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Widerstand gegen Myanmars Putschregime
Lehrkräfte und Uni-Personal streiken, andere greifen zu den Waffen
Wie können Schulen und Universitäten ohne einen Großteil der Lehrkräfte funktionieren? Diese Frage stellt sich am Beginn des neuen Bildungsjahres in Myanmar. Nach Angaben eines führenden Vertreters der Lehrervereinigung vor Reportern des britischen Guardian sind aktuell 125 900 Lehrerinnen und Lehrer wegen ihrer Teilnahme an der zivilen Widerstandsbewegung gegen den Putsch vom Dienst suspendiert. Das ist beinahe ein Drittel aller pädagogischen Kräfte an Schulen, deren Gesamtzahl bei etwa 430 000 liegt. Nicht anders sieht es an den Universitäten aus. Die akademischen Beschäftigten an den Hochschulen waren neben medizinischen Fachkräften unter den Ersten, die sich gleich im Februar zu Protestaktionen auf den Straßen versammelten oder vor ihren Institutionen streikten.
Mittlerweile sollen nach Angaben ihrer Verbände 19 500 von ihnen gefeuert sein - bei insgesamt schätzungsweise 26 000 Dozent*innen ist das eine so deutliche Mehrheit, dass die Universitäten de facto nicht mehr arbeitsfähig sind. Die Bildungsbehörde, so Betroffene, hatte ihnen zuletzt noch einmal den Druck erhöht. Doch viele Lehrende, ganz egal welcher Ebene, wollen sich nicht zum Handlanger dieses Regimes machen. Ähnlich sehen das etliche Eltern, die ihre Kinder vorerst nicht zur Schule schicken wollen, und Studierende, die gemeinsam mit ihren Dozent*innen demonstrieren und streiken.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Nach der erneuten Machtergreifung des Militärs, das die jüngere Geschichte Myanmars schon mehr als ein halbes Jahrhundert bestimmt hat, brodelt es im Land an immer mehr Stellen und lässt sich normaler Alltag zumindest als Fassade seitens des Regimes von General Min Aung Hlaing immer weniger aufrechterhalten. Genau vier Monate nach dem Putsch gab es in vielen Landesteilen Protestaktionen gegen die Junta. Auch in wichtigen Städten wie Yangon und Mandalay gingen Bürger*innen auf die Straßen, um die Rückkehr zur Demokratie zu fordern. Nachdem die Armee nach dem Putsch mit zunehmender Brutalität gegen jeden Widerstand vorgegangen war, treffen sich Demonstrant*innen nun aber aus Sicherheitsgründen meist zu kleineren Aktionen.
Nach Angaben der Gefangenenhilfsorganisation AAPP sind bereits mindestens 840 Menschen durch die Militärgewalt ums Leben gekommen. Mehr als 5000 wurden festgenommen. Immer wieder ist von schwerer Folter die Rede. Viele sind auf der Flucht. Die Uno hatte bereits im April mitgeteilt, dass in dem südostasiatischen Land bald Millionen Menschen von Hunger bedroht sein könnten.
Erst dieser Tage wurde allgemein bekannt, dass der seit 2011 an der Spitze der Armee stehende General, der im April 65 wurde, und sein Vize nun beliebig lange im Amt bleiben können. Die bisher geltende Regel, die Spitzenmilitärs mit 65 Jahren in den Ruhestand schickte, wurde im Stillen bereits mit einer Order vom 4. Februar abgeschafft. Beobachter mutmaßen, dass Min Aung Hlaing mit dem Putsch sein bevorstehendes Abtreten verhindern wollte.
Fest im Sattel sitzen die Putschisten unter seiner Führung aber nach wie vor nicht. Erst dieser Tage hat die aus dem Exil agierende Regierung der Nationalen Einheit erklärt, offiziell mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenarbeiten zu wollen, der seit zwei Jahren nach Klage des westafrikanischen Gambia die Völkermordvorwürfe gegen Myanmar bezüglich der Militäroffensive vom August 2017 behandelt. Das damals höchst brutale Vorgehen des Militärs im nordwestlichen Teilstaat Rakhine hatte binnen weniger Monate 740 000 Angehörige der muslimischen Rohingya-Minderheit zur Flucht über die grüne Grenze nach Bangladesch getrieben. Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die seit dem Putsch unter Arrest steht, hatte im Dezember 2019 bei einer ersten Gerichtsanhörung als Regierungschefin noch das Vorgehen der Armee verteidigt - und dafür viel Empörung erfahren.
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Während es auch in den vergangenen Tagen erneut Kämpfe zwischen Militär und Rebellengruppen wie der Nordallianz und der Kachin Independence Army gab, soll der Vizekommandeur der Shanni Nationalities Army angeblich von der Junta ermordet worden sein. Umgekehrt gab es zuletzt Meldungen über getötete Kader der regimenahen früheren Oppositionspartei USDP oder lokale Zuträger des Regimes. Dass ein kleiner Teil der Demokratiebewegung nun mit gewaltsamen Mitteln agiert, illustrieren auch Explosionen in Yangon und anderen Städten - sowie ein größeres Waffenlager, das die Sicherheitskräfte in Yangon ausgehoben haben wollen. Im Chin State sind regimekritische Bürgermilizen aktiv.
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