Von Tränen und Toren

Romelu Lukaku glänzt beim ersten Auftritt der Belgier, die Russland ohne Mühe mit 3:0 bezwingen

Die Belgier sind da - mit klaren Botschaften: All jene, die mutmaßten, der WM-Dritte hätte womöglich schon seinen Leistungszenit überschritten, wurden am Samstagabend eines Besseren belehrt. Unaufgeregt und abgezockt bezwangen die Roten Teufel auch ohne den verletzt fehlenden Kevin de Bruyne die gastgebenden Russen in St. Petersburg mit 3:0 (2:0). Stürmerstar Romelu Lukaku von Inter Mailand traf gleich zweimal (10. und 88. Minute), zudem trug sich Thomas Meunier von Borussia Dortmund nur sieben Minuten nach seiner Einwechslung in die Torschützenliste dieser 16. Europameisterschaft ein (34. Minute).

Doch längst nicht nur wegen des ungefährdeten belgischen Sieges war es ein denkwürdiger Abend im altehrwürdigen Krestowskij-Stadion, das nach dem Umbau 2017 zur Gazprom-Arena umgetauft worden ist. Knapp 27 000 Zuschauer füllten die steilen Ränge, als die belgischen Spieler und der spanische Schiedsrichter Antonio Mateu Lahoz beim Erklingen der Hymnen den bekannten Kniefall vollführten - als Zeichen gegen Rassismus. Es kam wie befürchtet: Die russischen Fans reagierten mit Pfiffen, was die Europäische Fußball-Union (Uefa) am nächsten Tag dazu veranlasste, an die Toleranz der Zuschauer zu appellieren. »Wir fordern die Besucher auf, Respekt vor Mannschaften und Spielern zu zeigen, die auf die Knie gehen«, erklärte der Verband.

Belgiens Trainer Roberto Martinez mühte sich, nach dem Match kein Politikum daraus entstehen zu lassen. »Es gibt unterschiedliche Reaktionen. Nichts Neues. Die wichtigste Reaktion kommt von unseren Fans, als sie die Hymne gesungen haben. Das hat unsere Spieler beflügelt.«

Und Aufmunterung hatten die Belgier durchaus nötig: Die Mannschaft hatte sich vor dem Spiel gemeinsam den Auftritt der Dänen gegen Finnland angesehen. Nachdem Christian Eriksen in dem Spiel zusammengebrochen war und wiederbelebt werden musste, waren die Belgier entsetzt: »Wir haben es live gesehen - wir wollten fünf Minuten später unser Teammeeting beginnen. Das Letzte, worüber wir reden wollten, war Fußball. Es war ein Schock, es gab Tränen«, so schilderte es der Spanier.

Doch nach ihrer kurzen, aber durchaus beachtlichen Anfangsoffensive patzten die Russen in der 10. Minute, der Ball segelte in den Strafraum zu Romelu Lukaku, der den Ball zum 1:0 ins Netz legte. Lukaku lief zur Kamera und sendete Grüße an seinen dänischen Kollegen, mit dem er gemeinsam bei Inter Mailand spielt: »Chris, Chris, (...), I love you!«

Fortan kontrollierten die Belgier das Spiel. Meunier traf noch vor der Pause zum 2:0, nachdem der russische Torwart einen Schuss vor seine Füße hatte prallen lassen. Das 3:0 markierte Lukaku nach einem Konter. »Ich habe vor dem Spiel viele Tränen für Christian Eriksen vergossen. Es war schwer für mich, mich zu konzentrieren«, verriet Belgiens Superstürmer nach dem Match. »Ich widme ihm diese Leistung.«

Die Russen indes haderten mit sich und ihrer Leistung. Der fleißige Alexander Golowin versuchte, das Offensivspiel zu leiten, doch mit den vielen langen, hohen Bällen seiner Kollegen auf den 1,96-Meter-Hünen Artjom Dsjuba konnte die Sbornaja die Belgier nicht in Verlegenheit bringen. Die russische Sportpresse warf Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow am Sonntag einen konzeptlosen Auftritt vor. Der Ton ist ungemütlich, auf den WM-Nimbus von 2018, als die Sbornaja bis ins Viertelfinale vordrang, kann der frühere Torwart von Dynamo Dresden nicht zählen. Tschertschessow verdiene umgerechnet 2,5 Millionen im Jahr, habe aber keine Spielidee, ätzte der Fernsehkommentator Wassili Utkin. Und meckerte munter weiter: »Und das bezahlen in unserem Land die Großmütterchen.«

Der bärbeißige Tschertschessow sah das hilflose Agieren seiner Spieler gegen den WM-Dritten weit weniger negativ: »Das Tor aus dem Nichts hat unsere Moral beeinflusst, das hat mir nicht so gut gefallen«, gestand der Nationaltrainer zwar ein. »Das Turnier endet aber nicht nach einem Spiel. Wir werden unser Bestes geben, um gegen Finnland zu gewinnen«, sagte er mit Blick auf das nächste Gruppenspiel in St. Petersburg am Mittwoch. »Es wird ein Spiel, das vieles entscheidet.«

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