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Tausendundeine Tür
Hauptstadt-Linke startet mit Haustüraktionstag in den Wahlkampf
Auf dem Leopoldplatz in Wedding herrscht wuseliges Treiben. Wie jeden Sonnabend füllen die vielen Verkaufsstände des Flohmarkts den Platz, Menschen schieben sich zwischen den angebotenen Waren hindurch, verschiedene Sprachen sind zu hören. Am Rande dieses Schmelztiegels hat die Linke ihren Infostand aufgebaut, bestehend aus einem roten Lastenfahrrad. Während Alina Passanten anspricht, um Unterschriften für die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« zu sammeln, bereitet David die erste Gruppe Haustürwahlkämpfer*innen auf ihren Einsatz vor.
Es ist der erste bundesweite Haustüraktionstag der Linkspartei vor der anstehenden Bundestagswahl. Für Wahlkämpfer David kommt er reichlich spät. »Wir sind ein bisschen fassungslos, dass angesichts der schlechten Umfragewerte vonseiten der Bundespartei nicht längst schon mehr passiert ist«, fasst er die Stimmung an der Basis zusammen. An diesem Sonnabend wollen die jungen Leute in drei Schichten in Wedding und Moabit insgesamt 1000 Haushalte in Mitte persönlich ansprechen und für die Wahl der Linkspartei und Martin Neises, des Direktkandidaten des Bezirks, werben.
Bezahlbarer Wohnraum großes Thema
Das Linke-Netzwerk in Mitte mit seinen etwa 70 engagierten, zumeist jungen Leuten ist aber schon länger umtriebig. »Wir haben in den vergangenen beiden Monaten schon an 5000 Wohnungstüren geklingelt«, erzählt David. Das Vorgehen dabei beschreibt er so: »Wir wollen einfach mit unseren Nachbarn quatschen. Wir sagen nicht: ›Wählen Sie die Linke!‹, sondern hören uns eher die Sorgen und Vorschläge der Menschen an.«
Robert Maruschke atmet noch mal tief durch, bevor er an der Wohnungstür klingelt. Er ist einer der 20 Haustürwahlkämpfer und gerade im vierten Stock eines Hinterhauses in der Liebenwalder Straße angekommen. Nach kurzem Warten erscheint eine junge Frau, die über den fremden Besucher mit seinem roten Klemmbrett wenig überrascht zu sein scheint. »Ich bin Robert von der Linkspartei«, stellt sich Maruschke heute schon zum x-ten Male vor. »Wir wollen gern wissen, welche Probleme oder Anregungen wir eventuell von dir an Martin Neise, unseren Direktkandidaten für die Bundestagswahl, weitergeben können.«
Die Frau überlegt kurz und sagt dann, dass sie sich mehr barrierefreie Begegnungsorte im Kiez wünsche. »Also, dass dort Menschen aus allen Milieus zusammenkommen können und nicht immer nur bestimmte Gruppen«, präzisiert sie. Eine solche Anregung passt genau zu Martin Neises Konzept des sich organisierenden Kiezes. Er will die Menschen nicht nur ansprechen, sondern sie auch motivieren, selbst etwas zu tun. Im Falle seiner Wahl in den Bundestag will er sein Wahlkreisbüro in ein offenes Kiezzentrum umgestalten.
14 000 Haushalte bis 26. September
Robert Maruschke geht weiter, von Wohnung zu Wohnung, von Etage zu Etage, von Vorderhaus zu Hinterhaus, er nimmt sehr viele Treppenstufen an diesem Tag. Viele Bewohner wünschen sich mehr Platz für Fahrräder auf den Straßen. Ein weiteres zentrales Anliegen ist bezahlbarer Wohnraum. So wundert sich zum Beispiel ein junger Arzt aus Ägypten, der in der Charité arbeitet, warum er mit seiner Familie in einer unsanierten Einraumwohnung wohnen muss, die dazu noch 700 Euro kostet. »Man bekommt hier einfach keine Wohnung, ich verstehe das nicht«, sagt er nachdenklich.
Wieder am Infostand am Leopoldplatz herrscht gute Stimmung bei den zurückgekehrten Haustürwahlkämpfer*innen. Gerade die, die zum ersten Mal mitgemacht haben, freuen sich, dass die meisten der Leute, die ihnen die Tür geöffnet haben, so nett und interessiert gewesen seien. Zumal angesichts der heißen Außentemperaturen erstaunlich viele Menschen in ihren Wohnungen anzutreffen waren.
Am Abend geht die Auswertung des Tages weiter. David verkündet über den Social-Media-Kanal der Gruppe das Ergebnis: »Die 1000 Haustüren haben wir geschafft! Und nebenbei noch entspannt 200 Unterschriften für Deutsche Wohnen & Co enteignen« gesammelt! Digitaler Jubel allenthalben.
Die Gruppe will die Aktion bis zur Bundestagswahl kontinuierlich fortsetzen. »Wir wollen noch 14 000 Haushalte schaffen bis zum 26. September. Dann hätten wir 20 000 erreicht, das sind etwa zehn Prozent der Bevölkerung in Mitte«, erläutert David das Ziel der Kampagne. Und fügt noch hinzu: »Gerade in Mitte, wo wir bis zu 40 Prozent Wähler*innen-Potenzial haben, müssen wir was rausholen.«
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