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- 1. FC Union Berlin
Mit Dreck beschmissen
Der 1. FC Union Berlin muss sich mit Vorwürfen von Diskriminierung und Rassismus gegenüber seiner Nachwuchsabteilung und deren Cheftrainer auseinandersetzen. Dass es dafür keinerlei belastbare Belege gibt, macht es nicht einfacher
Ist es kompliziert, wird gern das Einfache gesucht. Oder der kleinste gemeinsame Nenner, wenn man sich einigen muss. So erging es in den vergangenen zwei Wochen vielen Fans des 1. FC Union Berlin. Voller Angst und Sorge schauten sie auf ihren Verein. Sportlich lief es rund, mit dem emotionalen Höhepunkt am letzten Spieltag der Bundesliga: ein Sieg gegen RB Leipzig samt Qualifikation für die europäische Conference League. Erschüttert wurde die Köpenicker Fußballwelt am 11. Mai durch schwere Anschuldigungen. Der Vorwurf: Rassismus. »Ausländerquote bei Union Berlin?« - unter dieser Überschrift wurde der Nachwuchsabteilung des Klubs durch die Rechercheplattform BuzzFeed in aller Ausführlichkeit die Benachteiligung und Diskriminierung von Spielern mit Migrationshintergrund angelastet. Im Zentrum des Berichts: André Hofschneider, seit September 2018 Cheftrainer des Nachwuchsleistungszentrums.
An dieser Stelle eine erste Einschätzung: In den 5000 Wörtern, das sind acht A4-Seiten, finden sich keine belastbaren Belege für die Hauptthese der Autoren. Angesichts der Schwere der Anschuldigungen haben sie ihre journalistische Sorgfaltspflicht nicht unerheblich verletzt. Denn der Schaden ist angerichtet. »Wenn man mit Dreck schmeißt, bleibt immer was hängen«, ärgert sich Lutz Munack, Unions Geschäftsführer Nachwuchs- und Amateurfußball, und beklagt im Gespräch mit »nd« eine massive »Rufschädigung«. Wie schnell das geht, war selbst in der Anhängerschaft des Vereins zu beobachten. Struktureller und systematischer Rassismus bei Union? Das wollte kaum jemand glauben. Über die Rolle Hofschneiders aber wurde diskutiert, quasi als das kleinste Übel - weil ja irgendwas Wahres dran sein müsse an dieser Sache, weil es ja schwarz auf weiß, also medial veröffentlicht wurde.
Ihren Anfang nahm die Geschichte in München, beim FC Bayern. Im August 2020 wurde durch Recherchen des WDR-Hintergrundmagazins »Sport inside« der hinlänglich bekannte Rassismusskandal in der Nachwuchsabteilung des Rekordmeisters aufgedeckt. Kurz darauf bekam die Redaktion Hinweise auf einen möglicherweise ähnlich gelagerten Fall in Berlin, beim 1. FC Union. Nach wenigen Wochen wurde die Arbeit daran abgebrochen, die Beweislage gab nichts her.
Die Journalisten Laurenz Schreiner und David Joram wollten anscheinend nicht aufgeben - und veröffentlichten dann Sätze wie diesen: »Die Recherchen zeigen auch, dass die schlechte Behandlung offenbar vor allem Spieler mit Migrationshintergrund trifft. Zahlreiche türkisch- oder arabischstämmige Familien fühlen sich von den Mitarbeitern des Bundesligisten benachteiligt und als Menschen zweiter Klasse behandelt.« Während ihrer dreimonatigen Vorarbeit hätten die Autoren mit 18 ehemaligen Spielern, elf Eltern, aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern des Vereins sowie Beratern gesprochen, schreiben sie. Nur: Niemand wird namentlich erwähnt. Alle Anschuldigungen bleiben anonym. So lässt sich auch die Aussage eines Vereinsmitarbeiters über Hofschneider nicht verifizieren - und steht unumstößlich im Raum: »Wenn er einen Ausländer und einen Deutschen zur Wahl hat, die gleich gut sind, dann nimmt er den Deutschen.«
Woher die ersten Hinweise und letztlich auch der entscheidende Anstoß kamen, das ist zumindest klar. Nachdem »Sport inside« eine weiterführende Recherche abgelehnt hatte, erhielt der Berliner Fußball-Verband (BFV) am 6. September 2020 ein anonymes Schreiben, von einer nicht zurückverfolgbaren Mailadresse. Unter dem Namensfeld stand: ehemalige Spielereltern Union Berlin. Mit dem Hinweis, dass in den letzten zwei Spielzeiten, seit André Hofschneider im Amt ist, »extrem viele Spieler mit Migrationshintergrund aussortiert wurden«, stellten die Absender folgende Frage: »Hat der neue Sportliche Leiter André Hofschneider die ›Ausländerquote‹ durchgesetzt, so dass in den Nachwuchsmannschaften wieder nur einige wenige Spieler mit Migrationshintergrund zu sehen sind?« Zugleich wurde der Verband aufgefordert, eine Stellungnahme von Hofschneider einzuholen und zu veröffentlichen. Sollte das nicht passieren, »sehen wir uns gezwungen, dieses Thema über die Presse und Medien zu publizieren.«
Der BFV informierte den 1. FC Union, behandelte das Thema transparent im Verband und trat im weiteren, bis Anfang November andauernden Schriftverkehr als Moderator auf. Eine Stellungnahme Hofschneiders verweigerte der Verein aufgrund der anonymen Anschuldigungen, machte aber mindestens zweimal ein Gesprächsangebot. Das wiederum wurde von den ehemaligen Spielereltern abgelehnt. In ihrem Text beklagen die Autoren von BuzzFeed: »Der Berliner Fußball-Verband und der Deutsche Fußball-Bund wollten sich auf Anfrage nicht konkret äußern.« Was auch immer das heißen mag. Zumindest der BFV sah sich aufgrund der Sachlage nicht handlungsfähig, bot sich aber auch als Organisator eines Gesprächs mit fachlicher Begleitung an. Und Mehmet Matur, Präsidialmitglied für Integration und Vielfalt beim Verband, stellte mit Blick auf die Nachwuchsteams von Union fest, »dass sich eine Vielzahl an ›people of colour‹ und auch zahlreiche Berliner Jungs und Mädchen mit Migrationshintergrund (zumindest namentlich) darunter befinden.«
»Ich muss niemanden schützen, weil ich nicht mehr bei Union arbeite«, erklärt Marcel Giczewski gleich zu Gesprächsbeginn gegenüber »nd«. Er war bis Ende Juni 2020 Sportpsychologe im Nachwuchsleistungszentrum des Vereins. Zwei Monate später wurde auch er kontaktiert. »Den rassistischen Vorwürfen gegenüber André Hofschneider konnte ich nicht zustimmen, deshalb gab es danach auch keinen Kontakt mehr«, erzählt er. Umso mehr hätten ihn dann die jüngsten Veröffentlichungen irritiert. Giczewski hat eng mit Hofschneider zusammengearbeitet und berichtet von ganz anderen Erfahrungen. »Im Sommer 2018 wurde ich Sportpsychologe im Nachwuchsleistungszentrum. André Hofschneider fing fast zeitgleich an. Zusammen haben wir gleich ein Konzept ›Soziale Maßnahmen‹ erarbeitet.« Ob Treffen mit Flüchtlingen, Besuche in einer Justizvollzugsanstalt oder Workshops mit der Robert-Enke-Stiftung: Der Cheftrainer Hofschneider war auch außerhalb des Sports offen und engagiert.
Man muss nicht mit Beteiligten wie Giczewski sprechen, um die Hauptthese der Autoren zu widerlegen. Sie und die Eltern beklagen, dass in den Jahrgängen 2003 und 2004 von Union »19 Spieler mit Migrationshintergrund - insbesondere türkischer und arabischer Abstammung - aussortiert wurden«. Allein im Jahrgang 2003 seien es elf gewesen. Das stimmt. Aber: Insgesamt hat Union 21 Spieler aus diesem Jahrgang verabschiedet, und damit auch zehn ohne Migrationshintergrund. Die hohe Anzahl erklärt sich aus der Struktur im Nachwuchsbereich. Bis zur B-Jugend hat Union zwei Jahrgangsteams mit je 22 Spielern. In der A-Jugend gibt es, wie in jedem anderen Nachwuchsleistungszentrum auch, nur noch ein Team. In diese U19 schaffen es maximal 26 Spieler.
Es ist die Zahl der 19 Spieler, auf der die Vorwürfe des Rassismus beruhen. Die Urheber sind Eltern, einige vielleicht auch maßlos enttäuscht, weil der Traum ihrer Kinder vom Profifußball geplatzt ist. Eine Statistik besagt, dass es nur jeder 80. Spieler aus einem Nachwuchsleistungszentrum in die 1. oder 2. Bundesliga schafft. Das Bedenkliche an dem Text von Laurenz Schreiner und David Joram ist, dass sie anscheinend nur mit den Anklägern gesprochen haben, »18 Eltern und elf Spieler«, wie sie schreiben. Gleiches gilt für die zitierten Spielerberater. Joram gab gegenüber »nd« an, sie hätten mit vier oder fünf gesprochen. Einen davon lassen sie folgendes sagen: »Ich würde keinem Spieler mit ausländischen Wurzeln empfehlen, zu Union zu gehen.« Einerseits: Der 1. FC Union Berlin arbeitet im Nachwuchsbereich mit rund 30 Spielerberatern zusammen. Auch hier wird nur ein sehr verengtes Meinungsbild geschaffen. Andererseits erklärt Lutz Munack: »Im Nachwuchsbereich darf sich jeder Spielerberater nennen.« In den überwiegenden Fällen sind das Personen aus der eigenen Familie, dem Freundes- und Bekanntenkreis.
»Ich weiß, wie schlimm es sich anfühlt, wenn man das Gefühl hat, aus rassistischen Gründen benachteiligt zu werden. In meinen sieben Jahren beim 1. FC Union habe ich nicht ein einziges Mal dieses Gefühl vermittelt bekommen.« Dies schrieb Eroll Zejnullahu, ein deutsch-kosovarischer Fußballer, als er von den den Vorwürfen erfuhr und fragte: »Wieso reden wir nicht miteinander?« Zejnullahu hat in seiner gesamten Zeit in Köpenick tagtäglich mit Hofschneider als Trainer zusammengearbeitet und nennt die Anschuldigungen »Rufmord«. Ihn hätten die Autoren auch befragen können, ebenso viele andere ehemalige und aktuelle Spieler des Vereins mit Migrationshintergrund. Oder deren Eltern. Wenn eine mehrmonatige Recherche derart viele Möglichkeiten der Meinungsbildung auslässt, entsteht der Eindruck einer tendenziösen Berichterstattung nicht zu Unrecht.
Verwerflich an dem Text ist noch ein anderer, entscheidender Punkt. Das Kernthema wird in der gesamten Argumentation nicht angemessen berücksichtigt: Leistungssport. Beim 1. FC Union Berlin wird Fußball gespielt, der Verein ist ein Bundesligist und muss junge Menschen auf das Profigeschäft vorbereiten. Wenn ein Nachwuchsspieler dafür nicht bereit ist, egal in welcher Hinsicht, wäre es verantwortungslos, ihn weiter davon träumen zu lassen. Die Beurteilung der Befähigung bestimmen viele Aspekte, auch schulische. Aber zurück zum Leistungsgedanken: Keiner der 19 Spieler, die Union angeblich aus rassistischen Gründen verabschiedet haben soll, schaffte danach den Sprung zu einem annähernd ambitionierten Verein. Stattdessen stößt man bei einer schnellen Suche beispielsweise auf einen Spieler, der bei seinem nächsten Verein vor seinem nächsten Rauswurf steht. Leider muss das vorerst an dieser Stelle ausnahmsweise auch anonym beschrieben werden.
Den Weg raus aus der Anonymität nahm Lars Mrosko. Viele vermuteten in dem Scoutingchef des Nachwuchsleistungszentrums von Union den Kronzeugen der Anklage. »Das stimmt nicht«, versichert er gegenüber »nd«. Schon die anfängliche Frage der Autoren nach einer »Ausländerquote« bei Union habe er vereint. Und weil Mrosko die später veröffentlichten Vorwürfe aus der Welt räumen wollte, ging er in die Offensive. So war dann drei Tage nach dem Erscheinen des ersten Textes auf BuzzFeed ein Interview mit ihm zu lesen - in dem er alles vorher Geschriebene relativierte und widerlegte. »Im Jahrgang 2003 hat uns am Ende die sportliche Qualität gefehlt, da haben wir gesagt, wir müssen einen Cut machen. Zudem gab es Spieler, die für viel Unruhe gesorgt haben. Diese Spieler hatten einen Migrationshintergrund, ja. Aber wir hätten auch jeden Spieler mit deutschen Wurzeln aussortiert.« Und: »Manche Jungs bleiben in der Entwicklung stehen und dann reicht es halt nicht für ganz oben. Das auf die Rassismus-Schiene zu schieben, ist ein Weg, der nicht geht.«
Druck und Überforderung auf mehreren Ebenen, auch daran können junge Fußballer auf dem Weg ins Profigeschäft scheitern. Oft folgt danach die große Enttäuschung bei Spielern und Eltern. All das sind Themen, die Marcel Giczewski beschäftigen. »Aus psychologischer Sicht ist nicht jeder für den Leistungssport gemacht«. Gegenüber »nd« erklärt Giczewski, der jetzt am Olympiastützpunkt Cottbus als Sportpsychologe arbeitet, Optimierungsansätze: »Die Kommunikation mit jungen Spielern und Eltern kann und sollte man noch verbessern. Es sollten nicht zu große Versprechungen gemacht werden.«
Psychische Probleme von Jugendlichen benennt auch der Text auf BuzzFeed, wieder nur in Form nicht nachvollziehbarer Vorwürfe. So verliert ein schon lange diskutiertes Thema an Gewicht. Und selber nehmen die Autoren keine Rücksicht auf Folgeschäden anderer, wenn sie einen ehemaligen Spieler von Union zitieren: »Zu einem Schwarzen Torwart habe der Trainer gesagt, er müsse mit seinen Füßen bis an die Latte springen können. Schließlich sei er Schwarz.« Lutz Munack ist besorgt. Niemand konnte diese Aussage bestätigen. Er sagt: »Die beschuldigten jungen Nachwuchstrainer stehen am Anfang ihrer Karriere, die belastet das ungemein.«
Die Autoren beklagen den Umgang des Vereins mit ihnen. Das Problem dabei macht André Hofschneider deutlich: »Es ist schwer, sich gegen eine solche Vorverurteilung zu wehren.« Die Verantwortlichen von Union versuchen zudem den Verein schützen. Dass dafür ein Fragenkatalog, allein gestützt von nicht belegbaren Vorwürfen, vom Verein mit seinen Antworten selbst veröffentlicht wurde, entspricht nicht dem Standard. Diesen Anspruch haben die Autoren aus journalistischer Sicht jedoch ebenso wenig erfüllt. Wenn man solche Hinweise bekomme, müsse man diesen nachgehen, erklärte David Joram »nd«. Wenn sich daraus aber nichts Belastbares ergibt, dann sollte man aber auch auf eine Veröffentlichung verzichten. So, wie es andere investigativ arbeitende Journalisten seriös getan haben.
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