»Wir brauchen erfolgreiche Beispiele linker Politik«

Die sozialistische Stadtverordnete aus Seattle Kshama Sawant über die Demokraten und Amazon sowie linke Strategie und Politik in den USA

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 8 Min.

Sie sind schon lange in der linken Politik der USA aktiv und wurden schon 2013 als Sozialistin in den Stadtrat von Seattle gewählt. Was waren Ihre größten Erfolge und wie würden Sie Ihre politische Karriere zusammenfassen?

In den siebeneinhalb Jahren, seit wir ein sozialistisches Mandat im Stadtrat von Seattle haben, hat die Socialist Alternative gezeigt, dass es möglich ist, in den Vereinigten Staaten – im Herzen der Bestie, wenn Sie so wollen – ganz offen für die Nöte der Arbeiterklasse auf sozialistischer Basis zu kämpfen und konkrete Siege zu erringen. Weniger als sechs Monate, nachdem ich gewählt worden war, haben wir einen Mindestlohn von 15 US-Dollar in Seattle durchgesetzt. Das hat dann andere inspiriert und wurde in der Folge in mehreren anderen Städten erstritten und nun ist ein Mindestlohn von 15 Dollar landesweit möglich und wird eine Kampagne, hinter der sich Millionen Menschen versammeln. Letztes Jahr haben wir in Seattle eine Amazon-Steuer durchsetzen können, Großunternehmen werden besteuert, um damit bezahlbare Sozialwohnungen und lokale Green-New-Deal-Projekte zu finanzieren. 214 Millionen Dollar pro Jahr müssen Großkonzerne wie Amazon oder große Immobilienkonzerne nun zahlen.

Kshama Sawant
Kshama Sawant ist eine linke Politikerin und Trendsetterin in den USA. Sawant studierte Softwaretechnik an der University of Mumbai in Indien. Nachdem sie in die Vereinigten Staaten übergesiedelt war, um dort ihr IT-Studium zu vertiefen, entschied sie sich angesichts der sozialen Ungleichheit und Armut in den USA zum Wirtschaftswissenschaftsstudium. Sie setzte als Stadtverordnete in Seattle einen Mindestlohn in Höhe von 15 Dollar durch. Die prominente Sozialistin sieht die aktuelle Vielfachkrise des Kapitalismus als Chance für die US-Linke.

Wie haben Sie die Amazon-Steuer erreicht?

Wir haben als Bewegung entschieden, eine »Besteuert-Amazon-Initiative« als lokalen Volksentscheid aufzusetzen. Das war als glaubhafte Drohung an den von Demokraten kontrollierten Stadtrat: »Wenn ihr die Amazon-Steuer nicht verabschiedet, werden wir die Wähler direkt damit beauftragen.« Während der Black-Lives-Matter-Proteste haben wir 30 000 Unterschriften dafür gesammelt, 20 000 davon wurden in 20 Tagen gesammelt. Es ist sehr klar für die schwarze Arbeiterklasse, dass der Kampf gegen Rassismus zusammengehört mit dem Kampf gegen ökonomische Ausbeutung. Diese Dynamik hat das Demokraten-Establishment dazu gezwungen, dieses Zugeständnis zu machen.

Reden wir über das Establishment der Demokraten.

Seit ich zum ersten Mal gewählt wurde, gab es eine reale Veränderung in der Art, wie die Demokraten als Partei funktionieren. 2013 gab es acht Demokraten und mich als Sozialistin. Das ist auch immer noch so, aber die Demokraten damals waren viel offener pro Unternehmen. Sie haben Wahlkampfspenden von Großkonzernen angenommen, sich offen gegen einen 15-Dollar-Mindestlohn gestellt und sich über die Idee von Trans Pride lustig gemacht – ich war die einzige Stadträtin, der damals zu dieser Parade ging. Jetzt sind sie alle bei der Trans Pride, reden praktisch jeden Tag über Black-Lives-Matter und nehmen keine Gelder mehr von »Big Business« an, weil die Demokratische Partei nun mit sozialistischer Politik und einer breiten Massenbewegung konfrontiert ist. Alle Demokraten im Stadtrat von Seattle verstehen sich jetzt selber als »progressiv«.

Aber Ihr Verhältnis zu ihnen ist immer noch kompliziert?

Hinter den Kulissen sind sie nicht ganz so progressiv. Sie versuchen die ganze Zeit, mich als Individuum zu dämonisieren. Aber eigentlich geht es dabei um ein Zurückdrängen der Bewegungspolitik. Die Bürgermeisterin der Demokraten, Jenny Durkan, hat praktisch alle progressiven Projekte abgelehnt, selbst die Einrichtung von lokalem Breitbandinternet und natürlich die Amazon-Steuer. Und sie war verantwortlich für die bösartige Repression gegen Black-Lives-Matter-Demonstranten im vergangenen Jahr. Sie hat der Polizei erlaubt, gefährliche Waffen wie Tränengas einzusetzen – gegen friedliche Protestierende, während einer Atemwegserkrankungs-Pandemie. Tränengas reizt die Lunge und hat das Potenzial, die Verbreitung des Coronavirus zu begünstigen. Trotzdem haben demokratisch geführte Städte in den USA letztes Jahr wochenlang weiter Tränengas eingesetzt, obwohl Mediziner und Gesundheitsoffizielle sich dagegen ausgesprochen hatten.

Es scheint so, als wollten einige Ihr politisches Ende. Aktuell läuft ein Abwahlverfahren gegen Sie. Was sind die Vorwürfe?

Lassen Sie es mich klar sagen: Ich habe keine Gesetze gebrochen. Ein Vorwurf ist, ich hätte unrechtmäßig Black-Lives-Matter-Demonstranten in das Stadtratsgebäude gelassen. Dies war zu diesem Zeitpunkt leer, weil alle wegen der Pandemie von zu Haus gearbeitet haben. Es gab einen friedlichen Protest über die Länge von einer Stunde, die Menschen haben Masken getragen. Der zweite Vorwurf lautet, ich persönlich hätte eine Black-Lives-Matter-Demonstration zum Haus der Bürgermeisterin angeführt. Das ist falsch. Sie wurde von den Familien von Menschen organisiert, die von der Polizei getötet wurden. Sie haben mich eingeladen, eine Rede zu halten. Das habe ich getan und würde es wieder tun.

Welche politischen Projekte wollen Sie als nächstes umsetzen?

Nur drei Tage, bevor vor kurzem das Oberste Gericht im Staat Washington geurteilt hat, dass die Abwahl-Kampagne gegen mich rechtmäßig ist, haben wir einen weiteren Erfolg für Mieter errungen. Es ist nun vorgeschrieben, dass jedem Mieter, dem die Räumung droht, ein öffentlich finanzierter Anwalt an die Seite gestellt wird. Die Daten zeigen, dass einzig ein ausgebildeter Rechtsbeistand an der Seite der Mieter Räumungen verhindern kann.

Für Seattle sagen wir, dass die Amazon-Steuer erhöht werden sollte, um dringend benötigte Projekte zu finanzieren. Weil die Wirtschaft wegen der Coronakrise in die Rezession geraten ist, sind die Steuereinnahmen der öffentlichen Haushalte eingebrochen. In Seattle und im Staat Washington, aber auch landesweit, steht uns potenziell ein Tsunami von Wohnungsräumungen bevor, wenn die während der Pandemie erlassenen Räumungsmoratorien auslaufen – und das werden sie in Kürze. Schon diese Moratorien zu erringen, war ja ein Kampf. Nun gibt es eine wachsende Bewegung von Mietern, die das Erlassen von Corona-Mietschulden fordern. Aktuell werden die Kosten der Pandemie und Rezession auf dem Rücken der Beschäftigten abgeladen. Wir sollten das nicht akzeptieren.

Potenzial sehen Sie offenbar auch in der Organisation Democratic Socialists of America (DSA).

Fast fünf Jahrzehnte lang gab es einen Niedergang von sozialen Bewegungen und der Arbeiterbewegung in den USA. Aber jetzt haben wir eine Erneuerung einer sozialistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten. Das schnelle Wachstum von Organisationen wie der DSA, aber auch der Socialist Alternative zeigen das. Die junge Generation ist auf der Suche nach neuen Ideen, das ist eine Chance für uns. Der Kapitalismus ist in seiner schlimmsten Krise seit fast einem Jahrhundert, einer Vielfachkrise aus Covid-19, ökonomischem Zusammenbruch und der Klimakrise.

Während ich und einige andere weiterhin Mitglied der Socialist Alternative bleiben werden, haben wir uns entschlossen, auch der DSA beizutreten, weil wir denken, dass wir eine Rolle in der breiteren linken Strategiedebatte dort spielen können. Mittlerweile wurden viele DSA-Kandidaten in verschiedenste Ämter gewählt, das ist extrem positiv. Aber eine simple numerische Akkumulation von gewählten Sozialisten wird nicht genug sein. Wir geben uns da keinen Illusionen über die Möglichkeiten linker Parlamentarier hin, dass diese uns eine andere Gesellschaft bringen könnten. Linke Reformen – so schwierig sie auch zu erreichen sind – sind nicht genug. Aber wir brauchen auch solche Beispiele erfolgreicher linker Politik.

Einige DSA-Mitglieder sitzen mittlerweile auch im US-Repräsentantenhaus. Immer wieder gibt es eine Debatte auf der Linken auch um das Verhalten von linken Stars wie etwa Alexandria Ocasio-Cortez und der sogenannten »Squad«, einer Gruppe linker Parlamentarier rund um sie.

Ich habe keine Zweifel, dass die Mitglieder der »Squad« es alle wirklich gut meinen. Man braucht viel Courage, um sich gegen eine Nancy Pelosi und die Interessen des Big Business zu stellen. Es ist eine gute Sache, dass sie offen über Projekte wie die Einführung einer universalen staatlichen Krankenversicherung, also über Medicare For All, gesprochen haben, oder über den 15-Dollar-Mindestlohn. Sie haben ihre Plattformen genutzt, um diese Ideen populär und zur neuen Norm zu machen.

Aber als Nancy Pelosi Anfang 2021 zur Sprecherin des Repräsentantenhauses wiedergewählt wurde, haben Teile der Linken und wir auch gesagt: »Eigentlich sollte man grundsätzlich nicht für Pelosi stimmen – aber wenn man es tut, sollte man mindestens Bedingungen daran knüpfen wie etwa die Zusicherung über eine Abstimmung über Medicare For All im Repräsentantenhaus«. Bei der Verabschiedung des Coronakrisen-Hilfspakets von Joe Biden im März hätte die Squad ihre Zustimmung davon abhängig machen müssen, dass der Mindestlohn wieder Teil des Pakets wird (Anm. der Redaktion: Dieser war im US-Senat im Gesetzgebungsprozess wieder gestrichen worden vor einer abschließenden Abstimmung im Repräsentantenhaus).

Wir brauchen Politiker, die ihr Mandat als Grundlage nutzen, um soziale Kämpfe zu unterstützen. So waren wir in Seattle erfolgreich. Wir haben keine Illusionen, dass wir oder einige Politiker allein diese Kämpfe gewinnen werden, selbst wenn sie noch so viel persönliche Courage haben.

Ein sozialer Kampf, der in den letzten Wochen und Monaten in den Vereinigten Staaten viel Aufmerksamkeit erfahren hat, ist der Versuch, in einem Amazon-Warenlager in Alabama die landesweit erste Gewerkschaftsvertretung zu wählen. Diese Wahl ist zumindest vorerst gescheitert. Wie sehen Sie die Abstimmungsniederlage?

Dabei ging es nie nur um ein Amazon-Warenlager, sondern darum, was landesweit möglich ist. Es gibt das Potenzial für Kämpfe für die Anerkennung einer Gewerkschaft in jedem Amazon-Warenlager in den Vereinigten Staaten. Die Geschichte sozialer Bewegungen zeigt: Es gibt immer Rückschläge, wir werden nicht jede Schlacht gewinnen. Wir dürfen das Abstimmungsergebnis auch nicht schönreden, es war ein Rückschlag und unsere kollektive Verantwortung als Linke, wenn wir es ernst meinen mit unserer Politik, ist nun daraus zu lernen. Wir müssen dafür sorgen, dass die nächste Auseinandersetzung um die Etablierung einer gewerkschaftlichen Vertretung bei Amazon ein rauschender Erfolg wird.

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