Noch nicht die Zeit für Freudentänze
Die Konfrontation mit seiner Schreckensbilanz wischte Alexander Zverev mit dem Selbstvertrauen eines Champions weg, auch wenn er in Paris noch nie einer war. »Solche Statistiken interessieren mich nicht«, sagte der deutsche Tennisspieler nach seinem ersten Halbfinaleinzug bei den French Open bestimmt und scharf: »Ich weiß, wozu ich fähig bin. Das ist das Einzige, was für mich zählt.« Mit breiter Brust will Zverev in Paris endlich schaffen, was ihm in neun Anläufen noch nie gelungen ist.
Denn um seinen Traum vom ersten Grand-Slam-Titel am Leben zu erhalten, muss der 24-Jährige erstmals überhaupt bei einem der vier großen Major-Tuniere einen Top-10-Spieler bezwingen. Dass er dafür im Weltranglistenfünften Stefanos Tsitsipas am Freitag auch noch einen Angstgegner aus dem Weg räumen muss, macht die Aufgabe nicht leichter.
Und so nahm Zverev sofort nach seinem glanzlosen, aber letztlich souveränen Dreisatzsieg (6:4, 6:1, 6:1) gegen den Spanier Alejandro Davidovich Fokina am Dienstagabend das Duell mit dem 22-jährigen Griechen ins Visier. Um nichts dem Zufall zu überlassen, ging es direkt nach dem Viertelfinalmatch zur Abendbrotzeit noch mal zurück auf den Platz. Aufschlagtraining stand auf dem Programm. Am Mittwoch folgte dann die übliche Regenerationseinheit in der Eiskammer und eine ausgedehnte Trainingssession. »Ich werde alles dafür tun, dass ich an diesem Freitag topfit bin und mein Spiel zu 100 Prozent zur Verfügung habe«, sagte der Hamburger.
Die Bilanz spricht für den Gegner
Zverev wird seine beste Form brauchen, denn die Bilanz spricht klar für den Griechen, der zum dritten Mal in Serie in einem Grand-Slam-Halbfinale stehen wird. Fünf der sieben Duelle mit dem Deutschen gewann Tsitsipas, dazu ist er die klare Nummer eins im Saisonranking.
»Tsitsipas hat eine unglaubliche Sandplatzsaison gehabt, darüber brauchen wir gar nicht zu reden«, lobte Zverev seinen nächsten Kontrahenten. »Jeder weiß, wie gut er gespielt hat. Es wird kein einfaches Match werden.« Hoffnung macht aber der bislang letzte Vergleich: Im Finale von Acapulco im März behielt der Deutsche die Oberhand, wenn auch auf Hartplatz.
Für Zverev wird die Partie am Freitag im Grunde die erste wirklich namhafte Herausforderung dieses Turniers in Paris. Der völlig überforderte Davidovich Fokina war als 46. der aktuellen Tennis-Weltrangliste schon die bislang höchste Hürde - geschuldet einer günstigen Auslosung und Patzern von einigen Mitfavoriten.
»Letztlich habe ich gegen die Spieler gespielt, die mir gegenüberstanden. Ich kann mir die Gegner ja nicht aussuchen«, sagte Zverev und betonte: »Meine Gegner sind auch nicht ohne Grund so weit gekommen im Turnier.« Für Zverev zählte ohnehin nur, dass er sich der vermeintlich einfachen Aufgaben relativ souverän entledigte - auch das unterstreicht schließlich einen gewissen Reifeprozess.
Das Halbfinale reicht noch nicht
»Bevor Daniil Medwedew und Stefanos Tsitsipas kamen, wurde ich medial als der Typ gesehen, der urplötzlich die Tenniswelt übernehmen sollte«, erklärte Zverev. Das hatte ihn offenbar lange belastet. Nun aber stehen eher der Russe und der Grieche im Mittepunkt des internationalen Medieninteresses. Das half Zverev bei der Selbstreflexion. »Ich habe auch Druck auf mich selbst ausgeübt. Ich war nicht sehr geduldig. Ich denke, dass ich jetzt gelernt habe, mit der Situation ein bisschen besser umzugehen.«
Auch deshalb ist Zverev mit dem Erreichten noch lange nicht zufrieden. »Klar, ich bin froh, dass ich im Halbfinale bin«, sagte er. »Aber ich mache keine Freudentänze, das Turnier ist noch nicht vorbei.«SID/nd
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