Austausch nicht mehr erwünscht
Moskau stuft drei deutsche Nichtregierungsorganisationen als unerwünscht ein. Ihre Tätigkeit in Russland wird damit faktisch unmöglich
Dass sich hinter den Kulissen etwas zusammenbraut, muss Géza Andreas von Geyr geahnt haben, als er Mitte April um ein vertrauliches Treffen mit den Mitgliedern der Duma-Kommission zur Untersuchung ausländischer Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands bat. Der Verlauf der geschlossenen Sitzung dürfte die Befürchtungen des deutschen Botschafters in Russland noch verstärkt haben.
Denn Kommissionschef Wassili Piskarjow überschüttete den Diplomaten mit harten Vorwürfen über angeblich destruktive Aktivitäten deutscher Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Seit Jahren würden sich diese in Russlands innere Angelegenheiten einmischen, Terroranschläge auf die Energie-Infrastruktur rechtfertigen, Separatismus und Nationalismus schüren und neuerdings auch Moskaus Kampf gegen das Coronavirus verunglimpfen, meldete Piskarjows Pressedienst nach der Unterredung.
Außerdem propagierten die NGOs »nicht-traditionelle Werte« - so die offizielle russische Bezeichnung für homosexuelle Beziehungen - unter Jugendlichen und verzerrten das Gedenken an den Großen Vaterländischen Krieg. Besonders hervortun würden sich dabei vier Organisationen: Das Zentrum für Liberale Moderne, der Deutsch-Russische Austausch (DRA), das Forum Russischsprachiger Europäer und die Heinrich-Böll-Stiftung.
Am Mittwochabend machte Moskau nun ernst und stufte die genannten NGOs - mit Ausnahme der Böll-Stiftung - als unerwünscht ein. Die Entscheidung entspricht einem faktischen Betätigungsverbot. Die Arbeit der drei Vereine stelle eine Gefahr für die Verfassungsordnung und Sicherheit Russlands dar, begründete die Generalstaatsanwaltschaft in Moskau.
Außenminister Heiko Maas (SPD) nannte die Entscheidung »einen herben Rückschlag für unsere Bemühungen, ein besseres Verhältnis zu Russland zu erreichen«. Nichts in der Tätigkeit der NGOs könne einen solch gravierenden Schritt rechtfertigen. Die Entscheidung sei »besonders befremdlich und inakzeptabel«, so der Sozialdemokrat. »Ich fordere Russland deshalb auf, diesen Schritt rückgängig zu machen und den freien Austausch der Zivilgesellschaft zu fördern.«
Die drei von der Entscheidung betroffenen Initiativen haben ihren Sitz in Berlin. Das Zentrum für Liberale Moderne versteht sich als Thinktank für Demokratie, individuelle Freiheit und Weltoffenheit. Es wurde 2017 von der Ex-Sprecherin für Osteuropapolitik der Grünen Marieluise Beck und dem ehemaligen Bremer Bürgermeister Ralf Fücks gegründet. Das Zentrum veröffentlicht Analysen und Debattenbeiträge und arbeitet eng mit dem Sacharow-Zentrum in Moskau zusammen.
So organisierten beide Institutionen beispielsweise in der vergangenen Woche eine Onlineveranstaltung zum 100. Geburtstag des sowjetischen Dissidenten und Friedensnobelpreisträgers Andrej Sacharow. Auch das Forum Russischsprachiger Europäer wurde im Jahr 2017 aus der Taufe gehoben. Gründer war der russische Soziologe Igor Eidman, ein Cousin des 2015 ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzow. Die Plattform engagiert sich gegen die Vereinnahmung russischsprachiger Migranten durch die Kremlpropaganda und wehrt sich gegen Umgarnungsversuche der AfD.
Wesentlich älter ist der Deutsch-Russische Austausch (DRA), der Veteran unter den nun unerwünschten Organisationen. Er wurde im Jahr 1992 in St. Petersburg gegründet und organisiert mit einer russischen Partnerorganisation seit rund drei Jahrzehnten Freiwilligendienste, Fortbildungen sowie Programme zur Stärkung der Zivilgesellschaft in Osteuropa.
Grundlage der Einstufung ist das Gesetz über »unerwünschte Organisationen«, welches Präsident Wladimir Putin im Mai 2015 unterschrieb. Diesem zufolge können ausländische NGOs als unerwünscht erklärt werden, wenn sie nach Einschätzung der Generalstaatsanwaltschaft gegen die russische Verfassung verstoßen oder die Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit Russlands bedrohen.
Nach der Einstufung als unerwünschte Organisation werden sämtliche Konten in Russland eingefroren. Außerdem müssen alle Filialen im Land geschlossen werden, jede weitere Aktivität ist untersagt. Auch russische Partner-NGOs sind betroffen: Sie dürfen mit den als unerwünscht eingestuften Institutionen nicht mehr zusammenarbeiten und keine finanzielle Unterstützung von ihnen annehmen. Dies gilt unter Strafandrohung auch für Privatpersonen. Verstöße können mit einer Geldstrafe von bis zu 500 000 Rubel - umgerechnet etwa 5500 Euro - oder Freiheitsentzug von bis zu acht Jahren geahndet werden.
Anfang Mai wurde ein neues Gesetz in die Duma eingebracht, welches die bestehenden Regeln zusätzlich verschärfen soll, um eine schnellere strafrechtliche Verfolgung von Mitarbeitern unerwünschter Organisationen zu ermöglichen.
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Nach der Entscheidung vom Mittwoch gelten nun vier deutsche NGOs als unerwünscht in Russland. Die Europäische Plattform für Demokratische Wahlen (EPDE) aus Berlin wurde bereits 2018 als solche eingestuft. Insgesamt stehen damit 34 internationale Organisationen auf der Liste, darunter 20 aus den USA, drei aus Großbritannien und zwei aus Tschechien.
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