut sein globales Handelsnetz mit dem Billionenprojekt Neue Seidenstraße weiter aus.

Dabei denken Präsident Xi Jinping und seine Planer strategisch - und agieren lokal. »Bis in die deutsche Provinz: Schon vor mehreren Jahren besuchte eine hochrangige Delegation aus der Millionenmetropole Guang’an den Landkreis Dithmarschen«, schreibt Pfeiffer. In Anwesenheit des Landrates sei ein Memorandum über die künftige Zusammenarbeit unterzeichnet worden.

Man sieht also: Die Markt- ist der Planwirtschaft nicht unbedingt überlegen. Hinzu kommt, dass der neoliberale Turn in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur mit einer Entfesselung der Märkte, sondern auch mit einer Zunahme der sozialen Ungleichheit einherging, wie zahlreiche Studien aus der Verteilungsforschung belegen. »Dass es im reichen Westen in den 1980ern zur ›Ungleichheitswende‹ kam, ist vor diesem Hintergrund direkt oder indirekt auf eine Veränderung der polit-ökonomischen Machtverhältnisse zurückzuführen«, schreibt Pfeiffer dazu.

Lesen Sie auch: Wir haben einen Plan. Natürlich kann die Planung von Produktion und Verteilung funktionieren. Die Frage ist nur: Wie?

Dabei widerlegen die drei Autoren in ihrem Buch nicht nur faktenreich neoliberale Mythen. Sie zeigen auch, dass die profitgetriebene Marktwirtschaft nicht alternativlos ist. »So versuchten Konsumgenossenschaften schon im 19. Jahrhundert, ihren Mitgliedern günstig Lebensmittel zu verschaffen«, heißt es im titelgebenden Kapitel des Buches. Gerade in Zeiten der Coronakrise, in der Wirtschaftsfragen wieder Wahlkampfthemen geworden sind, ist die Lektüre wärmstens zu empfehlen.

Rudolf Hickel, Johannes-Günther König, Hermannus Pfeiffer: Gewinn ist nicht genug! 21 Mythen über die Wirtschaft, die uns teuer zu stehen kommen. Rowohlt, Hamburg, 312 Seiten, 14 Euro.

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