Auf eine Pommes rot-weiß im heißen Mai

Die Schauspielerin Sophie Rois wird 60 Jahre alt - eine Huldigung

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war vor vier Jahren, ein heißer Tag im Mai (ja, das gab’s damals). Ich saß in der Berliner Linienstraße, mir gegenüber Sophie Rois, die gerade Pommes rot-weiß für uns geholt hatte. Ich war zum ungefähr achten Mal in die Schauspielerin verliebt. Das erste Mal muss nach Tom Tykwers Film »Drei« gewesen sein, der ungezählte Berlin-Klischees mit einer Ménage-à-trois verband - aber mit Rois war es ein Ereignis. Danach las ich ein Interview mit ihr, bei dem sie nebenher ein neugieriges Kind mit den Worten »Na, du kleine Kröte?!« oder so ähnlich verschreckte - das war das zweite Mal. Mit ihrer rauen Stimme, den grün-funkelnden Augen, wer würde dem Charme dieses Satzes nicht erliegen?

Und dann kamen ihre Auftritte an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Kurz nachdem das Theater Frank Castorf überlassen wurde, um es zugrunde gehen zu lassen oder es weltberühmt zu machen (der Ausgang ist bekannt), kam Rois an das Haus. Der damalige Chefdramaturg, Matthias Lilienthal, sagte zu Castorf, schmeiß die raus, die macht Ärger, erzählt Rois. Aber sie blieb - und ging erst, als Castorf geschasst wurde.

Als wir uns für das Gespräch treffen, ist Rois nicht glücklich an ihrem Theater. Sie will nicht groß darüber reden. Auch nicht über den inzwischen vergessenen Kurzzeitintendanten, den die Hauptstadtsozialdemokratie installiert hatte, um die Castorf-Geister zu vertreiben. An der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz arbeitet sie nicht nur mit dem Intendanten Castorf selbst, sondern auch mit René Pollesch und Bert Neumann, mit Christoph Marthaler und Anna Viebrock, mit Herbert Fritsch, Christoph Schlingensief und Luc Bondy. Dort entsteht Theater von Weltrang, das weit über die Grenzen Berlins strahlt. Und mittendrin Sophie Rois, die im oberösterreichischen Ottensheim bei Linz aufwuchs und zunächst bei ihren Eltern im Lebensmittelladen eine Lehre machte und arbeitete. Über das Wiener Max-Reinhardt-Seminar führte ihr Weg ins Nachwende-Berlin. Und dann an die Ostberliner Volksbühne. Als sich Castorf 2017 mit seinem großen »Faust« verabschiedet, spielt Rois die Hexe. Und singt Schubert: »Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus«. Ende des Jahres kündigt sie an der Volksbühne und geht, wie Pollesch, nach nebenan - ans Deutsche Theater.

Als Hexe in »Faust« ist sie umwerfend, was sonst. Für ihre Darbietung bekommt sie den renommierten Gertrud-Eysoldt-Ring. Sie liebt Preise. In ihrer Dankesrede preist sie die gedankliche Schärfe, die an der Volksbühne mit punkigem Leck-mich-am-Arsch-Gestus zusammenkam. Und Leute anzieht, die ähnlich ticken. Volksbühnen-Materialismus nennt Rois das. So ist sie selbst eine passionierte Leserin des marxistischen Gesellschaftskritikers Wolfgang Pohrt. Dass man am Rosa-Luxemburg-Platz eine eigenständige und abweichende Haltung kultiviert, entfremdet aber zunehmend vom restlichen Theaterbetrieb.

»Moralische Anklage interessiert mich nicht. Gymnasialen Eifer, gibt es auch sehr viel am Theater, kann ich mir auch nicht anschauen. Zusammengefasst ist das Theater als Evangelischer Kirchentag. Und davon sind wir umstellt. Deswegen gehe ich auch so selten ins Theater«, erzählt Rois. Das Interesse am Abgründigen zeigt sich auch an einem ihrer Soloabende am Deutschen Theater, mit Ian McEwan und The Kinks, unter dem Titel »Have a Cup of Tea mit Sophie Rois« - verstörende Fundstücke aus der eigenen Jugend in der österreichischen Provinz. Ein Abend, der einem den Boden unter den Füßen wegzieht.

Gespräche mit Sophie Rois zu lesen ist ein Vergnügen. Gespräche mit ihr zu führen auch. Das mag daran liegen, dass sie etwas zu sagen hat. Und dass man etwas zu hören bekommt, das neu oder ungewöhnlich ist. Auf jeden Fall abseits der eingeschliffenen Phrasen, der untrüglichen Signale sozialer Anpassung. Sie erzählt, dass sie es immer mochte, mit Menschen zu arbeiten, die wenig Angst haben. Und wenn man sie sieht, glaubt man gerne, dass auch sie wenig hat. Angstfreiheit mag ein Privileg sein, aber eines, welches für alle Menschen gleichermaßen errungen gehört. Die Kunst kann dabei durchaus behilflich sein, sie löst die Fesseln des Imaginären. Das gute Leben wird vorstellbar. Der Satz von Brecht, schlechtes Leben mehr zu fürchten als den Tod, der habe ihr immer gefallen. Ein kluger und schöner Satz, erzählt sie. Vergangene Woche stand Rois noch einmal im Deutschen Theater auf der Bühne, in »Goodyear« von Pollesch. Ein Abschied von einer Übergangslösung, denn eine Rückkehr steht an. Polleschs Intendanz an der Volksbühne beginnt in Kürze. Und auch Rois wird wieder am Rosa-Luxemburg-Platz spielen.

An der Volksbühne hat Rois einige ihrer größten Auftritte gefeiert - es werden hoffentlich noch weitere hinzukommen. Einer jedenfalls änderte seine Meinung, der schon erwähnte Matthias Lilienthal. Er sagte später einmal über ihre Volksbühnenkarriere: »Sophie Rois hat dort einen Paradigmenwechsel eingeleitet: Sie hat durch das Nadelöhr ihrer heiseren Stimme und ihres schmalen Körpers etwas gejagt, was am Ende Rolle hieß.« Das ist nur eine der zahlreichen Huldigungen, die Rois und ihre Schauspielkunst erfahren haben. Ich bin mir sicher, ein paarmal werde ich mich noch in Sophie Rois verlieben. Wofür geht man denn ins Theater, wenn nicht auch dafür?

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