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Vonovia-Deal irritiert Linke und Grüne
SPD informiert eigene Reihen ausführlicher als das Parlament über Wohnungsankäufe
»Der ganze Vorgang ist befremdlich«, sagt Katina Schubert, Landeschefin der Berliner Linkspartei, zu »nd«. Der »Vorgang«, das ist der geplante Ankauf durch landeseigene Wohnungsbaugesellschaften von rund 20.000 Wohnungen der Konzerne Vonovia und Deutsche Wohnen in der Hauptstadt im Zuge von deren Fusion. Zehn Minuten vor Beginn der Pressekonferenz am Dienstag vergangener Woche seien die Spitzen aller Fraktionen telefonisch von Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) über den Deal informiert worden, heißt es bei Linkspartei und Grünen unisono. »Eine dezidierte Vorab-Information an die Partner gab es nicht«, berichtet Grünen-Co-Fraktionschefin Antje Kapek dem »nd«. Sie sei »hochgradig irritiert«. In einem fünfminütigen »Stakkato-Speed-Telefonat«, bei dem man nichts habe mitschreiben können, sei man informiert worden. »Wir sitzen an einem Fragenkatalog dazu«, so Kapek weiter.
Am vergangenen Donnerstag dann der nächste Affront. In einem dreiseitigen Brief mit offiziellem Berlin-Logo informieren der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sowie Finanzsenator Kollatz über weitere Details der Vereinbarung. Unter anderem wird erstmals offenbart, wo die anzukaufenden Wohnungen liegen sollen. Neben den Beständen im Spandauer Falkenhagener Feld und der Thermometersiedlung in Lichterfelde soll es sich laut dem »nd« vorliegenden Schreiben unter anderem noch um Wohneinheiten rund um das Kreuzberger Kottbusser Tor, die High-Deck-Siedlung an der Sonnenallee in Neukölln sowie den Ernst-Lemmer-Ring in Zehlendorf handeln.
Der Brief richtet sich allerdings nur an sozialdemokratische Genossinnen und Genossen. »Es ist befremdlich, dass Briefe an die Partei geschrieben, aber weder Parlament noch Koalitionspartner informiert werden«, sagt Katina Schubert. »Wenn das Land Berlin ankauft, ist das nicht die Angelegenheit einer Partei«, so die Linke-Landesvorsitzende.
»Der Erwerb erfolgt nicht über Einsparungen im Landeshaushalt, sondern über Kredite der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften«, schreiben Müller und Kollatz in ihrem Brief. Über den Preis gibt es noch keine konkreten Informationen, der Finanzsenator ließ am vergangenen Dienstag nur verlauten, dass er höher als die rund 2,14 Milliarden Euro für den Kauf des Berliner Stromnetzes sein wird.
Keines der zuständigen Gremien im Abgeordnetenhaus sei bisher weitergehend informiert worden. Weder der Beteiligungsausschuss noch der Hauptausschuss oder die Fraktionsvorsitzenden, echauffiert sich Antje Kapek von den Grünen. »Der sehr ambitionierte Zeitplan würde auch Sondersitzungen des Parlaments in der Sommerpause implizieren«, gibt sie zu bedenken. Das Geschäft soll noch vor der Wahl im September unter Dach und Fach gebracht werden. »Wir werden in den nächsten Tagen schauen müssen, wie das weitere Verfahren aussieht«, sagt die Grünen Politikerin. Müller und Kollatz »legen parteipolitisch motiviertes Verhalten an den Tag, dass ich in einer so großen Angelegenheit nicht für klug halte«.
»Man sollte lieber auf das Ergebnis schauen, als nachzuziehen, wer wann wen informiert hat«, heißt es dazu knapp aus Senatskreisen.
Intern wird nach nd-Informationen von einer Spanne für den Kaufpreis zwischen 2,5 bis 3,5 Milliarden Euro gerechnet. »Damit der Kauf nicht zu Lasten der Mieter geht, wird rund um den Verkehrswert gekauft, im Rahmen eines sogenannten Due Diligence Verfahrens«, heißt es im Brief. Der Wert wird derzeit geprüft. Nimmt man als Basis den Kauf des sogenannten Carlos-Pakets 2019 durch die landeseigene Gewobag vom Immobilienkonzern Ado, könnte unter Berücksichtigung des Mietniveaus ein Preis von rund 3,3 Milliarden Euro herauskommen. Damals flossen für knapp 6000 Wohnungen bei einer Durchschnittskaltmiete von 5,80 Euro pro Quadratmeter 920 Millionen Euro, beim aktuellen Kauf soll die Durchschnittsmiete bei 6,20 Euro liegen. Bezogen auf das 18 Milliarden Euro schwere Angebot, das Vonovia den Deutsche-Wohnen-Aktionären für die Übernahme des Konzerns mit 157 000 Wohnungen gemacht hat, käme ein anteilsmäßiger Preis von rund 2,3 Milliarden Euro heraus, sofern ihr Wert im Durchschnitt der Gesamtbestände liegt.
»Im Moment fühlt es sich an, als würden wir die Katze im Sack kaufen«, sagt Kapek. Weder gebe es Klarheit über die Bestände, den Preis, mögliche Sanierungskosten der Bestände und auch weitere Folgekosten wie die Umfeldentwicklung. »Im Falle der Thermometersiedlung würde ich beispielsweise von erheblichen Beträgen ausgehen«, so Kapek.
Bei der Initiative Kotti & Co, die erstmals durch den SPD-Brief erfahren hat, dass auch die Wohnungen rund um das Kottbusser Tor Teil des Deals sind, fühlt man sich vor allem »überrumpelt«, wie es auf nd-Anfrage heißt. »Es ist zwar gut, wenn rekommunalisiert wird, aber die Frage ist schon, zu welchem Preis und zu welchen Bedingungen?«, so einer der ersten Gedanken, die in ersten Gesprächen dazu fielen. Die Deutsche Wohnen habe ohne große Investitionen viele Gewinne aus den Beständen gezogen und nun werde ihr der Ausstieg auch noch vergoldet. Die rund 65 000 Wohnungen der 2004 vom Senat privatisierten GSW hatte die Deutsche Wohnen im Zuge eines Aktientauschs im Jahr 2013 für rund 1,8 Milliarden Euro übernommen, darunter auch die Bestände am Kottbusser Tor. 2015 wurden knapp 6000 Wohnungen davon für 375 Millionen Euro an Ado verkauft. Das ist jenes Paket, für das die Berliner Gewobag 2019 schließlich 920 Millionen Euro zahlte.
»Es ist unangenehm, dass die SPD uns als Wahlkampfspuk benutzt«, so Kotti & Co. Zumal man sich bei der Initiative eine andere Form der Rekommunalisierung gewünscht habe, mit einer demokratischen Kontrolle der Bestände. Unterstützt wird das Sozialisierungs-Volksbegehren der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen. Der Diskussionsprozess zu dem Ankauf habe gerade erst begonnen, heißt es bei Kotti & Co. In einem offenen Prozess soll sich ein möglichst großer Teil der Mieterschaft beteiligen. Auftakt dafür soll am Sonntag sein.
Mit dem Ankauf der Bestände würde Rot-Rot-Grün ein weiteres Vorhaben aus dem 2016 geschlossenen Koalitionsvertrag erfüllen, dort ist die Rekommunalisierung des Falkenhagener Felds und der Bestände um das Kottbusser Tor vereinbart.
In dem Brief an die SPD-Genossinnen und Genossen berichten Müller und Kollatz über ein weiteres Detail, das so nicht bekannt war. Deutsche Wohnen und Vonovia wollen sich verpflichten, für alle 13 000 geplanten Neubauwohnungen in der Hauptstadt einen 30-prozentigen Anteil geförderten Wohnraums bereitzustellen » – auch dann, wenn wir es nicht rechtlich einfordern können!«, heißt es. Für die Ankündigung der beiden Konzerne, ab 2022 die Mieten für drei Jahre um maximal ein Prozent anzuheben und anschließend höchstens im Rahmen der Inflationsrate haben die beiden SPDler auch einen interessanten Begriff erfunden: Sie nennen das »Mietendimmer«.
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