Zu spät und zu wenig

Pflege-Reformpläne der Bundesregierung bieten keine sicheren Verbesserungen, weder für Beschäftigte noch für Heimbewohner

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Koalitionsvertrag dieser Bundesregierung war eine Pflegereform angekündigt, ein ganzer Abschnitt ist dem Bereich dort gewidmet. Von den vielen ungelösten Problemen allein in der Altenpflege sollen nun zwei wesentliche auf den letzten Metern vor der Sommerpause und folgender Bundestagswahl noch angegangen werden.

Da ist zum einen die Finanzierung der Heimpflege, die immer teurer wird. Die zu zahlenden Eigenanteile nur für die Pflege liegen mittlerweile durchschnittlich bei mehr als 800 Euro - ein Posten, für dessen Abdeckung einst die Soziale Pflegeversicherung gegründet worden war. Hinzu kommen Ausgaben etwa für Unterbringung, Verpflegung und die Investitionskosten der Betreiber. Im Bundesdurchschnitt sind das aktuell knapp über 2000 Euro monatlich. Um die zuletzt genannten Kosten geht es aktuell aber nicht.

Ursprünglich wollte auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Eigenanteile der stationär Gepflegten absolut deckeln, auf 700 Euro pro Monat für einen Zeitraum von 36 Monaten. So hieß es noch im Herbst 2020. Vielleicht hätte das mehr Menschen etwas genützt als die nun vom Kabinett beschlossene Variante. In der aktuellen Version ist nur noch eine zeitlich gestaffelte Entlastung vorgesehen. Danach zahlen Heimbewohner ab 2022 im ersten Jahr fünf Prozent weniger zu ihrer Pflege dazu als heute, im zweiten Jahr 25 Prozent weniger, im dritten Jahr 50 Prozent und ab dem vierten Jahr 70 Prozent weniger. Aber: Die durchschnittliche Verweildauer im Pflegeheim liegt je nach Statistik zwischen anderthalb und zwei Jahren. Die große Menge der Pflegebedürftigen wird also weiterhin kräftig zur Kasse gebeten. Nur wer länger durchhält, kann mit einer spürbaren Entlastung rechnen.

Ein weiterer Streitpunkt der Pflegepolitik war die bislang zu geringe Entlohnung der hier Beschäftigten. Die Durchsetzung eines allgemeinverbindlichen Tariflohnes war gerade erst im Februar am Veto der Arbeitgeber-Vertreter bei der Caritas gescheitert. Jetzt sollen nur noch tarifgebundene Pflegeeinrichtungen mit den Kassen abrechnen können. Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen sind Tarifverträgen gleichgestellt, die Bezahlung solle von den Kassen vollständig refinanziert werden. Bisher noch nicht tarifgebundene Einrichtungen können nur dann mit letzteren abrechnen, wenn sie mindestens eine Vergütung in Höhe bereits jetzt vereinzelt vorhandener Tariflöhne zahlen - oder zehn Prozent über dem Durchschnitt regional geltender Tarifverträge, das aber auch erst ab September 2022.

Die gesamte Regelung ist strittig. Minister Spahn beschwört hier eine Aufwärtsspirale, die damit bei den Pflegelöhnen in Gang gesetzt wäre, mit Verweis auf fehlendes Personal bundesweit. Auf diese vermeintlich gute Verhandlungsposition der Beschäftigten hatten bereits Vertreter der kirchlichen Sozialverbände verwiesen. Aber ist das tatsächlich so? Ganz anders sehen das die Gewerkschaften. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fordert dringend Nachbesserungen. Vor allem Gefälligkeitstarife zwischen Pseudogewerkschaften und Pflegeanbietern machen etwa Sylvia Bühler vom Verdi-Bundesvorstand Sorgen. Ihr fehlen im Gesetzentwurf Mechanismen, die so etwas ausschließen. Hier werden Nachbesserungen gefordert. Es könnte zum Beispiel ausschließlich auf relevante Flächentarifverträge Bezug genommen werden. Auch bei den Gewerkschaften könne noch niemand sicher sagen, ob und wie die von der Regierung jetzt vorgeschlagenen Regelungen wirken. Nicht zuletzt deshalb, so Bühler, sei es unakzeptabel, dass erst Ende 2025 die Auswirkungen überprüft werden sollen, nach der übernächsten Bundestagswahl.

Eine derartige Verschleppung von kleinsten Lösungsschritten scheint Programm, was sich auch bei den Vorschlägen zur Finanzierung der aktuellen Änderung zeigt: Bezahlt werden müssen sowohl die Zuschüsse zu den Eigenanteilen als auch die Auswirkungen einer Tarifbindung, wie auch weitere Leistungsverbesserungen. Da die Pflegeversicherung diese Beträge absehbar nicht stemmen kann, wurde zugleich ein jährlicher Bundeszuschuss von einer Milliarde Euro für die Pflegeversicherung vorgesehen. Außerdem steigen die Pflegebeiträge für Kinderlose ab Anfang 2022 von 3,3 auf 3,4 Prozent des Einkommens. Das soll weitere 400 Millionen Euro bringen.

Aber auch das wird nicht reichen. Kritik kommt etwa vom AOK-Bundesverband. Dessen Vorstand Martin Litsch sieht eine drastische Verschärfung der Finanzierungsproblem der Pflegeversicherung schon 2022, spätestens 2023 wären Mittel aus den Reserven der Kassen aufgebraucht. Schon für das laufende Jahr sei ein Defizit von einer Milliarde Euro zu erwarten. Deutliche Ablehnung erfährt die Bundesregierung auch von der Linken: Pflegende und Menschen mit Pflegebedarf sollten mit unausgegorenen Einzellösungen ruhig gestellt werden, so die Bundestagsabgeordnete Pia Zimmermann: »Dass diese Änderungen im Hauruck-Verfahren durchs Parlament getrieben werden, macht es nicht besser. Es ist nun an uns, dafür zu sorgen, dass die notwendige Revolution der Pflegefinanzierung nach der Bundestagswahl umgesetzt wird.«

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