Meine Geschichte gehört mir

Namafu Amutse ist namibische Künstlerin. Ihre erste Ausstellung »Bright Eyes Into Afrofuturism« ist Teil eines Genres, das wie ein Befreiungsschlag aus alten Klischees wirkt

  • Lisa Ossenbrink, Windhuk
  • Lesedauer: 7 Min.

An einem lauen Sommerabend im November 2020 füllte sich der Platz vor dem Café »Prestige« mit Gästen, die sich aufgeregt unterhielten. Gläser klirrten. Der Hall ihrer Stimmen war auf dem ganzen Vorplatz zu hören. Alle warteten darauf - gemäß den Corona-Restriktionen -, den kleinen gläsernen Galerieraum zu betreten. Nur zehn Besucher*innen auf einmal durften hinein.

Allerdings zog diese Ausstellung deutlich mehr Menschen an. Alle warteten gespannt auf Namafu Amutses Bilder. Denn die Fotografin hatte mit ihrer Schau einen Nerv getroffen: »Bright Eyes Into Afrofuturism« lockte ein junges, städtisches Publikum der namibischen Hauptstadt Windhuk an. Von Filmen begeistert, fing die junge Künstlerin mit 19 Jahren an, auch erste Fotos aufzunehmen. Nach einem längeren Aufenthalt in Deutschland als Au-Pair kaufte sie sich nach ihrer Rückkehr ihre erste professionelle Kamera.

Während Amutse von klein auf kreativ war, war ihr bewusst, wie prekär künstlerische Berufe in Namibia sind. Deswegen entschied sie sich, Englisch und Deutsch zu studieren, um später als Lehrerin arbeiten zu können. »Wenn du nichts anderes nebenbei machst, ist es in Namibia fast unmöglich, als Künstlerin zu überleben«, erklärt sie. Doch ihre Chancen stehen gut: Seit ihrer besagten ersten Ausstellung und zwei Musikvideos avancierte sie zu einer der angesagtesten Regisseurinnen und Fotografinnen in Windhuk.

Afrofuturismus - eine besondere Ästhetik

Wer den Blockbuster »Black Panther« gesehen hat, kennt den Afrofuturismus bereits. In dem Spielfilm ist das fiktive Land Wakanda die technologisch am weitesten entwickelte Nation weltweit. Dabei handelt es sich um ein afrikanisches Land, das nie kolonialisiert wurde. Solche Alternativgeschichten, die sich auch auf den Kolonialismus beziehen, sind gängig für den Afrofuturismus. Noch dazu reguliert Vibranium, ein meteorisches Erz, jeden Aspekt des Lebens in Wakanda und stärkt Prinz T’Challa in seinem Black-Panther-Anzug. Diese technologisch-futuristischen Elemente sind ebenfalls oft in Kunstwerken des Genres zu finden. Wie der Name schon sagt, wirft Afrofuturismus einen Blick in die Zukunft - frei von Rassismus und Kolonialismus - dafür voller Schwarzer Superheld*innen und Superstars.

»Afrofuturismus kann viel bedeuten, und Künstler interpretieren ihn unterschiedlich. Aber für mich bedeutet er, sich eine Zukunft für afrikanische Menschen ohne Stereotype vorzustellen - in der sie ihre eigenen Geschichten erzählen«, sagt Namafu Amutse. Auch Amutses Arbeiten spielen mit futuristischen Elementen, verbinden diese aber mit den lokalen Traditionen der Aawambo. Die Aawambo leben im Norden Namibias und führen größtenteils einen ländlichen und kommunalen Lebensstil: Sie bauen eigenes Gemüse an und laden für Hochzeiten die gesamte Dorfbevölkerung ein.

Seit der Unabhängigkeit Namibias 1990 ziehen jedoch immer mehr Aawambo auf der Suche nach einem Job in die Hauptstadt Windhuk. Amutse selbst ist in Swakopmund, Namibias viertgrößter Stadt, aufgewachsen. Die Spannung zwischen einem modernen und traditionellen Lebensstil taucht in ihren Fotografien immer wieder auf. »Viele Bräuche sind Teil meiner Tradition, aber nicht meiner Erziehung. Für meine Verwandten im Norden ist es noch viel mehr ein Lebensstil«, meint Amutse, die selber zu den Aawambo gehört.

So zeigt es beispielsweise ein Bild aus der Reihe »Afrofuturism Meets The Ovambo People«. Darauf ist eine fünfköpfige Familie abgebildet. Alle tragen schwarz-pink-gestreifte Kleider, die aus den Textilien der traditionellen Aawambo-Tracht gemacht sind. Der Schnitt ist jedoch anders; modischer und moderner. Auch die Sonnenbrillen können als neuartig beschrieben werden. Eine Frau inmitten der Familie Steampunk-Gläser.

Der Begriff Afrofuturismus stammt aus dem Essay »Black to the Future« von Mark Derry (1994). Er fragte sich, warum es zu der Zeit so wenige Schwarze Science-Fiction-Autor*innen gab. Und auch: Könnte sich eine Gemeinschaft, deren Vergangenheit ausradiert wurde, neue Zukunftsszenarien vorstellen?

Viele Schwarze Künstlerinnen wie Janelle Monae, Janet Jackson und Missy Elliot greifen Motive und Ästhetik des Afrofuturismus in ihren Musikvideos auf. Ein Großteil der afrofuturistischen Arbeiten, die international bekannt sind und so zum Teil der Popkultur wurden, stammen aus den USA. Aber wie kann Afrofuturismus auf dem afrikanischen Kontinent aussehen?

Masiyaleti Mbewe ist eine sambische Autorin, Fotografin und Aktivistin. Sie ist in Bot-swana aufgewachsen und lebt mittlerweile in Windhuk, wo sie studiert hat. Sie bezeichnet sich selbst als queerfuturistisch. Mbewe sucht nach einem panafrikanischen Afrofuturismus, um genau dieser Frage auf den Grund zu gehen. Für sie muss Afrofuturismus inklusiv sein und sich eine Welt vorstellen, in der Schwarz sein akzeptiert wird, statt das Außerirdische mit all seinen Möglichkeiten zu romantisieren.

Die Kamera und der Kolonialismus

Ihrer Meinung nach sollten die Vielfalt aus afrikanischen Sprachen und die postkoloniale Erfahrung in die Kunstwerke miteinbezogen werden. Der Ort ihrer Erfahrungen spielt eine große Rolle in ihren Fotografien. »Afrofuturismus und das Traditionelle sind miteinander verbunden. Viele fundamentale Ideale afrikanischer Traditionen drehten sich darum, immer an die Zukunft zu denken, unsere Umwelt zu respektieren und selbstlos zu denken. Aber diese Traditionen wurden kaputt gemacht«, erklärt Mbewe.

In ihrer Ausstellung »The Afrofuturist Village« spielte sie vor allem mit Konzeptionen von Maskulinität und bezieht traditionelle Haarstile und Gesichtsmasken mit ein. Diese entstand im Rahmen der Schau »Future Africa Visions In Time« und war bereits 2018 im namibischen Goethe-Institut zu sehen. Für Namafu Amutse waren Mbewes Fotografien ein erster Berührungspunkt mit Afrofuturismus - ihre Neugier war entfacht. Obwohl sich die beiden Künstlerinnen nicht persönlich kennen, tauschen sie sich manchmal über die sozialen Netzwerke aus.

Afrofuturismus wird als subversives Genre der Fotografie verstanden, weil der Fotoapparat durch die europäischen Kolonialmächte auf den afrikanischen Kontinent gebracht wurde. In Namibia waren es die deutschen Kolonialherren Ende des 19. Jahrhunderts, die erste Bilder von Schwarzen Einwohner*innen machten. Dementsprechend war die Darstellung der namibischen Bevölkerung von Erniedrigung und Unterwerfung charakterisiert. Fotografien waren ein politisches Mittel, um Macht zu signalisieren und zu erhalten. Die Aufnahmen der Frauen und Männer waren nie vorteilhaft: Sie wurden in Ketten, abgemagert und oft ohne Kleidung gezeigt. Und als Namibia unter südafrikanischem Mandat stand, wurde Mandume ya Ndemufayo, der König der Kwanyama (einer Untergruppe der Aawambo), getötet und so fotografiert, dass es aussah, als sei er enthauptet worden.

Deswegen geht es bei afrofuturistischen Werken auch darum, den sogenannten »colonial gaze«, also den Blick der Kolonialherren, zu durchbrechen. Stattdessen sollen afrikanische Menschen endlich selbstbestimmt und als Hauptfiguren ihrer eigenen Geschichten gezeigt werden. Das denkt auch Namafu Amutse: »Afrofuturismus bedeutet, sich zu befreien.«

Interessantes Detail: Selbst kurz vor der Unabhängigkeit waren es größtenteils weiße Fotografen, die die Geschehnisse der Zeit dokumentierten. John Liebenberg, der als Ikone der namibischen Dokumentarfotografie gilt und dessen Aufnahmen maßgeblich dazu beitrugen, dass der Befreiungskrieg internationale Aufmerksamkeit bekam, war ein weißer Afrikaner. Auch Tony Figueira, ein bekannter Fotograf aus Windhuk, war weiß. Doch so langsam ändert sich das, und die Kamera gehört nicht mehr länger ausschließlich weißen Männern. Namafu Amutse ist ein guter Beweis dafür.

Afrofuturismus wird zwar von manchen afrikanischen Intellektuellen kritisiert, weil sein futuristischer Aspekt oft als technologisch verstanden wird und technologische Entwicklung aus der (westlichen) industriellen Revolution stammt. Doch für Amutse ist eines klar: Ihre Kunst soll politisch sein, denn in ihrem Mittelpunkt stehen Schwarze Menschen. Und Afrofuturismus bietet ihr dafür eine gute Plattform. »Ich wünschte, ich hätte das Privileg, in meiner Arbeit nicht politisch zu sein. Aber meine Kunst ist politisch, wenn ich es beabsichtige. Sie macht eine Aussage. Vielleicht ist sie nicht die Lauteste, aber sie ist da.«

Ein Beispiel dafür ist »Afrofuturism Meets The Ovambo People« - die Bilderserie mit Menschen in traditionell inspirierter, aber veränderter Kleidung. Schließlich sei Kunst auch immer dazu da, Aufklärung und Widerstand zu leisten. Eine ihrer Recherchen zeigt beispielsweise, dass die traditionelle Tracht der Aawambo erst von finnischen Missionaren nach Namibia gebracht wurde. Das brachte sie auf die Idee zu diesen Fotos. Was beim Betrachten nur erahnt werden kann, ist, dass die fünfköpfige Familie durch ihre futuristischen Sonnenbrillen eine ganz andere Zukunft sieht: ohne den Einfluss der Missionare, eine dekoloniale Version der Zukunft.

Das will die junge Künstlerin in ihrer nächsten Ausstellung und einer Fortführung der Bilderreihe aufgreifen, denn selbst viele Aawambo wissen nichts von der Geschichte der schwarz-pink-gestreiften Kleider. Die Aufarbeitung geschichtlicher Fakten ist für Amutse ein wichtiger Bestandteil ihrer Fotografie. Eine politische Dimension erhält diese, weil sie die Untaten des Kolonialismus anspricht. »Um nach vorne zu blicken, müssen wir erst zurückschauen«, resümiert sie. Mit Afrofuturismus kann sie mit Neugier und gleichzeitig kritisch in die Vergangenheit blicken - um sich dann eine bessere Zukunft auszumalen.

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