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»Gemütlich« wird es nicht bleiben
Fürchtet euch, wenn ihr nach »Guldenberg« kommt: Auch in seinem neuen Roman ist Christoph Hein Chronist deutscher Verhältnisse
Bad Guldenberg ist für Christoph Hein ein Sinnbild deutscher Zustände: In diese fiktive sächsische Kleinstadt - man denkt an Bad Düben, wo er aufwuchs - ist Hein schon mehrmals schreibend zurückgekehrt.
Beginnend mit »Horns Ende« (1985): Ausgehend vom Selbstmord eines Historikers 1957, der aus Leipzig in die Provinz strafversetzt worden war, wabern in diesem Roman verleugnete Erinnerungen und Untaten durch den Ort. »Landnahme« (2004) handelt dann vom Sohn eines Aussiedlers aus Schlesien, der sich in Bad Guldenberg gnadenlos durchbeißt und entgegen aller Feindseligkeiten zu Reichtum kommt. Wer aufmerksam liest, mag ihn und andere auch im neuen Roman, der schlicht »Guldenberg« heißt, entdecken.
Nach Kruschkatz, dem Bürgermeister in »Horns Ende«, sollte sogar eine kleine Straße benannt werden. Dass es ihm in den 50er Jahren gelungen war, die »Zigeuner« loszuwerdenden, die jeweils im Frühsommer »auf einer Wiese vor der Sporthalle der Schule« kampierten, wird schon zu Beginn erwähnt. »Und nun sollten Jahrzehnte später wieder Fremde nach Guldenberg kommen … Wieder sollten sich Leute von irgendwoher … einnisten, Ausländer, die die Lebensart und Gesinnung der Einwohner nicht kannten und die, wie einst die Zigeuner, die Stadt eines Tages auf Nimmerwiedersehen verlassen würden.«
Mit wenigen lapidaren Sätzen ist da schon auf Seite 10 des Romans die Konfliktkonstellation beschrieben. Als wir eine Seite später Adil und Enis aus dem Bus steigen sehen, wissen wir schon, was sie erwartet. In einem Fischerboot waren sie aus Syrien geflüchtet, 17 Jahre der eine, 15 der andere, Nun werden sie der mütterlichen Heimleiterin Marikke Brumming anvertraut. Im Alten Seglerheim, das mal als Pflegestation gedacht war, sind sie mit Jungen aus Afghanistan zusammen. Konflikte sind programmiert. Da sitzen sie fest, sollen Deutsch lernen und sind angehalten, nie allein in die Stadt zu gehen. »Arbeit? Davon reden sie nur. Da ist nichts. Keine Arbeit für uns und kein Money.«
Zwölf »unbegleitete Jugendliche« - im Ort gibt es kaum Mitgefühl für sie. Dem Bürgermeister, der das »Negergesindel« hereingelassen hat, fliegt ein halber Ziegelstein durchs Fenster. Und das ist nur der Anfang. Der zuständige Polizeiobermeister stellt kühl fest, dass eine Anzeige gegen Unbekannt kaum Chancen hat, und wiederholt ungerührt, was die Leute so denken: »Wir haben ein schönes Städtchen, man kann hier gut leben, und das sollte so bleiben. Ruhig, vertraut und gemütlich.«
Da ist die sarkastische Bitterkeit des Autors nicht zu überhören. »Gemütlich« wird es nicht bleiben. Freundlich »vertraut« waren die Bürger einander schon längst nicht mehr. Sie ziehen sich gegenseitig das Geld aus der Tasche - wer nur kann, tut mit, wer nicht, hält mit Hass kaum hinterm Berg. Zum Beispiel wird behauptet, dass die Kirche durch »dieses Pack« bald zu einer Moschee werden würde - was nur möglich ist an sprachlicher Feindseligkeit kommt im Text zusammen. Als eine 14-Jährige dann schwanger wird, kann man sich schon denken, was nun geschieht.
Der Roman, zum großen Teil auf Dialogen gebaut, könnte zu einem Lehrstück fürs Theater werden oder zu einem Fernsehfilm, der weniger appellieren als nachdenklich stimmen soll. Man mag beim Lesen nach Erklärungen suchen: zum Beispiel dass das egoistische Gerangel und die Gier in Guldenberg ja eigentlich systemkonform sind, weshalb die Betreffenden gar nicht begreifen, warum sie in punkto Geflüchtete anders reagieren sollten. Man mag anmerken, dass in strukturschwachen ostdeutschen Regionen wie dieser einigen wenigen Gewinnern der deutschen Einheit eine Masse an Verlierern gegenübersteht, dass dort soziale Konflikte ohnehin schon gären und schnell hochkochen können. Dass um das Eigene ein Zaun gezogen wird - gesteht man es den Reichen eher zu als den Armen, die sich untereinander gefälligst vertragen sollen?
Wo Luxus haust, wird man doch kaum Flüchtlingsunterkünfte finden. Doch was einem dazu auch in den Sinn kommt, man muss es verwerfen: Es gibt keine Entschuldigung für Unmenschlichkeit, die verbal beginnt, ehe sie tätlich wird.
»Wir können uns nicht um das Elend der ganzen Welt kümmern ... Das sind Steuergelder, Gelder, für die wir uns krumm gemacht haben. Denn arbeiten tun die ja nicht. Müssen sie ja nicht … Wenn es so weitergeht, geht unsere ganze Heimat vor die Hunde …« So wird nicht nur in Bad Guldenberg geredet. Man hat derlei Sätze ohnehin im Ohr, das prägt die Lektüre. »Es war eine Prüfung für uns. Eine Prüfung, ob wir christlich und solidarisch sind. Wir haben etwas über uns selbst erfahren.« Das sagt Alexander Fuschel, der Gemeindepfarrer im Roman. »Die Stadt machte ihr plötzlich Angst«, so spricht Marikke Brummig, die Leiterin des Heims, vielen und wohl auch dem Autor aus dem Herzen.
Gertrude Fischlinger, jetzt 98, die wir schon aus »Horns Ende« kennen, hört die Toten reden. Und was sie über die Stadt weiß, sagt ihr der Wind. Was alles geschah in der Vergangenheit, es trägt seine Spuren ins Heute. Ungutes schwelt unter dem Boden des Normalen - nicht nur in Guldenberg hat es tiefe Wurzeln in deutscher Vergangenheit. Mit seinem neuen Roman macht Christoph Hein eine Rechnung auf, die - anders als in »Horns Ende« - nichts Subversives mehr hat. Fremdenfeindlichkeit war in der DDR ein tunlichst beschwiegenes Thema. Heute wird alltäglicher Rassismus allenthalben öffentlich angeprangert und verschwindet trotzdem nicht.
Beschreiben, was ist - diesem seinem Grundsatz bleibt Christoph Hein auch in diesem Roman treu. Der Einwand, dass er mit seiner Handlungskonstellation kaum Überraschendes bieten würde, geht an Heins künstlerischer Grundaussage vorbei: Die deutsche Wirklichkeit - nicht nur in Guldenberg - ist leider so, dass es eben nicht anders zu erwarten ist.
Christoph Hein: Guldenberg. Suhrkamp Verlag, 285 S., geb., 23 €.
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