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- DFB-Pokalfinale der Frauen
Dieses Mal mit Willen
Im deutschen Fußball herrschen die Wolfsburgerinnen nicht mehr allein. Den DFB-Pokal holen sie dennoch
Die letzten Momente eines dramatischen DFB-Pokalfinales verbrachte Almuth Schult am Sonntagabend auf den nackten Steinstufen der Haupttribüne im Kölner Stadion. Irgendwo zwischen roten Polstersesseln hockte die angespannte Torhüterin des VfL Wolfsburg, als die letzten Sekunden heruntertickten. Die Schuhe hatte sie ausgezogen, auch die Handschuhe abgelegt, als ihr Jubelschrei nach einem dramatischen Endspielsieg gegen Eintracht Frankfurt (1:0 n.V.) ertönte. Selten hat die 30-Jährige im Fußball ein solches Gefühlschaos erlebt.
Der siebte Pokaltriumph hintereinander war bei der 64-fachen Nationaltorhüterin mit vielen Tränen verbunden, die sich aus einer merkwürdigen Mixtur speisten. Die Erleichterung, dass die erste Rote Karte (96.) der Karriere folgenlos geblieben war - aber auch die Enttäuschung, dass sie sich vor den Augen der Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg so folgenschwer verschätzt hatte. Ihrer langfristig angestrebten Rückkehr zur Nummer eins im Nationalteam kam sie so nicht näher - diesen Platz hat Merle Frohms vom Pokalfinalisten Frankfurt erobert.
»Das war eine doofe Situation, aber meine Gefühle sind voller Dankbarkeit - genau dafür macht man Mannschaftssport«, erzählte Schult hinterher. Die ehrgeizige wie meinungsfreudige Torhüterin, die nach langer Baby- und Verletzungspause in einer übergeordneten Mission die Bälle fängt, hatte ja bei ihrer Hinausstellung nicht wissen können, dass sie vielleicht sogar die Initialzündung für den späten Sieg gegeben hatte. Denn die Unterzahl öffnete auf einmal Räume, die es in der regulären Spielzeit nicht gegeben hatte: So traf Ewa Pajor spät nach einem fein ausgespielten Konter (118.).
»Diese Mannschaft hat einen unfassbaren Siegeswillen«, lobte Trainer Stephan Lerch. Der VfL ist auch in einem Jahr des Umbruchs ein Titelgarant, der nunmehr seit 2013 immer mindestens eine Trophäe eingesackt hat. Am Ende inszenierte der VfL-Tross die fast schon obligatorische Siegesfeier mit allerlei Schabernack und Kaltgetränken in der Abendsonne im Sportpark Müngersdorf. Es war der passende Abschied für Leistungsträgerinnen wie Zsanett Jakabfi, Lena Goeßling oder Fridolina Rolfö, für die nun junge Nationalspielerinnen wie Lena Lattwein oder Tabea Waßmuth (beide von der TSG Hoffenheim) nachrücken. Auch Trainer Lerch wird gehen: Der 36-Jährige übernimmt im Gegenzug einen Job im männlichen Nachwuchsbereich der Hoffenheimer. In Wolfsburg ersetzt ihn Tommy Stroot, 32, der noch die Frauen von Twente Enschede trainiert.
Der VfL Wolfsburg muss sich ein Stück neu erfinden, will aber die alten Stärken nicht verlieren. Nationalstürmerin Svenja Huth stellte heraus: »Wir hatten die körperliche Fitness und die nötige Mentalität.« Tatsächlich ist der Wolfsburger Titelhunger seit Jahren bemerkenswert. Nicht mal die deutsche Meisterschaft will der VfL abschreiben, obwohl dem FC Bayern am kommenden Sonntag schon ein Unentschieden gegen Frankfurt reicht, um das erste Mal seit 2016 wieder die Meisterschale nach München zu holen. Zeitgleich spielt Wolfsburg gegen Werder Bremen. »Wir wissen, dass es nur noch eine kleine Chance ist. Ich werde aber jetzt noch nicht irgendwelche Gratulationen nach München senden«, insistierte Lerch. Den Verantwortlichen hat es mächtig gestunken, dass schon zu Ostern das Schlagwort von der Wachablösung die Runde gemacht hatte.
Dabei wird die begehrte Silberware selten schon im März oder April vergeben, wie Wolfsburgs Sportlicher Leiter Ralf Kellermann anmerkte. Er weiß, dass die Zeiten der gefühlten Alleinherrschaft in der Frauen-Bundesliga längst vorbei sind. Wenn mittlerweile Bayern und Wolfsburg um dieselben Spielerinnen buhlen, stelle man einen deutlich höheren Spieleretats beim FC Bayern fest. Die Schere werde demnächst noch weiter auseinandergehen, »ähnlich wie bei den Männern«, glaubt Kellermann.
Die nächste Herausforderung auf seinen Verein wartet mit der Reform der Champions League, die bereits nächste Saison mit einer zentral vermarkteten Gruppenphase ausgespielt wird. Statt läppischer sechs Millionen sind künftig 24 Millionen Euro im Topf, und als Startgeld gibt es für die 16 Teilnehmer 400 000 Euro. Das ist grundsätzlich gut. Schlecht aber: Nur der deutsche Meister ist direkt dabei. Der Zweite und Dritte der Bundesliga müssen sich durch ein enges Nadelöhr quälen. Dass sich selbst der Vizemeister bereits in der Qualifikation mit Topmannschaften aus England oder Frankreich herumschlagen muss, zeichnet sich beim neuen Modus ab. »Es wird in Zukunft extrem wichtig, in die Gruppenphase zu kommen«, betont Kellermann. »Sonst werden die deutschen Toptalente dauerhaft nicht in Wolfsburg spielen.«
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