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Keine Monsterwellen mehr
Lungenärzte sehen Covid-19 als weitere saisonale Infektion - und wollen weniger Aufregung um das Thema
Wird es eine vierte Covid-19-Welle in Deutschland geben? Trotz gerade erst beginnender Lockerungen in Handel, Sport und Gastronomie treibt diese Frage nicht nur manchen Bürger um. Gestellt wird sie auch den Fachärzten, darunter Lungenmedizinern. Deren Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) veranstaltet gerade ihren 61. Jahreskongress, bei dem Sars-CoV-2 mit mehr als zehn Symposien großen Raum einnahm.
Aus diesem Anlass wagte Torsten Bauer, stellvertretender DGP-Präsident, einen Blick in die Zukunft. Zwar hält der Chefarzt einer Berliner Lungenklinik der Helios-Gruppe wesentliche Detailfragen der Sars-CoV-2-Infektion noch für diskussionsbedürftig. Eine vierte Welle sei aber sicher - die Frage sei jedoch, was das bedeute. Der Internist empfiehlt in diesem Zusammenhang, auf die bisherigen Wellen zurückzuschauen, um für künftige Ausschläge im Infektionsgeschehen gerüstet zu sein.
»Die erste Welle war geprägt durch die Reorganisation des Gesundheitssystems, knappe Ressourcen bei der persönlichen Schutzausrüstung und erste Erfahrungen mit der Erkrankung und der Identifikation von Risikogruppen (hohes Alter, Komorbiditäten und so weiter).« Aus Versorgersicht waren damals Katastrophen angekündigt worden, die ausblieben, erinnert sich Bauer.
Die zweite Covid-19-Welle habe früher begonnen als die übliche Influenza-Saison, sie war im Gesundheitswesen gekennzeichnet durch eine »personelle Ressourcenverknappung durch Infektionen und angeordneter Quarantäne beim Personal auf der einen Seite und hohem Patientenaufkommen bei gleichzeitig unterbrochenen Weiterbehandlungsketten auf der anderen Seite«.
In der dritten Welle in diesem Frühjahr hingegen habe es keine nosokomialen Coronavirus-Infektionen mehr gegeben, in den Krankenhäusern steckte sich also niemand mehr an. Auch das nunmehr geimpfte medizinische Personal sei besser geschützt gewesen als zuvor. Was könnte das alles für eine vierte Welle bedeuten? Bauer gibt sich relativ gelassen: »Es wird vermutlich immer wieder Patienten mit einer Covid-19-Lungenentzündung geben.« Die Aussichten bei der medikamentösen Therapie sind bislang noch nicht besonders ermutigend. Auch der Medizinier räumt ein, dass von 150 bisher geprüften Medikamenten nur vier übrig blieben, die zur Behandlung in Betracht kommen. Umso mehr sei Spezialwissen gefragt, etwa auch eine entsprechende Aufstellung von Lungenzentren. Ein allgemeiner Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses für das Gesundheitswesen (G-BA) von Ende 2020 hatte Bedingungen für die Errichtung dieser Zentren formuliert. Für neue Erkrankungsfälle müsse zudem weiter an einer besseren Therapie gearbeitet werden.
Die Vorstellung, dass Covid-19 in absehbarer Zeit »verschwindet«, könnten die Lungenärzte nicht unterstützen. So sei auch eine fünfte und sechste Welle zu erwarten. Prävention bleibe das A und O. Gegenüber Sars-CoV-2 bedeute das Impfen und Hygiene. Ob die Immunisierung jährlich aufgefrischt werden müsse, ließe sich jetzt noch nicht beantworten. »Die Frage ist eher: Bekommen wir heraus, ob das nötig ist?« Politik und Industrie drängten darauf, in der Diskussion werde aber Plausibilität durch Wissen ersetzt. Deshalb plädiert der Pneumologe für eine klinische Studie, in die Probanden mit und ohne Auffrischungsimpfung aufgenommen werden.
»Die vierte Welle wird somit in Deutschland zeitlich der zweiten Welle ähneln, deutlich niedriger ausfallen und sicher epidemiologisch weniger bedeutsam sein«, ist sich Bauer sicher. Wichtig sei, »die Aufgeregtheit aus dem Thema herauszukriegen«. Die Infektion ließe sich gut versorgen, sie sei etwa im Vergleich mit einer offenen Tuberkulose stationär einfacher zu organisieren.
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Der Ausblick in die zweite Jahreshälfte lässt sich aus Sicht der Lungenärzte am besten so zusammenfassen: Sars-CoV-2 ist »the new kid on the block«. Das Kind werde bleiben, erwachsen werden und sich in die Reihe der bekannten Infektionskrankheiten der Lunge mit saisonalem Charakter einfügen. Möglicherweise könnten künftige Covid-19-Saisons einige Wochen vor denen der Influenza beginnen. Dann sei eine kombinierte jährliche Impfung vorstellbar.
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