Müllverbrennung im Kohlekraftwerk

Lausitzer Energie AG plant neue Abfallbehandlungsanlage in Jänschwalde - Bürger geben Contra

  • Andreas Fritsche, Peitz
  • Lesedauer: 5 Min.

Von der Juri-Gagarin-Straße in Peitz sind die Kühltürme des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde gut zu sehen. Der Wasserdampf, der aus ihnen aufsteigt, wird von Laien immer wieder mit Rauchschwaden verwechselt, und ist so das falsche Symbol für ein echtes Problem geworden - den tatsächlich hohen CO2-Ausstoß, der diesem Kraftwerk den Ruf eintrug, die größte Dreckschleuder Europas zu sein. So erklärt sich die Aufschrift auf dem Schild: »40 Jahre Dreckschleuder - es reicht!«

Ein Dutzend Männer und Frauen vom Aktionsbündnis contra Müllverbrennungsanlage haben sich am Samstag zu einer Mahnwache vor einer Schule an der Juri-Gagarin-Straße postiert. Eine Frau hat ihre Kinder mitgebracht, die in der Nähe spielen, aber auf Zuruf schnell zur Stelle sind, um ein zum Transparent umfunktioniertes Bettlaken hochzuhalten, auf das die Losung »Für unsere saubere Zukunft« gemalt ist. Auf den Schildern, die bei der Mahnwache gezeigt werden, steht das mit der Dreckschleuder, aber auch: »Das bessere Müllkonzept: Müll verwerten statt verbrennen!«

In der Turnhalle der Schule informieren die Lausitzer Energie AG (LEAG) und ihr Geschäftspartner Veolia Anwohner über ihren Plan, auf dem Gelände des Kraftwerks Jänschwalde eine Müllverbrennungsanlage zu errichten, die sie aber ausdrücklich nicht so nennen, sondern Energie- und Verwertungsanlage (EVA). Wenn die Erlaubnis vorliegt, soll der voraussichtlich mehr als 100 Millionen Euro teure Bau noch in diesem Jahr beginnen und 2025 abgeschlossen sein. Bis zu 480 000 Tonnen vorbehandelter Abfall soll dort pro Jahr thermisch behandelt - sprich: verbrannt - werden, darunter maximal 40 000 Tonnen Klärschlamm.

Um das zu organisieren, haben die LEAG und Veolia die EVA Jänschwalde GmbH & Co. KG gegründet. In dem neuen Unternehmen sollen einmal 50 Beschäftigte arbeiten. Das Personal soll fast ausschließlich aus Beschäftigten des bisherigen Kraftwerks bestehen, die dort in Zukunft nicht mehr gebraucht werden, wie Geschäftsführer Markus Bindung erläutert. Eine Umschulung sei dazu nicht erforderlich, da sich die Tätigkeiten vom Prinzip her ähnelten. Weiterbildungen reichten deshalb aus.

Spätestens 2038 sollen alle deutschen Braunkohlekraftwerke stillgelegt sein. Von einst sechs und jetzt noch vier aktiven Kraftwerksblöcken in Jänschwalde wird einer 2025 abgeschaltet, der nächste 2027 und die restlichen beiden 2028. Damit verschwinden nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch Kapazitäten zur Müllbeseitigung. Denn im Kraftwerk Jänschwalde wird nicht nur Braunkohle verbrannt, um Strom zu erzeugen, sondern es werden auch 400 000 Tonnen Abfall pro Jahr gleich mitverbrannt. So entledigt man sich des Mülls und erzeugt dabei noch Wärmeenergie für Wohnungen in Cottbus und Peitz. Das soll künftig die EVA Jänschwalde übernehmen. Aber dafür bestehe überhaupt kein Bedarf, versichert Heide Schinowsky vom Aktionsbündnis contra Müllverbrennungsanlage. Sie wohnt in Jänschwalde und war bis 2019 Abgeordnete der Grünen im Potsdamer Landtag. Noch in dieser Funktion stellte sie 2017 eine parlamentarische Anfrage, auf die ihr der damalige Umweltminister Jörg Vogelsänger (SPD) antwortete, in den Braunkohlekraftwerken Jänschwalde und Schwarze Pumpe werde Müll aus zehn Bundesländern verbrannt, darunter weit entfernte wie Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Aus dieser und anderen Auskünften schließt Schinowksy, dass die Lausitz die neue Anlage in Jänschwalde nicht für sich selbst benötige. Mehr noch: Es würde auch keinen Müllnotstand in Deutschland geben, wenn man auf sie verzichten würde. Dass die Anlage in Jänschwalde etwa 600 000 Tonnen CO2 pro Jahr ausstoßen würde, habe man bei der Bürgerinformation »einfach unter den Tisch fallen lassen«. Schinowsky gibt zu, dass es ohne Müllverbrennung gegenwärtig nicht geht, da es in Deutschland seit 2006 gesetzlich verboten ist, Abfälle unbehandelt auf Deponien zu kippen. Aber diese Anlage hier müsse nicht sein, ist sie fest überzeugt. Die Männer und Frauen, die die Mahnwache abhalten, hatten gehofft, mit dem Ende des Kohlekraftwerks endlich nicht mehr nur im Urlaub frei durchatmen zu können.

Thorsten Zapf aus Jänschwalde hält wenig von der Fundamentalopposition des Aktionsbündnisses. Er ist am Samstag zur Informationsveranstaltung gekommen und sagt: Der Ansatz des Aktionsbündnisses, die Anlage zu verhindern, sei der falsche. Solange Müll nicht vermieden werde, müsse er irgendwo hin. Ihn in die Dritte Welt zu verfrachten, sei unmoralisch. Dann den Abfall doch lieber hier sauber verwerten, findet Zapf.

Die Angst der Anwohner vor gesundheitsschädlichen Emissionen kann Peter Quicker von der Technischen Hochschule Aachen verstehen. Sie sei aber unbegründet, versucht er ihnen in Peitz zu erklären. Der Professor mit dem Lehr- und Forschungsgebiet Technologie der Energierohstoffe zeigt Fotos von Müllverbrennungsanlagen in Kopenhagen und Wien, die mitten in Wohngebieten stehen. Er selbst lebe in Köln nur fünf, sechs Kilometer entfernt von einer solchen Anlage. »Da riecht man nichts.« Zwar setze die Müllverbrennung Stickoxide, Schwermetalle und saure Gase frei, auch »Kadmium und so ein Dreckszeug, klingt schon gefährlich, ist auch gefährlich«. In dieser Hinsicht nimmt Quicker kein Blatt vor den Mund. Doch all dies werde beispielsweise durch Zugabe von Kalk und Koks neutralisiert. Filter gebe es auch. Was am Ende noch ausgestoßen werde, liege unterhalb der zulässigen Grenzwerte. Der Experte empfiehlt der EVA Jänschwalde, die jeweils aktuellen Messwerte im Internet zu veröffentlichen. Dies werde die Anwohner beruhigen.

»Wir haben nicht zu viele Müllverbrennungsanlagen, wir haben zu wenige«, versichert Quicker. Die Hoffnung, man könne durch Müllvermeidung künftig auf Kapazitäten verzichten, habe sich schon in der Vergangenheit als trügerisch erwiesen. Unverändert fallen seit 20 Jahren pro Jahr rund 50 Millionen Tonnen Siedlungsabfall in Deutschland an und noch einmal dieselbe Menge Gewerbeabfall. Er sei auch dafür, Müll zu vermeiden und die Rohstoffe möglichst vollständig wieder zu verwerten, betont Quicker. Doch beim Recycling falle auch noch Restmüll an. Das werde bei der derzeit scheinbar guten deutschen Recyclingquote von 67 Prozent nicht beachtet. Richtig gerechnet liege die Quote wohl nur bei etwa 40 Prozent.

EVA-Geschäftsführer Markus Binding schildert schließlich die Schwierigkeiten der Abfallwirtschaft. Die Industrie produziere drauflos, ohne an die Folgen zu denken. So werden in Europa in einem Jahr 400 neue Kunststoffe zugelassen, aber zeitgleich nur für 40 Kunststoffe Techniken zur Entsorgung entwickelt, erklärt Binding. »Begeistert kann man nicht sein, wenn man Dinge verbrennen muss, die man noch gebrauchen kann«, bedauert auch Quicker. »Aber es ist notwendig.« Der Professor redet schnell und eindringlich. Ob das ankommt, ob der Bürgerdialog funktioniert hat, fragt sich Geschäftsführer Binding. Heide Schinowksy konnte er nicht überzeugen.

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