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  • EM-Stadion in Budapest

Volle Hütte

Nur in Budapest darf das ganze EM-Stadion gefüllt werden. Das ist kein Zufall

  • Frank Hellmann, Budapest
  • Lesedauer: 4 Min.

Aufgereiht wie an der Perlenschnur stehen die weißen Zelte hinter hohen Gittern an der Dózsa György. Es wird der erste Anlaufpunkt für die Menschenmengen sein, die an diesem Dienstagnachmittag von der Metrostation »Puskas Ferenc Stadion« zum nach der ungarischen Fußballlegende benannten Nationalstadion strömen. Bis zu 67 000 Fans werden erwartet, wenn das Duell zwischen Ungarn und Portugal die deutsche Vorrundengruppe F eröffnet (18 Uhr/ZDF). Ein jeder Besucher muss vor dem Betreten des riesigen Areals durch solch ein weißes Zelt: Wie das im detaillierten Ablauf mit der Kontrolle von Eintrittskarten, der Temperatur, digitaler Impfausweise oder aktueller Coronatests wirklich aussieht, wenn sich die Massen möglicherweise doch vor den Toren stauen, weiß niemand so genau.

Die monumentale Arena war wie so oft bei solch korruptionsanfälligen Projekten in der ungarischen Hauptstadt mit mehr als einer halben Milliarde Euro Baukosten sündhaft teuer. Ihre Sektionen sind in leuchtendem Rot gehalten, römische Ziffern weisen den Weg. »Isten hozott!/Welcome!« steht darauf. Besucher sind also willkommen. Eigentlich gilt das zwar überall bei dieser EM, aber keiner wagt sich beim Pilotprojekt der Zuschauerrückkehr in paneuropäisch-pandemischen Zeiten so weit vor wie die Donau-Kapitale, wo alle Ampeln für die Vollauslastung schon grün leuchteten, als wegen Corona eigentlich noch Alarmstufe Rot herrschte.

Natürlich steckt dahinter politisches Kalkül. Ministerpräsident Viktor Orbán hat einen regelrechten Pakt mit dem organisierten Sport geschlossen: Seine Regierung finanzierte zahlreiche Bauten und Sanierungen von Stadien, Hallen und Sportschulen, schließlich sitzen die Mitglieder seiner Regierungspartei Fidesz auch in den Vorständen der großen Fußballklubs. Dafür werden die Stadien auch geöffnet. Wie viel Orbán die Zustimmung aus Fußball-Europa, und speziell der Dachorganisation Uefa wert ist, war schon im Frühjahr zu erleben, als reihenweise Champions-League-Spiele nach Budapest verlegt worden waren, weil anderswo Reisebeschränkungen den Europapokal lahmzulegen drohten. Hier hat RB Leipzig beispielsweise beide Achtelfinals gegen den FC Liverpool bestritten. Damals immerhin noch vor leeren Schalensitzen.

Der Keeper des Leipziger Bundesligisten freut sich nun auf das Kontrastprogramm der damaligen Geisterspiele. »Wir werden in Budapest über 65 000 Ungarn in unserem Rücken haben. Das gibt uns eine riesige Portion Extra-Motivation, einen emotionalen Push«, sagte Peter Gulacsi. Der Nationaltorhüter weiß genauso gut wie sein Vereinskollege Willi Orban, dass der Außenseiter die Rückendeckung von den Rängen dringend nötig hat. Doch dass ein gewisses Risiko mitspielt, obwohl die Inzidenz extrem niedrig und die Impfquote dank des Einsatzes fast aller weltweit verfügbaren Vakzine vergleichsweise hoch ist, kann auch niemand negieren. Argument der Behörden: Fast die Hälfte der 9,8 Millionen Ungarn sind bereits vollständig geimpft.

Es sind indes nicht nur besorgte Virologen aus Deutschland, sondern auch Apartmentbesitzer aus Ungarn, die seit mehr als einem Jahr keine Touristen beherbergt haben, die den Widerspruch nicht ganz nachvollziehen können: Ihr Land hält immer noch an strikten Einreiseregeln fest. Ohne einen triftigen Grund zum Arbeiten und einem entsprechenden Einladungsschreiben kommt kein Ausländer rein. Wer allerdings für heute eine Eintrittskarte hat - und darunter sind erstaunlicherweise etliche Deutsche - kann sich immerhin 72 Stunden lang zwischen Heldenplatz und Margareteninsel aufhalten. Der Kurzbesuch reicht, um das besondere Flair mitsamt seiner Vorfreude zu spüren.

Ungarn ist ungeachtet aller berechtigter Kritik an rechtsnationalen Strömungen vielleicht bald ein Beispiel, wie sehr die Vergabe eines solchen Turniers in die europäischen Nischen das Selbstwertgefühl kleinerer Fußballnationen heben kann. Gleich im Schatten der Sankt-Stephans-Basilika ist auf den Rasenflächen, in denen sich im Sommer vor dem jüdischen Amüsierviertel die jungen Menschen sonnen, eine Fanzone entstanden, die ohne den überkommerzialisierten Charakter auskommt. Das ungarische Bier kostet 700 Forint, umgerechnet nur zwei Euro. Sicherheitskräfte scheinen zwar jede Regung der Fußballinteressierten im Auge zu haben, aber als am Sonntagabend die ukrainische Aufholjagd laute Jubelschreie auslöste, rief niemand von ihnen zur Ordnung. Das wollen sie schließlich auch nicht tun, wenn Ungarns Auswahl gegen Cristiano Ronaldo und Co. ähnliches gelingt und die Jubelschreie noch viel lauter bis hoch zum Burgberg hallen.

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