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  • Abtreibungsrecht in Ecuador

Gutes Mädchen, gute Mutter, gute Ehefrau

Estefanía Chávez über die Reform des Abtreibungsrechts und Frauenrollen in Ecuador

  • Katharina Schwirkus
  • Lesedauer: 6 Min.

Das Abtreibungsrecht in Ecuador muss bis Oktober 2021 reformiert werden. Das hat das Verfassungsgericht entschieden. Wie kam es dazu?
Es war ein strategischer Schritt von mehreren Organisationen, die sich für die Rechte der Frauen einsetzen, gegen den Artikel 150 des Strafgesetzbuches im Dezember 2020 vor das Verfassungsgericht zu ziehen. In dem Artikel heißt es im zweiten Absatz, dass geistig behinderte Frauen abtreiben dürfen, sofern sie durch eine Vergewaltigung schwanger wurden. Im Umkehrschluss heißt es, dass alle anderen Frauen, die durch eine Vergewaltigung schwanger wurden, nicht abtreiben dürfen. An anderer Stelle des Strafgesetzbuches ist zudem geregelt, dass Personen, die einen Schwangerschaftsabbruch bei einer nicht geistig behinderten Frau vornehmen, mit einer Freiheitsstrafe von ein bis drei Jahren bestraft werden. Die Frauen selbst müssen mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zwei Jahre rechnen. Diese Artikel waren in der Klage ebenfalls enthalten, auch sie wurden für verfassungswidrig erklärt.

Was bedeutete diese Rechtlage?
Viele Frauen, die durch eine Vergewaltigung schwanger wurden, haben versucht, illegal einen Abbruch vorzunehmen. Es gibt Ärztinnen und Ärzte, die es für viel Geld anbieten, doch nur die wenigsten haben dafür die finanziellen Mittel. Es gab immer wieder Frauen, die sich selbst so stark verletzten, dass sie ihr eigenes Leben in Gefahr brachten und danach in ein Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Zusätzlich zu den psychischen Schmerzen, die eine Vergewaltigung und eine ungewollte Schwangerschaft nach sich ziehen, wurden sie vom Staat verfolgt und kriminalisiert. Von 2014 bis 2020 wurden 419 Frauen strafrechtlich verurteilt, weil sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen ließen.

Estefanía Chávez
Die 32-Jährige engagiert sich seit Jahren für die Rechte von Frauen. Sie arbeitet seit 2018 als Anwältin für Surkuna Ecuador, eine Organisation, die sich für vergewaltigte Mädchen und Frauen in Ecuador einsetzt. Vorher war sie am Verfassungsgericht tätig. Chávez hat die ecuadorianischen Rollenbilder schon früh hinterfragt und in Quito Gender Studies studiert. Zudem hat sie Anthropologie an der University of Oxford studiert.

An wen konnten sich Frauen in so einer Situation wenden?
An Surkuna, das ist die Organisation, für die ich als Anwältin arbeite. Surkuna wurde 2014 gegründet und setzt sich für die Rechte von Mädchen und Frauen ein, die vergewaltigt wurden. Wir stehen Betroffenen bei, wenn sie sich vor Gericht verantworten müssen.

Kennen Sie selbst Frauen, die illegal abgetrieben haben?
Als Anwältin habe ich Frauen getroffen, die unter unsicheren Bedingungen abgetrieben haben, weil das Gesetz ihnen leider keinen Zugang zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch ermöglicht. Etwas, das ich häufig gesehen habe, ist, dass die Frauen in sehr prekären Umständen leben und sich nicht vorstellen können, mit ihren ökonomischen Mitteln für ein Kind zu sorgen. Ein weiteres Problem ist, dass sie von ihren Partnern verlassen werden, das Kind alleine aufziehen müssten und keine große familiäre Unterstützung erwarten können. Oftmals habe ich erlebt, dass Frauen mit Medikamenten abgetrieben haben, was eine sichere Option ist, solange es von ausgebildetem Personal begleitet wird. Doch die Frauen haben es ohne jegliche Betreuung gemacht. Manchmal mussten sie dann ins Krankenhaus, weil sie ohnmächtig wurden oder starke Blutungen hatten. Sie waren desorientiert und in einer sehr schlechten gesundheitlichen Verfassung. Und dann kam die Strafverfolgung noch obendrauf.

Welche Konsequenzen hat so ein Schwangerschaftsabbruch für die Betroffenen?
Ein weiteres Problem ist die gesellschaftliche Verurteilung, die Frauen durch eine Abtreibung hierzulande erleben. Die große Mehrheit der katholisch geprägten Gesellschaft sieht eine Schwangerschaft als ein Geschenk Gottes an. Und das, obwohl diese Schwangerschaften oftmals das Ergebnis von Gewalt sind. Frauen, die abgetrieben haben, werden als unmenschlich angesehen, die nicht für ihre Kinder sorgen wollten. Schwangerschaften werden als Segen gesehen, obwohl sie für Frauen große Konsequenzen mit sich tragen.

Machen sich die katholisch-konservativen Einstellungen der Gesellschaft auch auf niedrigschwelligem Niveau bemerkbar?
Ja klar. Ich selbst bin über 30 Jahre alt, habe keine Kinder und bin nicht verheiratet. Ein Großteil der Bevölkerung stempelt solche Frauen ab: die haben irgendwas falsch gemacht. Gleichzeitig ist das Frauenbild total Aufgaben orientiert: du sollst ein gutes Mädchen, eine gute Mutter und eine gute Ehefrau sein. Das lernen wir hier schon von klein auf. Ich habe früh gemerkt, dass ich damit nicht einverstanden bin und deswegen Genderstudies studiert.

War die Entscheidung des Verfassungsgerichts eine große Überraschung?
Nein. Das Verfassungsgericht hat in den vergangenen Jahren einen großen Wandel gemacht. Es wurden Richter*innen benannt, die eine gute Ausbildung haben und denen die Menschenrechte und auch die Rechte der Frau am Herzen liegen. Die Frauenbewegung hatte zuvor auf das ecuadorianische Parlament gehofft. In der Regierungszeit von Präsident Rafael Correa (2007-2017, Anmerkung d. Red.) gab es Parlamentarier*innen, die eine Änderung des Strafgesetzbuches anstrebten und Schwangerschaftsabbrüche für all jene ermöglichen wollten, die Opfer von Vergewaltigung geworden waren.

Warum wurde das Gesetz dann nicht schon früher reformiert?
Die Hürden im Parlament waren zu hoch: Der Konservativismus überwog. Zudem sprach sich Correa persönlich gegen eine Änderung der betreffenden Gesetze aus. Die Frauenrechtsorganisationen haben allerdings gemerkt, dass sie durchaus Verbündete im Parlament hatten. Durch die jahrelangen Debatten hat das Thema auch in der Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit bekommen und viele Menschen haben ihre Meinung geändert und die Entkriminalisierung von vergewaltigten Frauen unterstützt.

Wie würden Sie die Politik des Mitte-links-Bündnisses von Alianza País (AP), das Ecuador die vergangenen 14 Jahre regierte, insgesamt für Frauen bewerten?
In der Partei Alianza País gab es auf jeden Fall Frauen, die sich für eine Stärkung der Frauenrechte eingesetzt haben. Einige von ihnen waren mit Frauenorganisationen verbunden und waren politische Aktivisten. Aber leider unterlag Alianza País auch einer sehr patriarchalen Logik. Die Rolle von Correa habe ich eben schon angesprochen. Die Mitglieder seiner Partei mussten seine Logik übernehmen, und seine Mandate wurden, als eine Frage der Parteidisziplin, von den Abgeordneten seiner Partei übernommen. Letztendlich waren die konservativen Kräfte in der Partei immer stärker und haben die progressiven Stimmen unterdrückt. In der Amtszeit von Lenín Moreno (2017-2021, Anmerkung d. Red.) hat dies dazu geführt, dass diejenigen AP-Mitglieder, die sich für die Erweiterung sexueller Rechte einsetzen wollten, sehr schüchtern aufgetreten sind.

Hat sich durch die Sozialpolitik von AP nicht einiges für die Frauen verbessert?
Ich finde es schwierig, diese Frage zu beantworten. Wenngleich AP eine Sozialpolitik gemacht hat, mit welcher die ökonomischen und sozialen Rechte der Frauen gestärkt wurden, sollte man den gleichzeitigen Diskurs, den Rafael Correa geführt hat, nicht außer Acht lassen. Als es beispielsweise um die Reformierung des Strafgesetzbuches und die Entkriminalisierung von vergewaltigten Frauen ging, hat er zu seinen Parteigenossinnen gesagt, dass sie eine Strafe verdienten, wenn sie sich für die Reformierung einsetzten. Weder unter Correa noch unter Lenín wurde eine kohärente, frauenrechtsstärkende Politik betrieben.

Wie bewerten Sie den neuen Präsidenten, den neoliberalen Guillermo Lasso?
Lasso hat sich immer wieder für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bei vergewaltigten Frauen ausgesprochen. Allerdings würden ich und viele andere Frauenrechtlerinnen, nicht blind darauf vertrauen. Wahrscheinlich wollte er damit nur Stimmen fangen. In der Vergangenheit hat sich weder er noch seine rechtskonservative Partei CREO progressiv gezeigt, wenn es um die Rechte der Frau geht. Zudem ist Lasso Mitglied der ultrakonservativen Vereinigung Opus Dei. Die setzt sich wirklich nicht für ein selbstbestimmtes Leben von Frauen ein. Zuletzt hat Lasso einen Brief veröffentlicht, in dem es heißt, er werde die Entscheidung des Verfassungsgerichts anerkennen. Dies erfordert jedoch kohärente Maßnahmen für die Frauenrechte. Diesbezüglich sind wir skeptisch und werden es kritisch beobachten.

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