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  • Treffen von Biden und Putin

Mit der Nato im Gepäck

Das erste Gipfeltreffen von Biden und Putin ist eine Chance, Gemeinsamkeiten abzuklopfen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.
Der 32. Nato-Gipfel, der am Montag in Brüssel stattfand, war kurz – und bislang schmerzlos. Er dauerte nur einen Tag, der bestand aus vielen TV-Lächelversuchen. Die Schlusserklärung war schon vor Beginn geschrieben. Mit so wenig Zeit für Inhalt hatten sich die Verbündeten seit zwei Jahrzehnten nicht mehr begnügt.

An zu geringem Beratungsbedarf kann das nicht gelegen haben. Die Welt ist voller Konflikte und einander widerstrebender Entwicklungen, in welche Staaten des Nordatlantischen Bündnisse oder die Nato selbst verwickelt sind. Auch im Innern der Allianz gibt es genügend Fragen, die zum Teil seit Jahren auf Antworten warten. Warum war das wichtigste Bündnis der Welt so selbstgenügsam?

Den Grund erfuhr man vor dem Gipfel nicht von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der nach Washington gereist war, um das Treffen vorzubereiten. Der Pressedienst des Weißen Hauses brachte da am Sonntag mehr Klarheit. Darin wird auf den Nato-Gipfel im Jahr 2022 verwiesen, auf dem sich die Mitgliedsstaaten voraussichtlich ein neues strategisches Konzept geben werden. Das Konzept solle das sich verändernde strategische Umfeld – einschließlich Russlands aggressiver Politik und Chinas Herausforderungen für die kollektive Sicherheit des Westens – neu definieren und auf transnationale Bedrohungen wie Terrorismus, Cyberangriffe und Klimawandel antworten.

Kurzum: Die Biden-Regierung, kaum ein halbes Jahr im Amt, braucht noch Zeit, um ihre künftige Stellung in der Welt und damit die der Nato zu analysieren und tragfähige Leitlinien vorzulegen. Bis dahin wird gegenüber Russland der alte Kurs gefahren: Dominanz statt Dialogbereitschaft, auch wenn das anders klingt. Es geht vor allem um eine weitere materielle Verstärkung der Nato-Ostflanke. Und wie steht die Allianz zu China? Das kommt im 2020 beschlossenen und noch geltenden strategischen Konzept der Allianz gar nicht vor. So heißt es bislang eben nur: Die USA suchten »keinen Konflikt«, doch auf chinesische Aktionen, die aus westlicher Sicht »nicht in Ordnung sind«, werde man reagieren. In Sachen Russland sind die USA weiter.

Nach der Ära Donald Trump hat man begonnen, die Realität auch nach möglichen Verhandlungslösungen abzusuchen. »Wir werden sehen, was wir erreichen werden«, sagte Jake Sullivan, Bidens Nationaler Sicherheitsberater. Der ist schon in Diensten von Präsident Barack Obama für globale Verhandlungslösungen eingetreten. Vor einigen Tagen betonte er erneut: »Es geht um strategische Stabilität.« Und zu der gelangt man derzeit wohl am besten, wenn man Gemeinsames betont. Der Gedanke findet beim Präsidenten Gehör. Biden räumte – ohne einseitige Schuldzuweisung – ein, dass sich die Beziehungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren nicht optimal entwickelt haben. Natürlich würde man Moskau auch weiter Grenzen aufzeigen, wenn dieses das Völkerrecht verletze.

Zugleich jedoch überlegte der Chef des Weißen Hauses öffentlich, ob man nicht beim Wiederaufbau Syriens mit Moskau zusammenarbeiten könne. Er fragt, ob sich manche Fragen rund um die Arktis lösen ließen, bevor sie zum Problem werden. Auch in anderen Bereichen wäre es im Interesse der USA, »eine Grundlage für die Zusammenarbeit mit Russland zu finden«.

Der Begriff Klimaschutz fiel und der Hinweis auf einen neuen Vertrag zur strategischen Rüstungsbegrenzung wurde in Moskau registriert, wo man ähnliche Gedanken pflegt. Das Treffen mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin am Mittwoch in Genf ist eine erste Chance, Gemeinsamkeiten abzuklopfen. In aller Ruhe, ohne großen medialen Rummel, weshalb es auch keine gemeinsame Pressekonferenz geben soll.

In so einer Situation würde es auch keinen Sinn machen, wenn die Nato mit übermäßigem Getöse Selbstdarstellung betreibt und zarte Ansätze politischer Vernunft erstickt. Und so hat man im Brüsseler Hauptquartier auch die Kritik, die die ukrainische Regierung im Vorfeld des Gipfels anstrengte, sorgfältig überhört. Kiew ist beleidigt, weil man die Ukraine – obwohl als Nicht-Nato-Mitglied ein wichtiger Vorposten des Bündnisses gegen Russland – diesmal nicht eingeladen hat.

Man verstehe »absolut nicht, wie es möglich ist, einen geschlossenen Nato-Gipfel abzuhalten vor dem Hintergrund der aggressiven russischen Aktionen gegen die Ukraine in der Schwarzmeerregion und gegen die Mitglieder des Bündnisses insgesamt«, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. Offenbar hat er verstanden, dass die Aussichten für eine Integration seines Landes in das westliche Bündnis trüber denn je sind, sollte es zur Annäherung zwischen Russland und den USA und damit zu einem Punktsieg für Putin kommen.

Doch ob dies passiert, ist ungewiss. Denn es gibt auch mächtige Kräfte auf beiden Seiten, die auf verstärkte Konfrontation setzen. Der pensionierte Kommandeur der US-Armee in Europa Ben Hodges ist ein Sprecher einer dieser politischen Richtungen. So wie er gegen den vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump verfügten Truppenabbau in Deutschland gestritten hat, weil das »ein Geschenk an den Kreml wäre«, so ist er jetzt gegen Bidens weiche Politik gegenüber Moskau und Peking. Er ist sich sicher: Die heutige Politik werde schon morgen durch einen Krieg mit Russland und China ersetzt. »Wir müssen die Nato einigen, die Ukraine bewaffnen, uns auf den Krieg für Taiwan vorbereiten.«

Solche Scharfmachersätze werden gehört. Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu betonte jüngst, dass die Nato-Länder und die USA »alle Grenzen des Anstands überschritten haben«, was die Intensität ihrer Luftwaffen, Flotten sowie die Anzahl der Übungen betreffe. Seit »West-2021«, der jüngsten strategisch angelegten Übung des russischen und des belarussischen Militärs, gibt es in Schoigus Ministerium Überlegungen zum weiteren massiven Ausbau des westlichen Militärbezirks. Noch sind es Pläne. Die sich aber nicht mehr lange zurückhalten lassen. Auch aus innenpolitischen Gründen.

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