- Reise
- Urlaub während Corona
Wo der Wind leise säuselt
Baumhäuser sind der ideale Rückzugsort in Corona-Zeiten - 50 Baumhaushotels in Deutschland
Eine Buche im Allgäu wird auf dieser Reise unser Domizil sein: ein Baumhaus nahe Betzigau, rund um den stattlichen Stamm gebaut und in der Krone verankert. Die Kinder stürmen sofort die Treppe hinauf. Aber auch bei den Erwachsenen kribbelt’s. Denn so ein Baumhaus erinnert an die eigene Jugend, als man sich hoch droben in den Wipfeln einen Rückzugsort schuf, und an die Geheimnisse, die man dort vor den Eltern verbergen konnte, sobald man die Strickleiter hochgezogen hatte.
Tatsächlich, heute muss man nur die Tür schließen und schon stellt sich das Kindheitsgefühl ein. Es herrscht eine friedliche Ruhe, die eigentlich keine ist, sondern vielmehr eine Ansammlung beruhigender Geräusche, die durchs Fenster sanft hereinschweben: säuselnder Wind, wippende Äste, piepsende Vögel. Ein Baumhaus ist ein magischer Ort ohne lästige Verpflichtungen und Erwartungen. Man vergisst die Sorgen und Corona. Dabei ist die Pandemie, jetzt da die Reisesaison wieder angelaufen ist, immer noch das große Thema.
Dieser Text stammt aus unser Wochenendausgabe. nd.Die Woche nimmt Geschehnisse in Politik und Gesellschaft hintergründig unter die Lupe. Politische und wirtschaftliche Analysen, Interviews, Reportagen und Features, immer ab Samstag am Kiosk oder gleich mit einem Wochenendabo linken Journalismus unterstützen.
Viele Menschen sind verständlicherweise vorsichtig. Das Virus lauert noch überall. Auch jene, die noch nicht geimpft sind, wollen raus aus den eigenen vier Wänden und sich erholen. Deswegen gilt auch im Urlaub weiterhin: Abstand halten und Kontakte vermeiden. Das geht am besten, indem man sich eine Unterkunft bucht, in der man nicht Tür an Tür mit anderen Gästen und möglichst naturnah urlaubt.
Beim Deutschen Reiseverband ist man sich sicher, dass die Nachfrage nach Ferienhäusern und Appartements auf dem Land, nach Wohnungen auf dem Bauernhof und eben Baumhäusern weiter steigt. Schon vor der Pandemie habe es einen Trend in diese Richtung gegeben. Die Menschen drängten viel mehr in die Natur als in große Städte. »Man möchte eher für sich sein«, erklärte Kerstin Heinen vom Deutschen Reiseverband kürzlich. Statista, das auch Markt- und Konsumdaten aus dem Tourismus erhebt, veröffentlichte eine Umfrage, wonach 60 Prozent der Deutschen ihren Urlaub im Jahr 2021 in einer abgetrennten Einheit wie einer Ferienwohnung verbringen wollen. Viele äußerten dabei die Absicht, sich eine besondere Unterkunft wie ein Hausboot oder ein Baumhaus gönnen zu wollen. Hauptsache Abstand.
Bei uns beträgt die Entfernung zum Nachbarbaumhaus rund 20 Meter Luftlinie und zwei schier unüberwindbare Buchen. Die Familie, die heute Nachmittag eingezogen ist, rückt die Liegestühle auf der Terrasse zurecht, um die Allgäuer Sonne zu genießen.
Freilich sind die Betzigauer Baumhäuser aber auch ein guter Ausgangspunkt für Ausflüge in die Berge oder zu Ludwigs Königsschlössern. Die Kinder allerdings wollen davon nichts wissen. Sie spielen und toben lieber im Wald, bauen Schilfschiffchen, die sie der wilden Fahrt im kleinen Bach aussetzen, und besuchen Hühner, Hasen, Ziegen, Kühe und Pferde auf dem nahen Bauernhof. Und als Hauptattraktion wartet ja noch das Bett am Baumstamm, samt Küche, Bad, zwei Schlafzimmern und hochwertiger Ausstattung wie in einem sehr guten Hotelzimmer. Was man nicht alles um einen dicken Buchenstamm herum auf 32 Quadratmetern bauen kann!
Die ersten touristischen Baumhäuser in Deutschland eröffneten 2005. Mittlerweile gibt es sie in fast jedem Bundesland. So listet das Internetportal traumquartiere.de 50 Baumhaushotels in Deutschland mit teils acht, zehn oder zwölf Einheiten.
Baumhäuser sind aber keine Erfindung der Neuzeit. Bereits römische Kaiser ließen Bretter zwischen die Wipfel spannen, um sich hoch droben zu erholen und die Natur zu beobachten. Indigene Völker in Asien, Afrika und Südamerika pflegen seit jeher ihr Dasein hoch über dem Erdboden.
Heutzutage ist ein Baumhaus ein Hotelzimmer beziehungsweise ein Apartment, das in die Baumkrone gesetzt oder rund um den Stamm gebaut wurde. In der Regel muss der Gast auf die Infrastruktur eines Hotels verzichten. Spa, Sauna, Restaurant sucht man vergebens. Im Normalfall gibt es aber einen Frühstücksservice. Bei uns in Betzigau stellt eine gute Fee jeden Morgen um 8 Uhr einen Korb mit Brot, Wurst, Käse und Eiern, die die Hühner drüben auf dem Bauernhof frisch gelegt haben, vor die Türe. Wer mittags oder abends eine warme Mahlzeit will, muss sich selbst etwas auf den beiden Herdplatten zubereiten oder in ein Gasthaus im Ort gehen, der allerdings drei Kilometer entfernt ist.
Man findet aber auch Luxusbaumhäuser in Deutschland, die über Dachterrasse samt Whirlpool und viele weitere Annehmlichkeiten verfügen. Damit entfernen sie sich aber immer weiter von einem naturnahen Urlaub, bei dem eigentlich das Erlebnis Wald im Mittelpunkt stehen sollte. Wir jedenfalls haben Freundschaft mit einem Rotkehlchen geschlossen, das jeden Morgen auf einem Ast wartet, bis wir die Tür öffnen. Vielleicht lauert es aber auch nur, weil da ein prall gefüllter Frühstückskorb steht.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.