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Fatale Abhängigkeit von kommerziellem Saatgut

Neue Analyse bestätigt vernichtendes Urteil über die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Ziel war hoch gesteckt: mehr Einkommen und verbesserte Ernährungssicherheit für 30 Millionen kleinbäuerliche Haushalte in elf afrikanischen Ländern bis 2021. Für dieses vor 15 Jahren gesteckte Ziel erhielt die Alliance for a Green Revolution (Agra) über eine Milliarde US-Dollar - vor allem von der Gates-Stiftung, aber auch von der Bundesregierung. Ihr Ansatz: afrikanischen Landwirt*innen Hybridsaatgutsorten zu verkaufen, die mit synthetischen Düngemitteln und Pestiziden bearbeitet werden müssen.

Im Sommer 2020 veröffentlichte ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis um die Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Studie mit dem Titel »Falsche Versprechen«. »Der Agra-Ansatz ist an den eigenen Zielen gescheitert«, so das vernichtende Urteil. Die Allianz reagierte verschnupft und versuchte zunächst, die Studie des Politikforschers Timothy Wise von der Tufts-Universität in Boston als unwissenschaftlich zu diskreditieren. Ihre eigenen Evaluationen offenzulegen, lehnte Agra ab, bis sie zu Jahresbeginn in den USA über den »Freedom of Information Act« dazu gezwungen war. Eine am Mittwoch erscheinende Analyse der veröffentlichten Papiere bestätigt nun die Ergebnisse der Studie: Agra konnte die selbst gesteckten Ziele bei weitem nicht erreichen.

Demnach verschafft der Ansatz der Agrarallianz den an Projekten beteiligten Bauern und Bäuerinnen nicht einmal Einkommen, die oberhalb der Armutsgrenze liegen. Kleinbäuerliche Erzeuger*innen seien sogar einem hohen Verschuldungsrisiko ausgesetzt, heißt es in der Analyse der Agra-Evaluationen. »Die Ausgaben für Dünger, Pestizide und Saatgut werden einfach nicht mit eingerechnet, obwohl die Evaluierungen Verschuldungen durch diese Mehrkosten dokumentieren«, erklärt Roman Herre, Agrarreferent der Menschenrechtsorganisation Fian. Auch die Verdrängung nahrhafter Feldfrüchte wie Hirse zugunsten des Agra-Lieblings Mais und damit verbundene zusätzliche Ausgaben für Nahrungsmittel würden ausgeblendet.

Zudem werde die Abhängigkeit der Landwirt*innen von den beteiligten Saatgutunternehmen verstärkt. Um hohe Erträge zu haben, muss das Saatgut nämlich jährlich neu gekauft werden. Im Durchschnitt würden Hybride laut der Evaluierung für Burkina Faso mindestens fünfmal wieder ausgesät. Dies erkläre auch die schlechten Erträge bei den Hybriden, die nur im ersten Jahr die versprochenen hohen Erträge erreichen und dann meist stark einbrechen.

Laut der Auswertung für Ghana bevorzugen viele Landwirt*innen ihr lokales Saatgut gegenüber dem kommerziellen von Agra. »Dies geschieht nicht aus Unwissen: Über 50 Prozent der Bauern und Bäuerinnen haben schon einmal Hybridsaatgut getestet, aktuell nutzen jedoch nur etwa 15 Prozent zertifiziertes Saatgut«, heißt es in der Auswertung.

»Statt auf den bestehenden Systemen und dem bäuerlichen Wissen aufzubauen, verfolgt Agra kompromisslos den Ansatz der Grünen Revolution, der allein industrielles Saatgut anerkennt«, so Stig Tanzmann, Landwirtschaftsexperte von Brot für die Welt. »Unterstützung von Bauern und Bäuerinnen und Nachhaltigkeit sehen völlig anders aus.« Agra vertrete weder die Interessen kleinbäuerlicher Erzeuger*innen, noch habe der Ansatz einen Beitrag zur Hunger- und Armutsbekämpfung geleistet.

Eine weitere Kritik: Agra nehme in Burkina Faso und Ghana »systematisch« politischen Einfluss auf Düngemittel- und Saatgutgesetzgebungen zugunsten der Agrarindus-trie und zum Nachteil von kleinbäuerlichen Erzeuger*innen. Die geschehe unter anderem durch das Entsenden von Mitarbeiter*innen oder die direkte finanzielle Unterstützung von Ministerien oder Beratungsgremien afrikanischer Regierungen.

In den beiden westafrikanischen Ländern fördert auch die Bundesregierung Agra-Projekte. Dabei ist sich das Entwicklungshilfeministerium unter dem CSU-Politiker Gerd Müller durchaus bewusst, dass das Engagement umstritten ist. »Intendierte Ziele der Ertragssteigerung konnten nicht erreicht werden«, heißt es in einem aktuellen Bericht der Bundesregierung. »Die politische und finanzielle Förderung alternativer Ansätze wie Agrarökologie kommt bislang zu kurz.«

Dennoch: Müller veröffentlichte gemeinsam mit der Agra-Präsidentin Agnes Kalibata, die für den Welternährungsgipfel im Januar 2021 zur UN-Sonderbeauftragten ernannt wurde, ein Grußwort, das direkt aus dem Agra-Programm stammen könnte. Darin heißt es auch, erforderlich sei vor allem »ein Umdenken der staatlichen Entscheidungsträger, damit sie die landwirtschaftliche Entwicklung in jedem Land zu einer Priorität machen«. Das sollte sich die Bundesregierung zu Herzen nehmen: Lena Bassermann, Referentin für Welternährung beim Netzwerk Inkota, fordert angesichts der neuen Analyse, »dass die Bundesregierung jegliche Zusammenarbeit mit Agra - sei es finanziell oder politisch - einstellen muss«.

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