Autobahn war gestern

Aktionswochenende für rasche Verkehrswende und Stopp der A100

  • Bosse Kröger
  • Lesedauer: 5 Min.

Rund 80 Menschen mit weißen Maleranzügen stürmten am Samstagmorgen gegen 5 Uhr die Baustelle der A100 in der Nähe der Grenzallee. Beim Versuch, in einen Fahrbahntunnel einzudringen, wurden sie von der Polizei gestoppt. Die Aktivist*innen wurden vorläufig festgenommen, gegen sie wird nun wegen Hausfriedensbruchs ermittelt. Bis zum Mittag versammelten sich weitere mehrere Hundert Menschen am anderen Ende der Baustelle beim Treptower Park an der Kiefholzstraße, zündeten Nebeltöpfe und entrollten ein Banner mit der Aufschrift »A100 stoppen - Verkehrswende jetzt«. Die Polizei trug einige von ihnen unter Zwang vom Gelände.

»Wir sorgen mit unseren Körpern für den sofortigen Autobahn-Baustopp«, erklärte Lou Winters von Sand im Getriebe, die gemeinsam mit Ende Gelände, Fridays for Future und Robin Wood zu den Protestaktionen aufgerufen hatte. Jedes Stück neue Autobahn bringe mehr Autos, mehr CO2, mehr Klimazerstörung. Ein Kletterteam hängte an einer Wand der A100 ein Banner mit dem Slogan »Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten« auf. »Die Aktion war ein voller Erfolg, trotz der Polizeimaßnahmen«, zeigte sich eine Sprecherin von Robin Wood zufrieden.

Während die Fahrraddemonstration am Mittag vom Platz der Republik über die A100 bis zur Elsenstraße ohne Zwischenfälle verlief, ging die Polizei bei den morgendlichen Blockaden teilweise mit Gewalt gegen Aktivist*innen und Journalist*innen vor. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) warf der Polizei eine »massive« Behinderung von Pressevertreter*innen auf der Baustelle vor. Zwölf Journalist*innen wurden eingekesselt, in Gewahrsam genommen und erhielten Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs sowie Platzverweise.

Die Blockade der A100 war Teil des bundesweiten Aktionswochenendes gegen Autobahnen, organisiert vom Bündnis »Wald statt Asphalt«. In über 50 Aktionen wurde eine sozial- und klimagerechte Mobilitätswende gefordert. Auch die alljährliche Sternfahrt des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) am Sonntag stand ganz im Zeichen der Verkehrswende. Auf vielen Straßen der Hauptstadt war lange kein Durchkommen für Autofahrer*innen. Wo sonst Blechlawinen durch die Straßen walzen, zogen sich kilometerlange Züge von laut klingelnden Radfahrer*innen durch die brütende Hitze.

Bereits seit 1977 veranstaltet der ADFC die große Sternfahrt in Berlin. Nachdem im vergangenen Jahr wegen der Infektionsschutzverordnung nur eine stationäre Kundgebung möglich war, konnten die Radler*innen dieses Jahr wieder Strecken befahren, die sonst nur Autofahrer*innen vorbehalten sind, etwa Teile der umstrittenen A100. Anders als sonst beschränkte sich die Sternenfahrt dieses Jahr auf Berlin, da Brandenburg nach wie vor keine Demonstrationen in dieser Form erlaubt. Viele der 16 Routen zum Großen Stern fielen daher deutlich kürzer aus als in den Jahren zuvor.

Unter dem Motto »Die Zukunft beginnt heute - Verkehrswende jetzt!« demonstrierten dennoch 20 000 Menschen für eine radfreundlichere Verkehrspolitik. Aus Sicht des ADFC ein voller Erfolg. »Einmal im Jahr gehören die Straßen uns Radfahrenden«, so Lisa Feitsch, Sprecherin des ADFC-Berlin. »Es ist einfach schön wieder gemeinsam Radfahren zu können.« Neben der Freude am gemeinsamen Fahren betont sie aber auch den ernsten Anlass der Demonstration, vor allem die mangelnde Sicherheit im Straßenverkehr sei ein großes Problem. »Wir brauchen dringend mehr gesicherte Radwege, um weitere Unfälle zu verhindern.«

Das belegt auch die hohe Anzahl der bei Unfällen getöteten Radfahrer*innen in Berlin. 2020 verstarben 19 Radler*innen im Straßenverkehr, in diesem Jahr gab es bereits vier Tote. Oft besteht ein Zusammenhang mit unaufmerksam abbiegenden Auto- oder LKW-Fahrer*innen oder zugeparkten Fahrradstreifen. Wie zuletzt Ende Mai bei einem Unfall in Friedrichshain, bei dem eine 37-Jährige beim Ausweichen von einem LKW überrollt wurde.

Die Verkehrssicherheit ist auch für Martin Heidenreich das größte Problem für Radfahrer*innen in Berlin. Der 72-Jährige war bereits mehrfach bei der Sternfahrt dabei. »Ich bin zwar Rentner, aber trotzdem noch viel mit dem Rad unterwegs«, sagt Heidenreich zu »nd«. »Dabei erlebt man in Berlin ja fast immer brenzlige Situationen«, so der Pensionär. Er versuche zwar, sich mit Warnweste und heller Kleidung für die Autofahrer*innen sichtbarer zu machen, gefährlich bleibe das Radfahren aber trotzdem, findet er.

Auf der Demonstration waren auch zahlreiche Aktivist*innen der Initiative »Berlin Autofrei« unterwegs. Sie sammeln Unterschriften für eine drastische Reduzierung des Autoverkehrs innerhalb des Berliner Rings. Eine von ihnen ist Verena Hiltl. Zwei schwere Verkehrsunfälle haben sie dazu bewogen, gegen das Auto mobil zu machen. »Nach einem der Unfälle lag ich zwei Wochen im Krankenhaus«, erzählt sie. Sie sorgt sich nun um ihre Nichte, die in der derzeitigen Situation nicht alleine mit dem Fahrrad zur Schule fahren könne. »Da muss sich echt was ändern«, so die Aktivistin.

Auch der Ausbau der A100 bewegt viele der Teilnehmer*innen. »Es macht überhaupt keinen Sinn, im Jahr 2021 an Ideen aus dem letzten Jahrhundert festzuhalten« findet die Studentin Jana Berger. Stattdessen sollte das Geld lieber in den Ausbau von Radwegen und den öffentlichen Nahverkehr investiert werden. »Das ist klimafreundlicher und nimmt weniger Platz weg«, findet sie.

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Das sieht auch der ADFC so, der anlässlich der im Herbst anstehenden Wahlen eine 20-seitige Broschüre mit Forderungen und Vorschlägen für eine sichere und klimafreundliche Verkehrspolitik vorgelegt hat. »Wie wir jetzt den Verkehr gestalten wird entscheiden, wie die Stadt der Zukunft aussehen wird und ob wir unsere Klimaziele erreichen«, erklärt Lisa Feitsch. Im Juli will Deutschlands größte Radfahrer*innen- Organisation darüber informieren, welche Parteien aus Sicht des ADFC eine sinnvolle Verkehrspolitik umsetzten wollen und welche nicht. »Wenn wir unsere Klimaziele ernst nehmen, dann geht das nur mit dem Rad«, ist Feitsch überzeugt.

Was die Stadtautobahn A100 betrifft, sind Linke und Grüne gegen das Projekt. Zuständig für Autobahnen ist jedoch nicht die Landesregierung, sondern der Bund - und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat sich bislang nicht als großer Radenthusiast hervorgetan.

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