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Was alle schon immer über Trash-TV wussten, aber nie gesagt haben
Nach Kritik von Ikke Hüftgold wurde »Plötzlich arm, plötzlich reich« abgesetzt - kritikwürdig sind aber auch andere »soziale Tauschshows«
Dass voyeuristische Familien- und Frauentauschsendungen weniger mit pädagogisch wertvoller Fernsehunterhaltung zu tun haben, als mit dem Ausschlachten menschlicher Schicksale, das wusste man schon, seit die ersten Sendungen dieser Art von privaten Sendern auf die heimischen Bildschirme gebeamt wurden.
Nun hat der Schlagersänger Ikke Hüftgold, mit bürgerlichem Namen Matthias Distel, eine Sat.1-Produktion harsch kritisiert. In dem sozialen Tauschformat »Plötztlich arm, plötzlich reich« hätte Distel mit einer Mutter und ihren vier Kinder Wohnung und Alltag tauschen sollen. Doch er brach die Dreharbeiten ab und erstattete Anzeige gegen den Sender und die zuständige Produktionsfirma. In einem mittlerweile millionenfach geklickten Video erzählt er, dass er nach zehn Minuten in der Wohnung der Familie in Tränen ausbrach. »Das Kindeswohl von zwei schwer traumatisierten Kindern wurde von den verantwortlichen Medienanstalten mit Füßen getreten«, erklärt er. Die Kinder waren in psychologischer Behandlung, Hüftgold habe vor laufender Kamera erfahren, dass die Kinder von ihrem Vater misshandelt wurden. Mittlerweile wurde das Format abgesetzt, der Sender räumte Fehler ein.
Das ist schon mal nicht schlecht. Man kann sich dennoch fragen: Warum kommt der Aufschrei aus den Reihen der Prominenten ausgerechnet jetzt? Und warum so spät?
Harald Schmidt prägte vor über 15 Jahren das Wort »Unterschichtenfernsehen«, nachdem das Satiremagazin »Titanic« in den 1990er Jahren diesen Begriff erstmalig verwendet hatte. Der Begriff wurde in gewohnter Schmidt-Manier in den Raum geworfen und dann massenfach rezipiert. Man hielt ihn gleichermaßen für keck und fies, wollte aber auch suggerieren, dass hinter dem verächtlich hingerotzten Begriff ganz viel bürgerliches Wissen stecke: Nämlich, dass sich so etwas wie eine mediale Klassengesellschaft gebildet habe, die sich aufteilt in die Fraktion der Arte und 3Sat-Fans, die Trash-TV allenfalls zum Spaß gucken, und jene Trash-TV-Konsument*innen, die nie auf Arte oder 3Sat zappen würden. Schmidt distanzierte sich später von dem Begriff – nicht, weil er ihn problematisch fand, sondern weil er selbst nicht als »Klischee«™ wahrgenommen werden wollte.
Das war 2005. Dann zogen die Jahre weiter ins Land, und die Fernseh-Formate zogen mit. Egal ob »Frauentausch«, »Die strengsten Eltern der Welt« oder »Schwiegertochter gesucht«: Immer ging es um vermeintlich »fremde« Welten, die aufeinander prallten, damit die Protagonist*innen - angeblich - irgendeine wertvolle Lektion übers Leben lernen – tatsächlich aber nur vorgeführt wurden. Immer mit dabei: Eine ordentliche Ladung Sexismus, Klassismus und Rassismus, gefühlt immer schlimmer werdend.
Das ahnten natürlich auch die Zuschauer*innen, denn das war ja zumeist der Grund des Einschaltens. »Die strengsten Eltern der Welt« wirkten oft wie exotisierende Menschen-Zoo-Folgen, und bei dem hetero-sexistischen Format »Frauentausch« kam die Komponente hinzu, dass gut betuchte Bürgis mit oftmals finanziell schlechter gestellten Familien die Haushalte tauschten.
Vieles von dem, was Ikke Hüftgold in seinem Statement vorlas, übertraf die ohnehin schlechten Erwartungen an derartige Formate. Man kann nur hoffen, dass sein Video noch lange nachhallen wird - zumindest im Bereich der »Milieutausch«-Formate™.
Zumindest bekam Distel bisher viel Zuspruch von anderen Kolleg*innen – auch von solchen, die gern für diverse Privatsender-Sendungen gebucht wurden und werden. Dass man die Hand, die einen füttert, nicht beißt, scheint also im TV-Geschäft nicht mehr zwangsläufig das Mantra zu sein. Viele Prominente haben inzwischen so viel Reichweite auf den sozialen Medien, dass sie nicht nur auf Unterstützung ihrer Fans, sondern auch im Zweifelsfall andere Auftraggeber zählen können – auch, wenn das vermutlich nicht die Intention von Distel war.
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Dennoch, Sorgen machen muss er sich wohl nicht. Und alternative Formate, die nicht auf Menschenfeindlichkeit und soziale Ächtung setzen, sondern die Möglichkeiten eines wertschätzenden, produktiven Miteinanders im Fernsehen zeigen, gibt es auch schon. »Das große Backen« auf VOX ist so ein Format – divers, freundlich, zukunftsweisend. Das gibt es im Übrigen auch als Sendungsvariante für Prominente. Und Hüftgold wäre – nicht nur vom Namen her – ein würdiger Teilnehmer.
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